Stellungsnahme der Initiative pro Fahrrad zur Praxis der Mindestabstände von Autos zu Fahrradfahrenden

Lübbecke. Zwei Jahre ist sie nun alt, die Reform der Straßenverkehrsordnung, gültig seit dem 28. April 2020. Ein wesentliches Ziel war die Erhöhung der Sicherheit, vor allem für Radfahrende. Daher wurde der bisherige „ausreichende Seitenabstand“ konkret festgeschrieben, nämlich auf mindestens 1,5 Meter innerorts und 2 Meter außerorts. Aber was heißt das für die Praxis? Und was bedeutet das an besonders engen Stellen? Diese Fragen hat sich die Initiative pro Fahrrad gestellt und so haben Stefan Kampe, Gerda Klusmeier, Carsten Lührmann, Petra Spona und Jan Weidner an drei Orten eine Besichtigung durchgeführt: vor der Astrid-Lindgren-Grundschule auf der Gehlenbecker Straße, an der Grundschule im Kleinen Feld und am Niederwall/Ecke Jahnstraße.
Die Initiative pro Fahrrad mit ihrem Abstandsbanner schräg gegenüber von der Astrid-Lindgren-Schule. V.l.: Petra Spona, Stefan Kampe, Carsten Lührmann und Gerda Klusmeier. Foto: Jan Weidner/IpF

Die Initiative pro Fahrrad mit ihrem Abstandsbanner schräg gegenüber von der Astrid-Lindgren-Schule. V.l.: Petra Spona, Stefan Kampe, Carsten Lührmann und Gerda Klusmeier. Foto: Jan Weidner/IpF

Die Initiative hat sich für die Aktion ein Banner aus Zeltplane besorgt, das auf der Straße ausgerollt die Abstände augenfällig macht. Das Banner zeigt rechts einen Sicherheitsabstand von einem Meter zu parkenden Autos. Carsten Lührmann erläutert, weshalb. „Es handelt sich hier um die sogenannte ‚Dooring-Zone‘, also den Bereich an parkenden Autos, der versperrt ist, wenn die Autotüren geöffnet sind. Da das unachtsame Öffnen von Türen eine gefährliche Unfallursache für Radfahrende darstellt, bleibt diese Zone in neueren Verkehrsplanungen stets frei und muss bei veralteter Verkehrsführung von Radfahrenden zum eigenen Schutz gemieden werden.“

Links von der Dooring-Zone befindet sich der Platzbedarf der Radfahrenden, der mit mindestens 80cm kalkuliert wird, jedoch z.B. für Räder mit Anhänger oder dreirädrige Lastenräder deutlich breiter sein muss. Zuletzt ist der Mindestabstand eingezeichnet, den Autos zu Radfahrenden einzuhalten haben. Carsten Lührmann erläutert auch die auf dem Banner gezeigte Besonderheit: „Mit dieser neuen Festlegung in der StVO ist nicht außer Kraft gesetzt, dass der Abstand weiterhin ‚angemessen‘ sein muss. Da bereits Gerichte entschieden haben, dass dann, wenn auf dem Fahrrad ein Kind transportiert wird, der Abstand mindestens zwei Meter betragen muss, wird dies mittlerweile selbst vom Automobilclub ADAC als Norm anerkannt.“
Die bewusst zur Verengung und Verkehrsberuhigung angelegte Verkehrsinsel erschwert das Überholen von Radfahrern, hier Carsten Lührmann. Foto: Jan Weidner/IpF

Die bewusst zur Verengung und Verkehrsberuhigung angelegte Verkehrsinsel erschwert das Überholen von Radfahrern, hier Carsten Lührmann. Foto: Jan Weidner/IpF

An der Astrid-Lindgren-Schule an der Gehlenbecker Straße kam die Initiative pro Fahrrad zu dem Ergebnis, dass aufgrund der zum Teil dort parkenden Autos ein Überholen nur über die Gegenfahrbahn möglich ist. Diese bislang beim Überholen von Autos übliche Praxis muss sich non also auch beim Überholen von Radfahrenden einbürgern. An der Grundschule im Kleinen Feld ist erfreulicherweise tagsüber ein absolutes Halteverbot ausgewiesen, so dass es im direkten Schulbereich nicht zum Dooring-Phänomen kommen kann – sofern sich alle Autofahrenden an das Verbot halten. Aber auch hier kann nur unter Nutzung der Gegenfahrbahn überholt werden.

Am Niederwall dagegen wurde deutlich, dass ein Überholen von Radfahrenden nicht möglich ist. Die zur Verengung und damit zur Verkehrsberuhigung angelegte bepflanzte Verkehrsinsel schneidet die Gegenfahrbahn ab. Petra Spona erläutert dabei eine Problematik von Radfahrstreifen. „Radfahrstreifen suggerieren, dass Radfahrende ihre eigene Fahrbahn haben, so dass ein Vorbeifahren auch bei Unterschreiten des Mindestabstands erlaubt sei. Der Mindestabstand gilt aber unabhängig davon, ob auf einer Fahrbahn ein Radstreifen markiert ist oder nicht.“ Die Initiative rät Autofahrenden dort, wo nicht ausreichend Platz ist zum Überholen, es zu unterlassen. „Der geringe Zeitgewinn steht in keinem Verhältnis zur produzierten Gefährdung“ betont Gerda Klusmeier.
Die Initiative pro Fahrrad ist sich darüber bewusst, dass enges Überholen nicht nur eine reale Gefährdung von Radfahrenden darstellt. Das subjektive Gefühl fehlender Sicherheit hält auch viele potentiell am Radfahren Interessierte davon ab, das Rad regelmäßig in der Stadt zu nutzen. Das aber wäre ein wichtiger Schritt für die nötige Verkehrswende. „Es ist zwar erfreulich, dass scheinbar immer mehr Menschen angemessenen Abstand halten“ stellt Petra Spona fest, wendet jedoch ein „es hilft aber leider wenig, wenn nur jedes 50. Auto einen fast mit dem Spiegel umfährt – das ist immer noch zu viel.“
Die Initiative pro Fahrrad fordert daher, dass Lübbecke fahrrad- und familienfreundlich umgestaltet wird. „Es muss bereits in der Verkehrsplanung angelegt sein, Konflikte zwischen Verkehrsteilnehmenden, egal ob per Auto, per Rad oder zu Fuß, weitgehend auszuschließen“ erläutert Stefan Kampe das Kernziel und fordert: „Gerade, weil ein solcher Umbau nicht von heute auf morgen, sondern nur langfristig umsetzbar ist, wird es Zeit, damit zu beginnen“. Für mehr Sichtbarkeit und Selbstbewusstsein von Radfahrenden ruft die Initiative jeden letzten Freitag im Monat und damit am nächsten Freitag, den 29.04.2022, zu einer Critical Mass durch Lübbecke auf. Interessierte finden sich um 18:oo Uhr am Markt ein.