Syrische Familie dokumentiert ihren Alltag in Zeiten von Corona

Foto-Buch entstand aus einer Anregung von Integrationsassistentin Akila Cheich Houssein – Beratung und Angebote in den Quartieren sehr gefragt
Minden. „Der Alltag in Zeiten von Corona“ – das könnte mal ein bekannter Buchtitel werden, wenn es nicht schon ein Foto-Album der syrischen Familie Al Rasmi aus Minden mit gleicher Überschrift gäbe. Sie hat ihr Leben drei Monate lang in Bildern und mit Texten dazu dokumentiert. Das Foto-Buch ist aus einer Anregung von Integrationsassistentin Akila Cheich Houssein aus dem Team des Quartiersmanagements in Rodenbeck entstanden.

Integrationsassistentin Akila Cheich Houssein mit kleiner Corona-Ausstellung im Haus der Begegnung (Bildnachweis für alle Fotos © Stadt Minden

Integrationsassistentin Akila Cheich Houssein mit kleiner Corona-Ausstellung im Haus der Begegnung Foto © Stadt Minden

Die städtische Mitarbeiterin Akila Cheich Houssein kommt aus dem Libanon. Sie kennt die Familie Al Rasmi schon länger und hatte – auch in Zeiten der schlimmsten Corona-Phase – regelmäßig Kontakt zu ihnen. Auf Distanz versteht sich – also per Telefon, über die sozialen Medien oder auch in persönlichen Gesprächen vom Fenster aus. „Die Familie Al Rasmi war bis Mitte März regelmäßig Gast im Haus der Begegnung in Rodenbeck und hat zum Beispiel das Elterncafé besucht“, so die Integrationsassistentin.

Die syrische Familie legte in der Zeit der komplett geschlossenen Einrichtungen und Geschäfte ein Foto-Album an und beteiligte sich auch bei der „Kreativ-Quarantäne“, zu der das Quartiersmanagement aufgerufen hatte. „Es wurde gebastelt, gewerkelt, gestrickt und gemalt“, freut sich Akila Cheich Houssein über die Resonanz. Die Ergebnisse werden derzeit im Quartierbüro Rodenbeck ausgestellt. Besucher*innen können die gemalten und gebastelten Kunstwerke bei den im Quartiersbüro genutzten Einzelterminen bestaunen.

Zum Album der Familie Al Rasmi: Auf 21 Fotos sind die Eltern und die Kinder in verschiedenen Alltagssituationen zu sehen: Vater Khaled Al Rasmi (36 Jahre), Mutter Nesrin Ibrahim (25 Jahre), Sohn Reyan (6 Jahre) und Tochter Layan (4 Jahre). Das Foto-Buch beginnt mit dieser Einleitung: „Wir sind eine vom Krieg geflüchtete, vierköpfige Familie aus Syrien. Seit fünf Jahren ist Minden nun unser Zuhause. Minden gab uns das, was ein Leben lebenswert macht. Wir fühlen uns zwar oft einsam, aber nie allein gelassen. Wir danken der Stadt Minden und dem Quartiersbüro in Rodenbeck, dass sie in diesen Zeiten so aufopfernd für uns da waren.“

Dokumentiert haben die Al Rasmis neben Schul-Hausaufgaben am Esstisch, Ballspielen im Wohnzimmer auch die sich breit machende Langeweile im April mit Motiven auf dem Sofa im Wohnzimmer und vor dem Fernseher: „Diesen Film haben wir schon mehrere Male geguckt“, so der Kommentar unter einem Bild. Mit zunehmender Eintönigkeit im Alltag – ohne Schule und Kindergarten – wuchs der Wunsch der Kinder nach einer Katze: Auf dem Foto der bettelnde Sohn vor seiner Mutter, die sich nicht erweichen ließ. Auch traurige Momente wurden festgehalten: So konnte Tochter Layan ihren vierten Geburtstag nicht mit ihren Freundinnen feiern, die Mutter tröstet sie. Schwer zu ertragen für alle vier: Kontakt zu befreundeten Familien in Minden war mehrere Wochen nur per Skype möglich.

Es gab aber auch einige positive Aspekte, die die syrische Familie aus der Corona-Krise mitgenommen hat, wie das gemeinsame Kochen, das kreative Basteln oder neue Aufgabenverteilungen und Erkenntnisse bei der Hausarbeit. „Mir war gar nicht bewusst, dass der Arbeitsaufwand im Haushalt so anstrengend ist“, schreibt Vater Khaled Al Rasmi unter ein Foto beim Befüllen der Waschmaschine. Er war auch für die Vorräte und das Einkaufen zuständig. Witzig anzusehen das Haareschneiden im Badezimmer: Da alle Frisöre geschlossen hatten, musste der Vater dem nicht so begeisterten Sohn die Haare stutzen.

„Das Album ist eine gute Idee, den Alltag in der Corona-Zeit zu dokumentieren“, findet die Leiterin des Quartiersmanagements, Ute Hildebrandt. Es zeigt neben den persönlichen Situationen der Al Rasmis auch, dass viele Familien – deutsche wie solche mit Migrationshintergrund – zum Höhepunkt der Corona-Krise Ähnliches zu Hause und in Minden erlebt haben. Ihr und dem Team des Quartiersmanagements in Rodenbeck, Bärenkämpen und auf dem Rechten Weserufer war es ab Mitte März sehr wichtig, den Kontakt zu den Menschen zu halten, die ihnen bekannt sind und regelmäßig Angebote nutzen.

„Das lief recht gut. Aber leider war es nicht möglich, in diesen Zeiten Menschen zu helfen, die bisher keinen Kontakt zu den Mitarbeiter*innen des Quartiersmanagements hatten“, so Hildebrandt. In der Corona-Hochphase hatten zahlreiche Bürger*innen – mit und ohne Migrationshintergrund – viele Fragen, die über die sozialen Medien oder das Telefon bei den Integrationsassistenten und Quartiersmanagern ankamen. Nach einer „kurzen Schockstarre“ Mitte März wurden schnell Angebote entwickelt, um den teilweise recht eintönigen Alltag der Bewohner*innen in den Quartieren Bärenkämpen, Rodenbeck und auf der rechten Weserseite zu beleben.

Mitarbeiter*innen aus den Jugendhäusern, der Schulsozialarbeit und des Quartiersmanagements haben gemeinsam zahlreiche Ideen entwickelt. So gab es in Rodenbeck Kreativ- und Onlineangebote, eine Bärenrallye, einen Trimm-Dich-Pfad- und auch ein Stadt-Land-Fluss-Spiel.

 

Um kontaktlos die ratsuchenden Bürger*innen im Quartiersbüro Rodenbeck, das im ersten Obergeschoss des Haus der Begegnung im Zehlendorfer Weg 2 liegt, beraten zu können, setzte Akila Cheich Houssein die Idee einer Box mit Flaschenzug als Quartierspost um. Mit der Box wurden Dokumente und Briefe zum Übersetzen vom Fenster nach oben zu den Integrationsassistenten und wieder zurück zu den Bürger*innen transportiert.

„Übersetzungen sind immer stark nachgefragt. Als die Behörden geschlossen waren und kein persönliches Gespräch während der Sprechstunden möglich war, stieg die Anzahl der Anfragen stark an“, berichtet Akila Cheich Houssein, die neben Deutsch und Arabisch auch Französisch spricht. Ihr Kollege in Rodenbeck, Kameran Ebrahim, ist bereits seit Jahren ein erfahrener Ansprechpartner für viele Familien aus dem arabischen Raum.

Die Beratung der Anfragenden beinhaltete Fragen zu Schriftverkehr mit Behörden, die in der Corona-Zeit länger dauern, da alles online oder mit Terminvereinbarung läuft. Zudem gab es viele Fragen zu Schule und Kita sowie zu Hygienevorgaben in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. Beide Integrationskollegen berichten, dass es teilweise eine große Unsicherheit und viele Fragen in den Familien gab und gibt – gerade auch mit Blick auf den Schulanfang nach den Sommerferien.

Die städtischen Einrichtungen in den Quartieren öffnen nach und nach unter Hygieneauflagen wieder. Alle aktuellen Informationen zur Vereinbarung von Einzelterminen in den Quartiersbüros in Rodenbeck, auf der Rechten Weserseite und im Begegnungszentrum Bärenkämpen sowie zu den Angeboten unter Einhaltung der Hygiene-Bestimmungen in jedem Quartier sind unter www.minden.de/quartiere zu finden.

 

image001