Bielefeld. Am 20. Dezember 1900 – vor 115 Jahren – verkehrten erstmals Straßenbahnen in Bielefeld. Die Eröffnungsfahrt fand zwischen Brackwede-Dorf und dem Rettungshaus (heute Johannesstift) in Schildesche statt.
In nur acht Monaten waren die Gleise und Fahrleitungen für den Straßenbahnbetrieb gebaut worden. Die Verlängerung vom Rettungshaus bis ins Schildescher Zentrum verzögerte sich aufgrund von Kanalbauarbeiten. Auf der gesamten 9,2 Kilometer langen Strecke quer durch die Stadt konnte am 22. Mai 1901 der regelmäßige Betrieb aufgenommen werden.Zunächst war das Schienennetz auf weiten Strecken nur eingleisig. Ausweichstellen ermöglichten das Passieren der Bahnen. Mit den beiden Arbeitervororten Brackwede und Schildesche hatte man Endpunkte gewählt, die eine hohe Zahl von Fahrgästen versprachen.
16 Triebwagen, ausgestattet mit jeweils zwei Motoren zu 15 Pferdestärken, und elf Beiwagen standen dafür zur Verfügung. Die Wagen hatten keine Frontverglasung. Der Straßenbahnfahrer stand Wind und Wetter ausgesetzt an der
Kurbel. Denn die Bauweise der Wagen orientierte sich an den Pferdeomnibussen, die vorne ohne Verglasung blieben, weil
der Pferdeomnibuskutscher die Zugpferde dirigieren musste.
1902 nahm das Betriebsamt der Stadt Bielefeld eine zweite 3,8 Kilometer lange Straßenbahnstrecke vom Hauptbahnhof nach Sieker in Betrieb. 1.672.196 Mark ließen sich die Stadtväter ihre Straßenbahn kosten. Entlang der Straßenbahnstrecken entstanden auch die ersten städtischen Fernsprechleitungen. Sie wurden für die Kommunikation zur Regelung des Straßenbahnverkehrs benötigt.
Obgleich die Fahrgeschwindigkeit der „Elektrischen“ im inneren Stadtkern zwölf Kilometer in der Stunde nicht überschreiten durfte, entwickelte sie sich schnell zu einem attraktiven Nahverkehrsmittel. Und das trotz der für den Normalverdiener hohen Fahrpreise zwischen 10 und 20 Pfennig je Fahrt. Der anfängliche 30-Minuten-Takt musste bereits im ersten Jahr wesentlich verkürzt werden. Auch in den Randzeiten wie sonntags abends wurden zusätzliche Züge eingesetzt. Im Geschäftsjahr 1903/04 benutzten bereits 3.717.096 Fahrgäste die „Elektrische“.
Mit der Verlängerung der Straßenbahnlinie 1 von Brackwede zum Sennefriedhof fand der Ausbau des Straßenbahnnetzes vor dem Ersten Weltkrieg seinen Abschluss. Der 1914 begonnene Neubau einer Straßenbahnstrecke in den Bielefelder Westen, ein Vorläufer der heutigen Unilinie, wurde wegen des Ersten Weltkrieges abgebrochen.
Bielefelds Stadtväter verbanden den Bau der „Elektrischen“ mit der Errichtung des ersten Gleichstromwerkes. Weil nicht abzuschätzen war, wie gut Straßenbahn und Stromversorgung von den Bürgern angenommen wurden, existierte mit der Straßenbahn zumindest ein Großabnehmer für das neue Kraftwerk.
BU 1: Eine Karikatur-Postkarte aus Bielefeld malte die möglichen Gefährdungen durch die „neue Elektrische“ an die Wand: scheuende Pferde, stürzende Radfahrer und umfallende Kinderwagen. Doch blieb dies glücklicherweise nur eine Phantasie des Zeichners. (Foto: Stadtarchiv Bielefeld)