Direktor des Amtsgerichts Bielefeld zieht Bilanz

Zuwachs an Richtern im Amtsgericht Bielefeld – Anstieg beschleunigter Verfahren und Zellenbelegungen

Bielefeld. Am Vormittag des 14. Februars stellte der Direktor des Amtsgerichts Bielefeld Jens Gnisa die Bilanz des Jahres 2017 vor. Unter anderem ist ein deutlich gestiegenes Interesse der Öffentlichkeit an der Justiz festzustellen. So hätten sich die Anfragen der Medien beim deutschen Richterbund, bei dem Gnisa seit 2016 Vorsitzender ist, verdreifacht. Er persönlich erhalte zwei bis drei Bürgerbriefe pro Tag. Dieses Interesse führt der Direktor auf eine „Beunruhigung“ in der Gesellschaft zurück und nennt dabei die Stichworte „Terroranschläge“ und „Silvesternacht in Köln“.

Die Achillesferse der Wachtmeister

Die Verfahrenseingänge in Zivilsachen haben insgesamt stark nachgelassen. Während 2015 noch 5.568 zu verzeichnen waren, gab es im  Jahr 2016 nur noch  4.985. Der Wert blieb auch 2017 weiter unten. Dies sei laut Gnisa „ein bundesweites Phänomen“, dessen Ursache unklar ist, da diese Rückläufigkeit bislang nicht untersucht werden konnte.
In den Familiensachen wurde 2015 hingegen ein Spitzenwert von 3.428 erreicht. Zweitausend mehr verbuchte Fälle als im Vorjahr. Erklärt wird diese Entwicklung durch viele unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge, denen sich das Gericht annehmen musste. 2016 ging der Wert auf 2.948 zurück und sank im darauffolgenden Jahr erneut um 270 Fälle. „Diese Welle ist jetzt hinter uns, wir sind wieder auf einem normalen Niveau“, so Gnisa.
Eine auffallende Zunahme gab es bezüglich der Erzwingungshaft, mit der die Begleichung ausbleibender Bußgeldzahlungen erzielt werden soll: Im Jahr 2017 wurden 7.084 Fälle verzeichnet, das sind über 1.600 mehr als im Vorjahr. Diesen Unterschied erklärt der Direktor mit der Arbeit der Behörden  und nennt unter anderem den Blitzer am Bielefelder Berg als signifikanten Grund – immerhin handelt es sich bei der „Goldgrube“ an der A2 um den erfolgreichsten Blitzer Deutschlands.
Auch die Zellenbelegung war 2017 ausgelasteter als im Vorjahr: in den Zellen des Gerichts fanden sich 1.007 Mal Angeklagte wieder, entweder während des Prozesses inhaftiert oder in Untersuchungshaft befindlich. Für den Direktor war diese Entwicklung die größte Überraschung, denn in zwei Jahren hat sich die Anzahl fast verdoppelt – Tendenz steigend, was besonders die Wachtmeister auf eine Belastungsprobe stellt. Wenn auch eine Grenze noch nicht in Sicht sei, so hat sich die Zellenbelegung doch zur „Achillesferse der Wachtmeister“ entwickelt, resümierte Gnisa.

Direktor Gnisa zeigt sich zufrieden mit der Entwicklung

Der Blick auf die Verfahrensdauer ist ein besonders erfreulicher Punkt, den Gnisa stolz hervorhob. Demnach werden 96% aller Strafsachen innerhalb eines Jahres erledigt. Der Wert bleibt seit 2016 stabil und liegt damit über dem Durchschnitt. Das beschleunigte Verfahren ist einer der Gründe für diese positive Bilanz.
Bei eben diesen handelt es sich um Verfahren, in denen Beschuldigten innerhalb weniger Tage der Prozess bis hin zum Urteil gemacht wird. Die Prognose zeigt deutlich, dass 2018 mit weitaus mehr Verfahren dieser Art gerechnet werden kann. Während es 2017 insgesamt 90 Verfahren dieser Art gab, wurden allein im Januar diesen Jahres 36 durchgeführt. „Diese Verfahren ziehen richtig an“, fasst Gnisa zusammen.
Ebenfalls positiv ist die rückläufige Entwicklung der Verfahren aufgrund von Insolvenz und Zwangsvollstreckungen. Die bundesweite gute Konjunktur spiegelt sich in dieser Entwicklung wieder.

Rechtspfleger gesucht – Gnisa ruft Abiturienten auf

Auch das Amtsgericht ist personell gut bestellt, hat sich 2017 allerdings um sechs Beschäftigte dezimiert. Zu Beginn 2017 wurden fünf neue Richter eingestellt, womit deren Gesamtzahl auf 55 angestiegen ist. Wenn auch der Direktor diese Besetzung als „akzeptabel“ bezeichnet, so liegt die Belastungsquote immer noch bei 109%. Lediglich die Vertretung der Geschlechter ist erfreulich und ausgesprochen ausgewogen mit einem Frauenanteil von 53%.
Der Beruf des Rechtspflegers hingegen hat sich laut Gnisa zu einem wahren „Frauenberuf“ entwickelt, mit einer weiblichen Beteiligung von 77%. Hier gab es im Vergleich zum Vorjahr einen enormen Rückgang an Personal. Das Bielefelder Amtsgericht wünscht sich deutlich mehr Abiturienten, die sich nach ihrem Schulabschluss für die duale Ausbildung zum Rechtspfleger entscheiden – auch Männer sind gefragt. Das Ziel des Direktors ist ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis von 50%.
Ausgesprochen groß ist der Bedarf an Schiedsleuten. Dieses Jahr verlässt knapp die Hälfte der Freiwilligen das Amtsgericht. Qualifiziert für dieses Ehrenamt ist jeder nicht betreuungspflichtige Bürger ohne Vorstrafen zwischen 30 und 70 Jahren. Vorkenntnisse sind nicht nötig, lediglich gute Menschenkenntnisse um bei Bedarf zwischen zwei Parteien zu vermitteln, damit diese sich außergerichtlich einigen können. Durchschnittlich erhält man einen Fall pro Woche mit einem Arbeitsaufwand von sieben bis zehn Stunden monatlich. Interessierte können sich (telefonisch) beim Ordnungsamt der Stadt Bielefeld melden.

Text: Vanessa Seide und Julia Merten