Gütersloh. Ein durchschnittlicher Wocheneinkauf im Supermarkt, etliche Artikel liegen im Einkaufswagen: Bei vielen davon kann man als Käufer nicht sicher sein, dass sie garantiert nicht unter menschenausbeutenden und umweltschädlichen Arbeitsbedingungen hergestellt worden sind. Eine solche Sicherheit gibt das Fairtrade-Siegel. Für die Verbreitung der Idee des Fairen Handels und die Bekanntmachung der inzwischen sehr breiten Produktpalette macht sich in Gütersloh seit 2011 die örtliche Fairtrade-Steuerungsgruppe stark. Und das von Anfang an mit Einsatz und Erfolg: Seit 2012 verleiht der gemeinnützige Verein TransFair (Fairtrade Deutschland) der Stadt Gütersloh regelmäßig die Auszeichnung „Fairtrade-Stadt“ für ihr Engagement für den Fairen Handel. Die zentrale Koordination der Aktivitäten liegt beim Fachbereich Umweltschutz der Stadt Gütersloh. Maßgeblichen Anteil an der Erfüllung der Kriterien für die „Fairtrade-Stadt“ hat seit jeher die Evangelische Kirchengemeinde Gütersloh mit Erika Engelbrecht. Die Pfarrerin engagiert sich seit Jahrzehnten für Fairen Handel. Im Interview spricht sie über die Idee des Fairen Handels in wirtschaftlich schwierigen Zeiten und den Weltladen am Berliner Platz, der – viele Jahre durch die Kirchengemeinde, inzwischen durch den Trägerverein Eine Welt Gütersloh e.V. betrieben – in der Stadt das umfangsreichste Sortiment an fair gehandelten Produkten bietet, von Kaffee, Wein und Textilien bis hin zu Taschen, Schmuck und Kunsthandwerk. Erika Engelbrecht ist stellvertretende Vorsitzende des Vereins und arbeitet ehrenamtlich im Laden-Team.
Frage: An der Rathaustür klebt das Fairtrade-Siegel. Der Weltladen ist im Sommer 2020 von der Spiekergasse an eine repräsentative Stelle in der Fußgängerzone gezogen. Fairtrade-Produkte gibt es inzwischen in vielen Supermärkten. Ist Fairtrade beliebig geworden, weil sich Produkte mit diesem Label besser verkaufen lassen?
Engelbrecht: Das ist schon ein Problem. Natürlich ist das Label, das an der Rathaustür klebt, positiv, weil es Brücken baut. Aber es ist inhaltlich ausgeweitet worden. Das Fairtrade-Siegel ist vor allem ein Signal. Ohne die Evangelische Kirchengemeinde und den Weltladen, der ja lange Zeit Teil der Gemeinde und an der Kirchstraße beheimatet war, wäre es nicht zur Fairtrade-Stadt Gütersloh gekommen, weil wir viel eingebracht haben und so die Anerkennung erreicht werden konnte. Wir haben zum Beispiel die Kirchencafés nach den Gottesdiensten. Die zählen zu den Ausschankorten für faire Getränke, die für die Zertifizierung als Fairtrade-Stadt nachgewiesen werden müssen. Wir haben den Ausschuss MÖWe in der Gemeinde, was „Mission, Ökumene und Weltverantwortung“ bedeutet. Die Weltverantwortung, dafür setzen und bringen wir uns als Kirchengemeinde besonders ein. Dazu gehört auch der Faire Handel. Deshalb sind einige Kirchenvertreter und -vertreterinnen in die Steuerungsgruppe der Stadt Gütersloh gegangen, die sich Fairtrade zur Aufgabe gemacht hat. Ich selbst war damals schon relativ bekannt dafür, dass ich für den Fairen Handel stehe. Seit meinem Studium, als der Faire Handel begann, finde ich diese Idee toll.
Frage: Seit 2011 bemüht sich die Stadt mit Akteuren aus unterschiedlichen Bereichen wie Vereinen, Schulen und Kirchengemeinden um die Verbreitung des Fairtrade-Gedankens. Wie weit ist man seitdem gekommen?
Engelbrecht: Die erste Verleihung des Titels Fairtrade-Stadt war die hundertste Verleihung des Titels an eine Kommune, aber wir waren dabei nicht die einzige, sondern ein Pulk von Städten, die damals soweit waren. Eine Voraussetzung für den Titel der Fairtrade-Stadt ist, dass es einen Verkauf gibt. Und es muss Verköstigung und eine Anzahl von Ladengeschäften geben, die eine bestimmte Menge fairer Produkte verkaufen. Auch die Supermärkte und andere zählen mit. Uns geht es darum, dass in einer Fairtrade-Stadt ein breites Programm existiert, damit die Menschen immer wieder darauf gestoßen werden. Die Öffentlichkeitsarbeit ist ganz wichtig. Darum bereiten wir von der Fairtrade-Steuerungsgruppe für die jährliche Faire Woche im September immer ein breites Programm vor.
Frage: Sie führen im Weltladen am Berliner Platz nicht nur Lebensmittel, sondern auch viele Artikel, die dem Nonfood-Bereich zuzuordnen sind: Tücher, Taschen oder Kunsthandwerk. In welchem Verhältnis stehen diese Produkte zum Lebensmittelverkauf? Lohnt sich das?
Engelbrecht: In unserem Laden haben wir den Non-Food-Bereich ausgeweitet, weil sehr viel mehr Menschen auf der Suche nach einem schönen Geschenk zu uns kommen und es auch finden. Wir haben einmalige und gut gearbeitete Artikel, immer wieder haben wir neue im Sortiment. Das ist es, weshalb es sich lohnt, in unseren Laden zu kommen. Und jeder Verkauf hilft den Menschen im globalen Süden. Darum habe ich schon sehr früh, als wir in der Kirchengemeinde daran dachten, dieses Haus am Berliner Platz zu bauen, gesagt: Das muss ethisch vertretbar sein, darum muss der Weltladen rein. Dem wurde im Presbyterium damals durchaus widersprochen.
Frage: Gab es die Sorge, dass der Laden wirtschaftlich nicht funktionieren kann? Oder hatte der Kirchenvorstand zahlungskräftigere Interessenten in Aussicht?
Engelbrecht: Es war bald klar, dass sich in diesem kleinen Ladengeschäft Gastronomie kaum lohnen würde. Außerdem ging es los mit den Themen „weniger Fleisch“ oder „vegan essen“ und der Fridays-for-Future-Bewegung. Das sind Themen, denen wir aus theologischen Gründen nicht abgeneigt sind. Am Ende hatten wir noch eine Kette als Interessentin, die dort viel Fleisch verarbeiten wollte, und dazu sagte dann die Gemeinde: Nein, das machen wir nicht. Der weitere Weg war dennoch steinig, bis auch das Team Zutrauen zu dem größeren Laden gewann. Selbst ich habe mich gefragt, ob das wohl funktionieren würde. Wir sind zwar nach wie vor eine kirchennahe Einrichtung, aber wir dürfen keine Sonderbedingungen bekommen; das verbietet das Finanzamt. Natürlich zahlen wir Miete.
Frage: Dann müssen auch echte Umsätze erzielt werden…
Engelbrecht: …was uns in der ersten Zeit trotz Corona gut gelungen ist. Weil immer wieder Leute reinkommen, die sagen: Ach, da ist ja ein neuer Laden. Ja, antworte ich dann, und wir verkaufen nur faire Produkte. Wir müssen noch richtig für den Fairen Handel missionieren hier in Gütersloh. Umsatz zu generieren, geht vor allen Dingen über Kunsthandwerk, aus zwei Gründen: Zum einen sind die Umsätze in diesem Segment größer. Vor allem aber haben wir im Einkauf andere Konditionen. Alle in Gütersloh können dieses Ladenprojekt voranbringen. Wenn viele bei uns einkaufen, helfen sie uns und den in diesen Pandemiezeiten noch mehr gebeutelten Ländern des Südens. Hier ist eine echte Gelegenheit, etwas zu tun – was viele doch so gern möchten.
Frage: Uns auf der Nordhalbkugel, mit der besten medizinischen Versorgung, geht es selbst in Corona-Zeiten nicht schlecht. Aber wie sieht das aus in den Ländern, die sich nichts leisten können? Ist es da für uns nicht ethisch verpflichtend, Dankbarkeit zu zeigen dafür, dass es uns hier gut geht, und faire Geschenke zu kaufen?
Engelbrecht: Ja, wir stöhnen manchmal, als wäre hier Weltuntergang, gerade die Älteren. Ich kann junge Leute verstehen, die verzweifelt waren, weil sie ins Studium starten wollten und dann durch Corona und die Beschränkungen ausgebremst wurden. Da wäre ich damals wohl auch entsetzt gewesen. Wir hatten bis vor wenigen Tagen für ein Jahr eine Freiwillige aus Tansania hier im Weltladen, Tupokigwe Mwakipesile, eine 29-jährige Lehrerin aus Daressalam. Tupo hat unserem Laden ein Gesicht des Südens geben. Leider ist ihre Zeit hier nun zu Ende, aber wahrscheinlich kommt bald ein anderer Freiwilliger zu uns, um mit uns den Fairen Handel voranzutreiben.
Ausführliche Informationen zur Fairtrade-Stadt Gütersloh, zu Gütesiegeln, lokalen Projekten, Akteuren und Ansprechpartnern unter www.fairtrade.guetersloh.de!