Bericht von den 30. Detmolder Studientagen

DS1Detmold. Zu  den  30. Detmolder  Studientagen  der Arbeitsgemeinschaft  Getreideforschung  konnten Heiner Lucks (Vorsitzender des Ausbildungsausschusses) und Tobias Schuhmacher (Geschäftsführer der AGF e.V., Detmold) über 80 Teilnehmer begrüßen.  Zu  der dreitägigen Fortbildung  waren Ausbilder, Lehrerinnen und  Lehrer  des Bäcker- und Konditorhandwerks aus  dem  gesamten Bundesgebiet und  der  Schweiz angereist.
Die Eröffnung der Vortragsreihe übernahm Rechtsanwalt Alexander Meyer-Kretschmer, Geschäftsführer des Verbanes der Großbäckereien. Er informierte über die aktuellen Entwicklungen im Lebensmittelrecht,   u.   a. über die Kennzeichnung loser   Ware,   Allergene   und Zusatzstoffe.   Die gegenwärtige Handhabung ergibt sich aufgrund rechtlicher   Lücken. Ferner   hinterfragt   er   die Gruppenkennzeichnung   bei   Allergenen   und   beleuchtet   die Kennzeichnung   bei Überdeckung   von Verpackungsoberflächen.
Dr.   Hasan   Taschan (ehem.   Mitarbeiter   am   chemischen   Untersuchungsamt   Gießen   und   Kassel) informierte in seinem Vortrag über „Vegane Lebensmittel“, die historische Entwicklung des Vegetarismus, die  unterschiedlichen Ernährungsformen sowie die Motive der „Veganer“ bzw. „Vegetarier“.  Zum  stetig wachsenden  Markt für  „vegane“  Produkte präsentierte  er einen  regelrechten Siegel-Wirrwarr, das zu großer  Unübersichtlichkeit für den Verbraucher führen kann.
Über erste Erfahrungen der neuen Lebensmittel-Informationsverordnung (LMIV) im Bereich handwerklich strukturierter Betriebe  berichtete Annette  Neuhaus (Lebensmittelüberwachung  im  Kreis  Lippe).  Von  40 überwachten Betriebsstätten hatte rund ein Viertel noch keine Allergenkennzeichnung. Von den anderen besuchten Betrieben wählten etwa ¾ die „Kladdenlösung“, weitere Betriebe nehmen die Kennzeichnung über   einen   Aushang   bzw.   unmittelbar   am   Produkt   vor. Für   Verstöße gegen   die   Vorgaben   zur Allergenkennzeichnung   fehlen   zurzeit   noch   Sanktionsvorschriften.   Ab Dezember   2016   wird   die Nährwertkennzeichnung   Pflicht,   allerdings   nur   für   vorverpackte   Lebensmittel   und   soweit keine Ausnahmeregelung  nach  Anhang  V  LIMV  besteht.  Die  wichtigste  Ausnahme  betrifft  Lebensmittel,  die  in kleinen Mengen   vom   (handwerklichen)   Hersteller   direkt   an   den   Endverbraucher oder   an   lokale Einzelhandelsge schäfte abgegeben werden.
Daniel   Schneider (Hauptgeschäftsführer   des   Zentralverbandes   des   Deutschen   Bäckerhandwerks) plädierte  in  seinem Vortrag  für  gegenseitige  Rücksichtnahme  und  Offenheit,  wenn  der  handwerkliche Bäcker und der amtliche Lebensmittelkontrolleur aufeinander treffen. Beide Seiten sollten kooperativ die gemeinsamen Ziele   verfolgen,   nämlich   die Herstellung   qualitativ   hochwertiger   und   hygienisch einwandfreier Backwaren und die Prüfung ebendieser Parameter.
Über  den aktuellen Stand  der Forschung  zur  Mutterkorn-Minimierung berichtete Michael Meißner (AGF e.V. Detmold). Er begründet    die    Notwendigkeit,    dass    die    Beteiligten    an    der    Getreide-Wertschöpfungskette  frühzeitig  gezielte Initiativen  ergreifen.  Der  Getreideanbau kann  mit  bestimmten Fruchtfolgen,   Feldbearbeitung   und   bei   der   Auswahl der   Saatgutsorten direkt   Einfluss   auf   die Mutterkornminimierung   nehmen. Für   die Getreidereinigung   und -verarbeitung zeigte er ebenfalls Möglichkeiten auf, die Belastung durch Mutterkorn-Alkaloide (Ergot-Alkaloide) zu reduzieren.
Martina  Mollenhauer (Mühlenchemie  GmbH  &  Co  KG  /  SternEnzym)  referierte  über  den  Einsatz  von Enzymen  bei der Lebensmittelherstellung. Von  bis  zu  30.000  in  der  Natur  vorkommenden  Enzymen werden  ungefähr  100  im großtechnischen  Maßstab  genutzt.  Im  Vergleich  zwischen  Emulgatoren  und Enzymen gewinnen die Enzyme, da sie weniger Produktionsenergie benötigen und wegen ihrer besseren Wirkung  auch  weniger  Transport- und  Lagerkosten  verursachen. Die  verlängerte  Frischhaltung  und gezielte    Textureinstellungen wurden    hervorgehoben.    Es    gibt    jedoch    eine Vielzahl    weiterer Anwendungsparameter für den Enzymeinsatz in der Lebensmittelproduktion.
Wie sich die Qualität glutenfreier Rohstoffe ermitteln lässt, um daraus hochwertige Lebensmitteln für die von Zöliakie betroffenen Menschen herzustellen, zeigte Markus Düsterberg (Ernst Böcker GmbH & Co. KG, Minden). Durch gezielte Untersuchungen der Hauptkomponenten Leinsamenmehl und Stärke eines glutenfreien Leinsamenbrotes können aussagekräftige Qualitätsparameter über deren Verarbeitungs- und Backeigenschaften ermittelt werden.
Die  Unverträglichkeit  bei  Weizen  betrachtete Dr.  Katharina  Scherf (Deutsche  Forschungsanstalt  für Lebensmittelchemie, Freising).  Über  aktuelle  Trends  und  Entwicklungen  führte  ihr  Referat  zu  der Definition vonDS3 Weizenunverträglichkeiten, deren Ursachen und schließlich zu Therapiemöglichkeiten. Da eine glutenfreie Diät nicht unproblematisch ist, empfiehlt sie unbedingt eine ärztlich gesicherte Diagnose, denn für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung ist der Weizenverzehr unbedenklich.
Siegfried Brenneis (Bäckerei-Produktionsleiter, Odenwald) informierte über  die Geschichte des Dinkels bis in die Gegenwart. Die Vorteile in der täglichen Ernährung sind unbestritten, jedoch ist die Produktion ansprechender Backwaren mit  Dinkel sehr  anspruchsvoll.  Hier gab der erfahrene  Bäckermeister,  der auch   Teamkapitän   der Bäcker-Nationalmannschaft   ist, vielseitige   Hinweise,   um den   vermeintlich schlechten Verarbeitungseigenschaften entgegen zu wirken.
Prof. Jürgen-Michael  Brümmer (ehem. MA der Bundesanstalt  für  Getreideforschung,  Detmold)  zeigte die stoffliche Andersartigkeit des Vollkorns gegenüber den üblichen Typenmehlen auf. Beim Blick auf die Verarbeitungseigenschaften zeigte   er,   dass   die   richtige   Sortenwahl,   ganz   besonders   aber   der Zerkleinerungsgrad, die bäckereitechnische Verarbeitung beeinflusst.
Einen geschichtlichen Rückblick bot der Vortrag von Dirk Steinmeier (CSM Solutions, Bingen), der den Backwarenmarkt hinsichtlich der  Verwendung  von  Emmer,  Einkorn und Waldstaudenroggen  beleuchtet. Im Zuge der Nachhaltigkeitsdebatte sind diese Pflanzen besonders wertvoll, weil sie ohne bzw. mit sehr geringer Düngung auskommen. Allerdings stellen die Verarbeitungseigenschaften erhöhte Anforderungen an  die Bäckereien.  Der  Markt  für  Produkte  aus  diesen  Pflanzen  steht am Anfang  eines  steigenden Trends.
Abschließend wurden bereits am Markt etablierte Bäckerei-Produkte vorgestellt. Dr.   Gisela   Zabel (SOL-Trainerin   in   der Lehrerfortbildung   an   Beruflichen   Schulen   /   Dipl.-Ing. Lebensmitteltechnologie,   Tübingen)   berichtete   von   ihren Erfahrungen   zur   individuellen   Förderung lernschwacher   Schüler.   Angelehnt   an   die   drei   Handlungsfelder   zur individuellen   Förderung, die Beziehungsgestaltung,  die  Lernzielgestaltung und  die  pädagogische  Diagnose  und Förderplanung, stellte sie einige Möglichkeiten für die Umsetzung im Unterricht von Nahrungsklassen vor.
Einen  breiten  Raum  nahm  der  Vortrag  von Thomas  B.  Schulte (freiberuflicher  Berater  und  Trainer  für Bildungseinrichtungen, Münster) ein. Er stellte zielgruppen- und themenbezogenen Didaktik und effiziente Lernmethoden vor.  An  zahlreichen Praxisbeispielen  zeigte er  erfolgreiche Unterrichtsmethoden  und gab dabei Tipps für motiviertes und aktives Lernen. Er betonte die Wichtigkeit von
• Ziele und Begeisterung als treibende Kräfte,
• Sicherheit gebender Orientierung und Transparenz,
• spannender und abwechslungsreicher Unterrichtsgestaltung und
• entspannender, aktiver Unterbrechungen und Konzentrationsübungen.
Heiner  Lucks (Hannover)  war  im  Rahmen des  SES  (Senior  Experten  Service-Stiftung  der  Deutschen Wirtschaft für internationale Zusammenarbeit) für drei Monate in Vietnam, um dort eine Berufsausbildung für  Bäcker  zu  etablieren.  Er berichtete anhand  vieler  Bilder  von  diesem  Projekt  und warb anschließend dafür,  dass  sich  aus  dem  Dienst ausscheidende Kolleginnen und  Kollegen in  der  Entwicklungshilfe engagieren.
Den  Lippischen   Pickert präsentierte Karl-Heinz  Grothe (ehem.  Mitarbeiter der Bundesanstalt  für Getreideforschung, Detmold).  Dem geschichtlichen Hintergrund  dieser  regionalen  Spezialität  folgten Rezeptur- und Herstellungsanweisungen. Im anschließenden Praktikumsteil konnten die Teilnehmer den klassischen Pickert und eine glutenfreie Variante herzhaft oder süß verkosten.
Über  die Grundlagen der  Snackherstellung  informierten Jürgen  Rieber (Fa. Wiesheu,  Affalterbach).  Mit vielen  Bildern belegte er,  dass  der  Snackbereich  noch  viel  Potential  für  den  Bäcker  bietet,  sich  vom Selbstbedienungsgeschäft  und vom Systemgastronomen abzusetzen. Sein Credo: „Wer nur Backwaren anbietet, bekommt auch nur Backwaren bezahlt!“
An praktischen Beispielen zeigten sein Kollege Dominik Scharf und  er,  mit  wie  wenig  Zusatzarbeit  sich pikante Brotkuchen oder  Ciabatta-Snacks in  vielen Varianten herstellen lassen. Zum  Abschluss  danke  Heiner  Lucks  allen Vortragenden  und den  Mitarbeiterinnen  und  Mitarbeitern  der AGF für die gute Organisation der 30. Detmoder Studientage. Die Teilnehmer entließ er mit dem Appell, weiterhin  für  rege  Teilnahme  an  den Studientagen zu  sorgen,  damit  diese – deutschlandweit – einzige Fortbildung  für  Lehrer  und  Ausbilder  des  Bäcker- und  Konditorhandwerks  nicht  mangels Beteiligung infrage gestellt wird.
Die   nächsten   Detmolder   Studientage finden  statt  vom  20.   bis 22.   Februar   2017.
Nähere Informationen dazu werden ab Jahresbeginn 2017 auf der Homepage der AGF (www.agfdt.de) zu finden sein.

Text:  Franz Steeger
Fotos: Arbeitsgemeinschaft Getreideforschung (AGF) e.V. / DIGeFa GmbH