Die neuen Wälder der Egge

Zeit, den Nationalpark Egge auf den Weg zu bringen

Die letzten Jahre haben dem Wald arg zugesetzt. Stürme, Dürre und Borkenkäfer haben in der Egge Spuren hinterlassen und Landschaften verändert. Das hat auch zur Folge, dass die Waldwirtschaft in großen Teilen des Eggegebirges auf viele Jahrzehnte unrentabel geworden ist.

Gütersloh. Zugleich bieten die sogenannten Kalamitätsflächen für die zukünftige Entwicklung der Wälder im Eggegebirge große Chancen. „Dort können sich die neuen Wälder der Egge vielfältig und ganz natürlich entwickeln“, sagt Dr. Günter Bockwinkel von der NZO-GmbH Bielefeld. Der Kampf um Licht und Sonne bestimme das Leben der Pflanzen im Wald. Jeder Baum und jede Pflanze möchte mit den Blättern durch Photosynthese möglichst viel Sonnenenergie einfangen, Kohlendioxid binden und organische Substanz aufbauen.

Auf diese Gelegenheit haben die jungen Buchen gewartet: Sonnenlicht gelangt auf den Waldboden und unzählige junge Buchen bekommen ihre Chance

Auf diese Gelegenheit haben die jungen Buchen gewartet: Sonnenlicht gelangt auf den Waldboden und unzählige junge Buchen bekommen ihre Chance
© Günter Bockwinkel

In natürlichen Wäldern gibt es eine große Anzahl unterschiedlicher Baum- und Straucharten, die ganz verschiedene Größen erreichen und sich in der Wuchsform unterscheiden. Überdies sind die einzelnen Bäume einer Art in einem natürlichen Bestand ganz unterschiedlich alt. „Beispielsweise gibt es neben mehrere hundert Jahre alten Buchen, die bereits tot oder im Absterben sind, auch alle anderen Altersstadien bis hin zum winzigen Buchenkeimling“, so Bockwinkel. Dadurch bedingt entstehe in solchen Wäldern vom Boden bis zum Blätterdach ein sehr vielfältiger Schichtenaufbau. Zudem sei das Kronendach nicht gleichmäßig geschlossen, weil durch natürliches Absterben großer Bäume immer wieder kleine Waldlichtungen entstehen.

Schichtenaufbau in einem natürlichen Buchenwald

Schichtenaufbau in einem natürlichen Buchenwald
© Günter Bockwald

Anders als im natürlichen Wald werden in Wirtschaftswäldern in der Regel gleichartige und gleichalte Baumbestände gefördert, die sich viel besser und leichter mit den heute verbreiteten Großmaschinen ernten lassen. Das Extrem solcher forstlichen Monokulturen stellen Fichtenforste dar. Sie tragen ganzjährig Nadeln, lassen kaum Licht zum Waldboden durch und unterdrücken so fast alle anderen Arten. „Solche dichten und dunklen Fichtenforste haben über viele Jahrzehnte auch weite Teile des Eggegebirges geprägt. Inzwischen haben aber Dürre und Borkenkäfer dafür gesorgt, dass auch in der Egge die ehemals so wuchskräftigen Fichtenbestände fast flächendeckend abgestorben sind“, erklärt Diplom-Biologe Dr. Bockwinkel. Bis zum Sommer 2022 seien innerhalb der Staatswaldfläche des Eggegebirges knapp 3.000 Hektar sogenannter Kalamitätsflächen entstanden. Das entspräche ca. 24 Prozent der gesamten Staatswaldfläche in der Egge. „Für die Forstwirtschaft ist das eine große Katastrophe. Für den Lebensraum Wald eröffnen sich jedoch ganz neue Chancen“, so Bockwinkel.

Die meisten dieser früheren Fichtenflächen sind mittlerweile nicht mehr wüst und leer. Das Sonnenlicht hat Samen und Jungwuchs von Bäumen, Sträuchern und anderen Pflanzen zum Leben erweckt. Große Flächen werden von Pionierwäldern aus Birken eingenommen. In Feuchtbereichen wachsen Schwarz-Erlen und Weiden. Jungwuchs von Ebereschen, Buchen und Eichen entwickelt sich. Bereits in früheren Jahren durchgeführte Unterpflanzungen mit Buchen unter Fichten haben nach dem Absterben der Nadelbäume einen regelrechten Entwicklungsschub gemacht.

Mosaik aus Birkenpionierwald, Buchenpflanzungen und jungen Fichten in einem früheren Fichtenbestand

Mosaik aus Birkenpionierwald, Buchenpflanzungen und jungen Fichten in einem früheren Fichtenbestand
© Günter Bockwinkel

„In wenigen Jahrzehnten werden sich auf den früheren Nadelwaldflächen artenreiche, vielfältige und stabile Laubmischwälder einstellen“, ist sich Bockwinkel sicher. „Die neuen Wälder der Egge werden, anders als die früheren Monokulturen, ein wichtiger Lebensraum für viele typische Tierarten sein“. Solch eine selbstständige Wiederbewaldung ist eine ganz natürliche Entwicklung, bei der die Natur nur etwas Zeit und Ruhe braucht. Ähnliche Entwicklungen mit faszinierenden Ergebnissen hat es auch anderswo schon gegeben. Ein gutes Beispiel dafür sind die früheren Kalamitätsflächen des Nationalparks Bayerischer Wald.

Diesen natürlichen Entwicklungsprozess gelte es zu schützen. Günter Bockwinkel: „Lassen wir der Natur im Eggegebirge Zeit und Raum. Und lassen wir uns überraschen durch die neuen Wälder der Egge!“

Weitere Informationen zum geplanten Nationalpark Egge gibt’s unter www.egge-nationalpark.de.