Archäologie im Hinterhof
Paderborn. Archäolog:innen untersuchen seit einigen Monaten intensiv eine Baufläche an der Paderborner Mühlenstraße unter fachlicher Begleitung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL). Am ehemaligen Standort des Clubs „Red House“ kamen archäologische Befunde aus der Zeit der ottonischen Herrscher (10. Jahrhundert) und bis hinein in die jüngste Neuzeit zutage – mehr als es die Eintragung in das Urkataster von 1831 annehmen ließ.
Aus der Zeit vor dem großen Kaiser
„Wir befinden uns hier innerhalb der mittelalterlichen Stadtmauer, nicht weit entfernt von den Paderquellen. Schon aus der Eisenzeit, also vor etwa 2.000 Jahren, sind uns hier Siedlungsreste bekannt“, ordnet LWL-Stadtarchäologin Dr. Sveva Gai ein. Direkt auf dem benachbarten Grundstück hatte die LWL-Archäologie vor zehn Jahren gegraben und neben Befunden aus der Eisenzeit und Römischen Kaiserzeit einen Hausgrundriss aus der Zeit um 800 gefunden, also aus der Zeit Kaiser Karls des Großen.
Dieser Hausgrundriss ordneten die Fachleute damals dem Dorf Aspethera aus dem frühen Mittelalter zu. Die kleine Gehöftgruppe stand bereits, bevor Karl der Große hier seine Pfalz errichtete, und wurde im 12. Jahrhundert Teil der Bischofsstadt Paderborn.
Das Gebäude an der Mühlenstraße 36 stand in den letzten Jahren leer und wurde Ende 2020 abgerissen. Nach dem Abbruch wurden mehrere neuzeitliche Mauern entdeckt, die ein anderes Bild widerspiegelten, als die Eintragungen in die Katasterpläne zwischen 1831 und heute vermuten ließen. Die Mühlenstraße wurde erst nach dem Krieg angelegt, vorher erstreckten sich an dieser Stelle Hinterhöfe und lange Gärten. Diese grenzten an die Gärten der Häuser am Ükern, der anderen Parallelstraße im Norden.
„Auf den älteren Mauern wurde in der Nachkriegszeit das rechteckige, notdürftig hergerichtete Gebäude des späteren Red House errichtet, das aus nur einer Etage ohne Keller bestand“, sagt Gai. Wahrscheinlich trugen sechs Punktfundamente aus unbehauenen Kalksteinen mit sandigem, brüchigen Mörtel den Fußboden, der direkt auf der Gartenerde lag“, mutmaßt Gai. Nur ein Teil des Gebäudes im Süden besaß einen Kriechkeller.
Brunnen, soweit die Kelle reicht
„Es ist auffällig, wie viele Brunnen sich auf einer so kleinen Fläche von etwa 300 Quadratmetern befinden“, sagt Gai und fügt als Erklärung hinzu: „Die wasserführenden Schichten liegen hier so hoch, dass der Bau eines neuen Brunnens sich eher lohnte, als den alten weiterzunutzen und mühsam instand zu halten.“
Ein runder Brunnen im Westen ist noch komplett erhalten und wurde bis in die 1940er Jahre benutzt. Er verschwand vermutlich unter dem Fußboden des „Red House“. Dieser Brunnen wurde wahrscheinlich für den letzten Garten genutzt und gegen die noch stehende Westwand gebaut.
„Das Red House wurde auf die Fundamente der älteren Bebauung gesetzt. Weitere, momentan nur teilweise freigelegte Kalksteinmauern und Mauerecken im Süden und Südwesten der Fläche gehören ebenfalls zum älteren Baubestand“, fügt Robert Gündchen, Grabungsleiter der Fachfirma hinzu, die an der Mühlenstraße gräbt. Klarer wird die Lage hier für die Expert:innen erst, wenn die Ausgrabung auch die Fläche zur Krämerstraße erreicht. Zahlreiche Keramikscherben des 16. bis 18. Jahrhunderts liefern den Archäolog:innen bereits erste Hinweise auf eine barocke Datierung dieser Bauphase.
Den nächsten Brunnen entdeckten die Ausgräber:innen unter der Westwand des Gebäudes: „An dieser Stelle hat die Mauer einen Entlastungsbogen, der den Boden überbrücken und ein Absacken der Mauer verhindern sollte“, erklärt Gündchen. Der Brunnen gehört laut den Fachleuten zu einer früheren Phase, da seine Verfüllung nur mittelalterliche Scherben aus dem 10. bis 13. Jahrhundert enthält. Im Osten der Fläche, unterhalb des noch nicht erschlossenen Gebäudes, deutet sich noch ein weiterer Brunnen an, der teilweise von einer Wand überdeckt wird: Auch er gehörte wahrscheinlich zu einer früheren Nutzungsphase.
Aus der Zeit nach dem großen Kaiser
Reste der mittelalterlichen Bebauung aus ottonischer Zeit (10. Jahrhundert) traten ebenfalls zutage. „Die Parzellen, so wie wir sie heute kennen, waren noch nicht vorhanden. Man muss sich die gesamte Fläche frei von den Mauern vorstellen, die erst am Ende des 13. Jahrhunderts bis in die Barockzeit hinein entstanden sind“, erklärt Gai. Während im Zentrum der Stadt ab dem 11. Jahrhundert rund um die Domburg die ersten Steingebäude entstanden, gab es im Randbereich der Stadt fast ausschließlich Holzbauten: Grubenhäuser, Pfostenbauten und zuletzt Schwellbalkenhäuser, die nicht einmal Pfostenlöcher im Boden hinterlassen haben.
„Im südlichen Bereich der Fläche, durch eine barocke Wand überlagert, befinden sich die Überreste eines mittelalterlichen Lehmofens, bei dem noch die runde Feuerplatte und der Schürkanal erkennbar sind“, sagt Gündchen. Um den Ofen verteilt fanden die Archäolog:innen mehrere runde Gruben, die mit verziegelten Lehm verfüllt sind. Verziegelter Lehm entsteht bei großer Hitze und ist gerötet. Ob es sich um einen Schmiedeofen oder um einen einfachen Backofen handelt, können die Expert:innen erst nach weiteren Untersuchungen sagen.
„Im Nebengebäude, das nicht abgerissen wurde, laufen die Renovierungsarbeiten auf Hochtouren“, so Gai. Die Investoren würden die Arbeiten unterstützen, indem sie zum Beispiel einen Bagger samt Maschinisten beisteuern.