Archäologen stoßen auf überraschende Funde
Bielefeld. Im Herzen der Bielefelder Altstadt finden seit Mai 2017 archäologische Ausgrabungen statt. Anlass hierfür waren umfangreiche Neu- und Umbaumaßnahmen im historischen Zentrum. Gleich zu Beginn stießen die Archäologen unter Leitung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) auf zahlreiche Zeugnisse der 800-jährigen Stadtgeschichte. Nun traten noch weitaus ältere Relikte zutage, die bis zu 3.000 Jahre alt sind.
„Die Ausgrabungen im Bereich Alter Markt, Piggenstraße, Welle und Gehrenberg sind aus stadtgeschichtlicher Perspektive ein absolutes Juwel“, meint Dr. Sven Spiong, Leiter der LWL-Archäologie in Bielefeld. „Wie im Falle der Ausgrabungen am heutigen Welle-Parkhaus zeigt die umfangreiche und komplexe Befundlage auch hier eindrucksvoll, wie die Menschen zu verschiedenen Zeiten das Gelände genutzt, eingeteilt, neu verteilt und wieder überbaut haben“, erklärt Spiong.
So standen auf dem Ausgrabungsgelände einst vier unterschiedliche Häuser. Das älteste Haus stammt aus dem 13. Jahrhundert, der Gründungszeit Bielefelds. Es wurde aus Stein errichtet und ist sehr massiv gebaut worden. Daraus schließen die Archäologen, dass in diesem Haus wahrscheinlich einmal ein wohlhabender Handwerker oder Geschäftsmann gelebt haben muss. Die Mauer dieses Wohnhauses wird zurzeit von den Archäologen aufwendig ausgegraben und restauriert. Die Überreste des zweiten Hauses, stammen aus dem 14. Jahrhundert. Die Funde lassen darauf schließen, dass das erste Haus beim Bau des zweiten Hauses abgerissen wurde. Das Gebäude wurde außerdem aus schlechtem Baumaterial errichtet. Gründe davor könnten die damalige Wirtschaftskriese und der damit verbundene Mangel an günstigen Wohnraum sein. Im 15. Jahrhundert herrschte in Bielefeld wieder Wohlstand und so wurde auch das in die Jahre gekommene zweite Wohnhaus durch ein neues, besseres ersetzt. Nur etwa hundert Jahre später wurde das Haus allerdings abgerissen und auf die freie Fläche wurde im 18. Jahrhundert ein neues Gebäude gesetzt. Die stabile Mauer und der fundierte Vorsprung bleiben noch einige Zeit vorhanden, aber auch dieses Haus wurde schon im nächsten Jahrhundert wieder abgerissen. Die leere Freifläche wurde von den Bürgern dann als Nutzfläche verwendet.
Überraschend traten bei den Ausgrabungen auch eine Grube und einige kleine Funde zutage, die aufgrund von Keramikscherben in die jüngere Bronze- oder frühe Eisenzeit datiert werden konnten. „Die Gefäßreste zeugen davon, dass hier schon vor etwa 2.500 bis 3.000 Jahren Menschen gesiedelt haben“, erklärt LWL-Archäologin Dr. Julia Hallenkamp-Lumpe. Die Archäologen fanden bei den Ausgrabungen aber auch viele Relikte aus der Neuzeit, wie z.B. eine fast vollständig erhaltene bunte Vase. Aber auch viele Ziegel konnten annähernd im originalen Zustand geborgen werden. Kleine Figuren, wie eine Jesusstatue oder ein Frauenkopf wurden ebenso gefunden. Welchen Nutzen kleinere Artefakte, wie der Frauenkopf, damals hatten, darüber sind sich die Archäologen allerdings uneinig. Eine besondere Entdeckung ist außerdem auch eine Nixenstatue aus dem 17. oder 18. Jahrhundert, die in einem Kanal in der Baufassade gefunden wurde.
„Wie an einer Perlenschnur aufgereiht“, so beschreibt Hallenkamp-Lumpe den Fund zahlreicher Brunnen. Diese dokumentieren die engräumige Parzellierung des Geländes zur Zeit der Stadtgründung im Jahr 1214. „Ihre Anordnung führt zu neuen Erkenntnissen, was den Zuschnitt der Häuser in der Frühzeit der Stadtgeschichte angeht“, erklärt Hallenkamp-Lumpe. „Sie zeigen, über welchen langen Zeitraum die Menschen jahrhundertealte Strukturen auf dem Gelände genutzt haben. Die Brunnen wurden im 13. Jahrhundert angelegt und erst nach dem Bombenangriff auf die Stadt am 30. September1944 verfüllt. „Über 700 Jahre hinweg spendeten sie demnach Wasser“, betont Hallenkamp-Lumpe.
Weitere typische stadtarchäologische Befunde sind große Abfallgruben aus dem Mittelalter und Kloaken. Der Fund von Schmiedeschlacken belegt die Verarbeitung von Eisen vor Ort. Neben den Befunden im Boden erzählen auch Einzelfunde die Geschichte der Bielefelder: So fanden die Archäologen zahlreiche Keramikgefäße und -scherben, die in den Alltag von Haus und Hof gehören. Tierknochen zeugen von Essgewohnheiten. Objekte wie ein kleines Jesuskind aus Pfeifenton weisen in den Bereich der Volksfrömmigkeit. Eine sogenannte Narrenpfeife aus Steinzeug und ungewöhnlich viele Fragmente von spätmittelalterlichen Trinkgläsern kommen hinzu.
Inzwischen wurde fast die gesamte Baufläche am Alten Markt untersucht. „Wir biegen langsam auf die Zielgerade ein“, bestätigt Spiong und ergänzt: „Das Gelände am Alten Markt ist ein archäologischer Glücksfall und zeigt, dass trotz erheblicher Kriegszerstörungen und zahlreicher Bodeneingriffe immer mit dem Überdauern umfangreicher archäologischer Substanz im Boden zu rechnen ist.“
Die archäologischen Untersuchungen werden von einer Grabungsfirma unter Fachaufsicht des LWL durchgeführt und dauern voraussichtlich noch einige Wochen an.
BUZ: Foto 1: Archälogen restaurieren und rekonstruieren die Mauern des alten Wohnhauses
Foto 2: Bei den Ausgrabungen gefundene Relikte und Artefakte
Fotos: Jürgen Riedel / OWL-Journal