Scienceseeing statt Sightseeing: Eine interaktive Stadttour führt mit wissenschaftlichem Fokus durch Bielefeld

Die FH liefert Input

Dr. Gabriele Klärs vom Fachbereich Gesundheit der FH Bielefeld wurde als Expertin für geschlechtergerechte Medizin hinzugezogen. Im Hintergrund steht symbolisch die Statue „Male/Female“. (S. Jonek/FH Bielefeld)

Dr. Gabriele Klärs vom Fachbereich Gesundheit der FH Bielefeld wurde als Expertin für geschlechtergerechte Medizin hinzugezogen. Im Hintergrund steht symbolisch die Statue „Male/Female“. (S. Jonek/FH Bielefeld)

Gesundheit! Unter diesem Motto steht die Bielefelder Science-Seeing-Tour. Expertinnen und Experten der FH Bielefeld haben sich für den interaktiven Rundgang mit Bielefeld Marketing zusammengetan. Bei der Tour erkunden die Teilnehmenden den Wissenschaftsstandort Bielefeld an sechs Stationen. Dabei entdecken sie, wie Frauen in der Medizin benachteiligt werden und warum die freigelegte Lutter viel mehr bewirkt als ein verschönertes Stadtbild.

Bielefeld (fhb). Am frühen Sonntagvormittag erklimmt eine Gruppe von 15 Personen die Innentreppe des alten Bielefelder Rathauses. Angefeuert werden sie von zwei Frauen: „So, und jetzt spürt einmal, wie eure Muskeln arbeiten“. Einige aus der ungewöhnlichen Frühsportgruppe konzentrieren sich auf das Spiel von Muskeln und Gelenken. Andere schauen sich lieber die Gemälde der ehemaligen Bürgermeister Bielefelds an, die die große Treppe säumen. Doch ist es sind keine Stadtangestellten, die der Wochenendarbeit frönen. Die Gruppe will dem Muskelkater auf die Spur kommen.

Das ist Teil der Science-Seeing-Tour „Gesundheit!“, die quer durch Bielefeld führt. Ein zweiköpfiges Team, bestehend aus einer Stadtführerin und einem Wissenschaftsguide, macht Bielefeld als Wissenschaftsort in etwa zwei Stunden erlebbar. Schwerpunkt der Tour ist das Thema Gesundheit. An sechs Stationen lernen die Teilnehmenden Neues über die Medizingeschichte Bielefelds, den eigenen Körper und die Zukunft der Pflege. Entwickelt wurde die Tour im Rahmen des Wissenschaftsjahres 2022. Unter dem Motto „Nachgefragt!“ konnten Bürgerinnen und Bürger ihre ganz persönlichen Fragen an die Wissenschaft formulieren. Einige dieser Fragen bilden die Basis der Science-Seeing-Tour und werden im Laufe des Rundgangs beantwortet – mit Mitmachgarantie.

Anekdoten und Fachwissen begleiten durch die Wissenschaftsstadt Bielefeld

Start der Tour ist das alte Rathaus, und das nicht ohne triftigen Grund: „Hier am Neumarkt stand bis Ende des 19. Jahrhunderts Bielefelds erstes Krankenhaus“, weiß Stadtführerin Meike Brinkmann. Weil das Krankenhaus aus allen Nähten platze und die Anwohner des bürgerlichen Wohnviertels rund um die Viktoriastraße eine Ansteckung durch die Kranken fürchteten, wurde ein Neubau geplant: An der Oelmühlenstraße/Ecke Teutoburgerstraße eröffnete 1900 das Städtische Krankenhaus – auf dem damals unbebauten Land, um keine Anwohner zu belästigen.

Immer wieder streut Brinkmann solche Anekdoten zur Bielefelder Stadtgeschichte ein. So entdecken auch alteingesessene Bielefelder ihren Wohnort einmal neu. Ergänzt wird der Vortrag der Stadtführerin durch Emilia Sposito, die als Wissenschaftsguide bei der Tour fungiert. Die studierte Gesundheitskommunikatorin schildert den fachlichen Hintergrund der Stationen anschaulich und mit Hilfe von Diagrammen oder Erklärbildern.

Alexander Stirner half bei der Konzeptionierung der Science-Seeing-Tour. Der gelernte Physiotherapeut ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Gesundheit der FH Bielefeld. (S. Jonek/FH Bielefeld)

Alexander Stirner half bei der Konzeptionierung der Science-Seeing-Tour. Der gelernte Physiotherapeut ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Gesundheit der FH Bielefeld. (S. Jonek/FH Bielefeld)

Für die wissenschaftliche Grundlage der Tour hat sich die Bielefeld Marketing GmbH mit Expertinnen und Experten aus Forschung und Lehre zusammengesetzt. „Fachleute aus Bielefeld haben uns bei der Beantwortung der Fragen geholfen“, sagt Maria Munzert vom Wissenschaftsbüro der Bielefeld Marketing GmbH. Sie hat mit vielen Helferinnen und Helfern die Science-Seeing-Touren ins Leben gerufen: „In mehreren Workshops wurden die wissenschaftlichen Antworten möglichst lebendig und anregend gestaltet.“ Unter anderem halfen zwei Beschäftigte der Fachhochschule (FH) Bielefeld bei der Konzeption der interaktiven Stationen: Dr. Gabriele Klärs und Alexander Stirner, beide im Fachbereich Gesundheit beschäftigt. Die Antworten auf die sechs Fragen der Science-Seeing-Tour sind auch als Videos im Internet verfügbar, denn die Tour wurde bewusst digital und analog gestaltet: „Wer unsere Stationen auf eigene Faust erkunden, oder von zu Hause aus Antworten haben möchte, findet die passende Anleitung auf unserer Website“, erklärt Wissenschaftguide Sposito.

Wissenschaftsguide Emilia Sposito veranschaulicht den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, warum Frauen- und Männerkörper unterschiedlich funktionieren. (FH Bielefeld)

Wissenschaftsguide Emilia Sposito veranschaulicht den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, warum Frauen- und Männerkörper unterschiedlich funktionieren. (FH Bielefeld)

Der Unterschied der Geschlechter: Oder warum Männer beim Bücken umfallen

Auf zur nächsten Station: An der Ecke Alfred-Bozi-Straße/Elsa-Brändström-Straße steht die große Skulptur „Male/Female“ des Bildhauers Jonathan Borofsky. Sie soll ein Symbol für das Thema der Station sein: Wie unterscheiden sich männliche und weibliche Körper in der Medizin? Um die Unterschiede zu veranschaulichen, lässt Wissenschaftsguide Emilia Sposito die Teilnehmenden wieder sportlich aktiv werden. Für alle, die es ausprobieren wollen, folgt hier die Anleitung:

Vor eine Wand stellen, sodass die Fußspitzen die Wand berühren. Dann exakt zwei Fußlängen zurückgehen. Jetzt mit durchgestreckten Beinen so weit nach vorne beugen, dass die Stirn die Wand berührt. Einen Eimer zwischen Füße und Wand stellen. Nun soll der Eimer vom Boden genommen und der Körper wiederaufgerichtet werden.

Männer können die Übung meist nicht korrekt ausführen. Sposito erkärt, warum: „Männer und Frauen haben einen unterschiedlich gelagerten Schwerpunkt.“ Bei Frauen liegt dieser eher im unteren Rücken, bei Männern weiter oben im Schulterbereich.

Nach der sportlichen Betätigung folgt eine Verschnaufpause und Brinkmann und Sposito diskutieren mit der Gruppe, wo Frauen in der Medizin benachteiligt werden und welche Gefahren dies birgt. Für diese Station war Dr. Gabriele Klärs vom Fachbereich Gesundheit der FH Bielefeld die Wissenschaftsexpertin. Sie nennt einen häufigen Behandlungsunterschied zwischen Männern und Frauen: „Beschwerden von Frauen werden eher in psychosomatischen Kategorien erfasst; ihnen werden infolgedessen häufiger Schlaf- und Beruhigungsmittel verschrieben als Männern.“

Gemeinsames Überlegen und thematische Vielfalt machen die Tour zum interaktiven Erlebnis

Auch an einer anderen Station ist der Fachbereich Gesundheit der FH Bielefeld vertreten:  Alexander Stirner, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Bildungs- und Versorgungsforschung, ist Experte für Mobilität im Alter: „Die Bewegung soll im besten Fall in den Alltag integriert werden.“ Gemeinsam wird die Gruppe wieder aktiv und bewältigt eine Gleichgewichtsübung, die der gelernte Physiotherapeut Stirner zur Tour beigetragen hat. Anschließend wird zusammen überlegt, wie viel Bewegung der Mensch braucht. „Sitzen ist das neue Rauchen“, bemerkt ein Teilnehmer. Wie gut, dass es schon weiter zur nächsten Station geht, natürlich zu Fuß. So ist der Bewegungsmangel für heute gebannt.

Die letzte Station findet im Park der Menschenrechte rund um die freigelegte Lutter statt. Hier steht die Anpassung des Menschen an immer steigende Temperaturen im Fokus. Der Park leistet seinen Beitrag zu einem angenehmen Stadtklima: Schattenspendende Bäume und der freifließende Bach kühlen die Umgebungstemperatur an heißen Tagen herunter. Teilnehmerin Ronja Bechauf findet diese Station besonders spannend: „Als Raumplanerin interessieren mich städteplanerische Themen natürlich immer. Es ist toll, wie vielfältig die Tour ist.“

Auch 2023 wird es Science-Seeing-Touren durch Bielefeld geben

Und was haben nun Roboter mit der Bielefelder Süsterkirche zu tun? Das sei an dieser Stelle nicht verraten. Wer die Antwort wissen will, kann sich den interaktiv gestalteten Webauftritt der Science-Seeing-Tour ansehen. Wer lieber analog unterwegs ist, kann sich auf der Website für einen Rundgang anmelden. Für Februar und März 2023 wurden neue Termine veröffentlicht. „Die Anfrage ist hoch und die Planung für neue Touren ist im Gange“, berichtet Stadtführerin Brinkmann. Dann wird man wohl wieder Gruppen sehen, die die städtischen Treppen auf der Spur des Muskelkaters erklimmen.