LWL-Volkskundler erforschen Adventskalender und Adventskranz

LWL_Archiv_Dr.-Herwig_HappeWestfalen (lwl). Bereits im Oktober sind sie in Supermärkten und anderen Geschäften kaum noch zu übersehen: Adventskalender in allen möglichen Gestalten. Meist enthalten sie für jeden Tag ein Stückchen Schokolade, aber es gibt auch Ausführungen mit Spielzeug, Büchern und anderen kleinen Geschenken, die schon ganze Gabentische füllen können. Die Volkskundler beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) haben den adventlichen Brauch erforscht.

Es fing ganz bescheiden an mit dem Adventskalender: Um die Mitte des 19. Jahrhunderts überlegten sich viele Eltern, wie sie die Vorfreude ihrer Kinder auf das Weihnachtsfest erhöhen und zugleich auf die Ankunft des Herrn einstimmen konnten. Einige Eltern bastelten Weihnachtsuhren oder Abreißkalender. Eine einfache Variante waren Kreidestriche an der Zimmertür, von denen das Kind jeden Tag einen wegwischen durfte. In anderen Häusern gab es Kerzen, die jeden Tag um ein markiertes Stück herunterbrannten.

1903 gab der Verleger Gerhard Lang in München den ersten gedruckten Weihnachtskalender mit 24 Feldern und Versen für jeden Tag heraus. Nach seinem Vorbild richteten sich auch alle späteren Adventskalender. Langs erster Adventskalender war mit Bildern zum Aufkleben versehen. Kalender mit Fensterchen, die aufgeklappt werden konnten und in denen dann Bilder zu sehen waren, kamen nach dem Ersten Weltkrieg auf. In den 1930er Jahren wurden die ersten Kalender mit Schokoladenfüllung hergestellt. „Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts ist die Vielfalt der Motive und Inhalte fast unbegrenzt. Viele Firmen nutzen den Adventskalender als Werbemittel“, so LWL-Volkskundler Dr. Thomas Schürmann. „Ein Großteil der Kalender hat keinen religiösen Bezug mehr. Daneben gibt es aber weiterhin in vielen Häusern selbstgebastelte Kalender, und auch Kalender mit christlichen Bildern und Sprüchen finden weiterhin ihre Liebhaber.“

Der Adventskranz
Parallel zum Adventskalender kam der Adventskranz auf. Der erste Adventskranz entstand im Hamburger Stadtteil Horn. Dort hatte der Lehrer und Theologe Johann Hinrich Wichern 1833 das Rauhe Haus, eine Einrichtung für heimatlose Kinder aus schwierigen Verhältnissen, gegründet. Am 1. Advent 1839 hängte Wichern im Betsaal des Rauhen Hauses zum ersten Mal einen Adventskranz auf. Dieser Kranz bestand aus einem alten Wagenrad mit aufgesteckten Kerzen: große weiße Kerzen für die Adventssonntage, kleinere rote für die Wochentage dazwischen. An jedem Tag in der Adventszeit wurde ein weiteres Licht angezündet. Bis zum 23. Dezember hing der Adventskranz im Betsaal, dann wurde ein Weihnachtsbaum aufgestellt. 1860 begann Wichern, das Wagenrad zur Adventszeit mit Tannengrün zu schmücken. So entstand der später geläufige Adventskranz. Bei ihm wurden später die kleineren Kerzen für die Wochentage weggelassen.

Verbreitung erlebten die Adventskränze durch den Ersten Weltkrieg und den Jahren danach. Eine wichtige Rolle spielten die Schulen. So berichtet ein pensionierter Lehrer aus der sauerländischen Gemeinde Drewer: „Ich habe den ersten Adventskranz im Dezember 1915 in einem Barackenlager deutscher Soldaten in Frankreich gesehen. 1921 erblickte ich ihn in der Kirche zu Menzel, eine Stunde von Drewer, allerdings mit violetten Schleifen und Bändern, aber mit roten Kerzen. Danach, etwa 1923, habe ich ihn in der Schule und in meiner Wohnung eingeführt. 1926 hing der erste in unserer Kirche.“

Dabei gab es von Anfang an eine Aufgabenteilung zwischen Adventskalender und Adventskranz. So war der Kalender in der Regel ein Geschenk für das einzelne Kind, der Kranz war dagegen stets für eine Gemeinschaft bestimmt, ob in der Wohnung, in der Schule oder in der Kirche.

„Auffallend ist, dass fast alle diese Elemente, die die Kinder auf das Weihnachtsfest einstimmten, im evangelischen Milieu entstanden“, so Schürmann. „Wichern, der Schöpfer des Adventskranzes, war ein von der Erweckungsbewegung inspirierter Theologe, und Gerhard Lang, der den ersten gedruckten Adventskalender herausgab, stammte aus einem schwäbischen Pastorenhaushalt. Kalender und Kranz haben jedoch früh den Sprung über die Konfessionsgrenzen gemacht.“

Strohhalme für die Krippe
Einen parallelen Brauch zum Adventskalender gab es bis in die 1960er Jahre in katholischen Haushalten des Rheinlandes und Westfalens: Jeden Abend durfte das Kind, wenn es gute Taten vollbracht hatte, einen Strohhalm in die Krippe legen, damit das Christkind weicher lag.

Der Gedanke, dass die Kinder artig sein sollten, war bisweilen auch mit dem Adventskalender verknüpft. So bemerkte 1956 der pensionierte Lehrer aus der Gemeinde Drewer: „Um die Kinder auf das Weihnachtsfest vorzubereiten, bürgert sich der Adventskalender immer mehr ein. In Drewer findet man ihn in der Schule und im Elternhause. Das Öffnen eines neuen Fensterchens gilt oft als Lohn für gutes Betragen.“

Heute gönnen sich auch Erwachsene Adventskalender, und nicht selten haben sie sogar mehrere: einen zu Hause und einen im Büro. „Doch ob die Kinder und die Erwachsenen nun artig sind oder nicht: Die Adventskalender sind ein Spiegel der Gesellschaft und ihrer Wertevorstellungen, und sie geben uns nicht zuletzt Hinweise darauf, wie wir Weihnachten feiern“, so Schürmann.

BU: Zwei Mädchen in den 1950er Jahren mit ihrem Adventskalender.
Foto: LWL/Archiv/Dr. Herwig Happe


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