Zweites Leben für Laptop und Co.

Paderborn . Paul Cvilak ist ein Visionär. „Lasst uns beweisen, dass wir ein Unternehmen im IT-Bereich aufbauen können, das sich konkurrenzfähig am Markt behaupten kann und dabei einen Dienst an der Gesellschaft leistet“, sagte der charismatische Unternehmer 2004. Und gründete im baden-württembergischen Ettlingen die AfB gemeinnützige GmbH (Arbeit für Menschen mit Behinderungen). Die Geburtsstunde einer außergewöhnlichen Inklusions-Erfolgsgeschichte.

Fast die Hälfte der Beschäftigten der AfB sind Menschen mit Behinderung. So wie auch Jutta Dieckmann (l.), die sehr gut mit ihrem Job sowie ihren Arbeitskolleginnen und den Praktikanten klarkommt. Foto: LWL

Fast die Hälfte der Beschäftigten der AfB sind Menschen mit Behinderung. So wie auch Jutta Dieckmann (l.), die sehr gut mit ihrem Job sowie ihren Arbeitskolleginnen und den Praktikanten klarkommt.
Foto: LWL

Über 15 Jahre später. Jutta Dieckmann sitzt an ihrem Schreibtisch in der geräumigen Aufbereitungshalle der AfB an der Otto-Stadler-Straße in Paderborn. Mit einem Heißluftfön löst sie Etiketten und Aufkleber von Netzteilen und Adaptern. „Ich sortiere die Netzteile nach Hersteller und Amperezahl“, erklärt sie. Neben ihrem Tisch stehen mehrere Kisten.

Perfekt getaktetes System
Dieckmann ist Teil eines bis ins Detail organisierten und getakteten Systems von Abholung, Datenvernichtung, Aufbereitung, Wiedervermarktung und der Entsorgung von IT- und Mobilgeräten. Die AfB gilt als Europas erstes und größtes gemeinnütziges IT-Unternehmen – und befindet sich weiter auf strammem Wachstumskurs. Der Betrieb ist darauf spezialisiert, ausgemusterte IT-Geräte von Unternehmen, Versicherungen, Banken und öffentlichen Einrichtungen zu übernehmen und dabei so viele Geräte wie möglich wieder zu vermarkten.

Der vom LWL geförderte Inklusionsbetrieb bearbeitet jährlich über 360.000 Geräte, die er von rund 700 Unternehmen zur Verfügung gestellt bekommt. Menschen mit Handicap wie Jutta Dieckmann stellen fast die Hälfte der gut 380 Beschäftigten, am Standort Paderborn sind es 16 von 33 Mitarbeitern.

Wiederverwendungskreislauf
Der Markt für diesen Wiederverwendungskreislauf ist groß. „Wir arbeiten mit Konzernen wie Thyssen-Krupp, RWE oder Siemens zusammen, aber auch mit regionalen Firmen, Behörden und Institutionen“, sagt Monika Braun. Die AfB-Prokuristin spricht dabei stets von „Partnern“. Und denen kann die AfB durchaus etwas bieten.

„Sämtliche Datenträger werden im Rahmen eines zertifizierten Prozesses nach höchsten Sicherheitsstandards gelöscht oder geschreddert. Die Geräte werden per IT-Sicherheitstransport von unserem eigenen Personal mit unserem eigenen Fuhrpark abgeholt und zur nächstgelegenen AfB-Niederlassung transportiert“, erläutert Braun. Neben der Datenvernichtung werden die Geräte erfasst, getestet, gereinigt, mit neuer Software bespielt und anschließend verkauft – mit bis zu drei Jahren Gewährleistung. Nicht mehr vermarktbare Hardware wird nach ökologischen Standards zerlegt und recycelt. Der ursprüngliche Eigentümer der Geräte erhält alle relevanten Nachweise zur Datenvernichtung.

Fujitsu-Aus als Chance
Niederlassungsleiter Dietmar Mormann hat alle Arbeitsschritte im Blick. Er kam 2018 vom japanischen Technologiekonzern Fujitsu, als der sein Paderborner Werk dicht machte. „Ich hatte schon vorher AfB-Gründer Paul Cvilak kennengelernt“, sagt Mormann. „Damals haben wir noch über eine mögliche Kooperation von Fujitsu und AfB gesprochen.“ Dann kam die Schließung des Fujitsu-Standorts. Mormann begriff das als Chance, die AfB nach Paderborn zu holen. „Wir haben dann eine Ausschreibung von Fujitsu gewonnen, eine weitere von Diebold Nixdorf, und dann ging alles ganz schnell“, sagt Mormann.

AfB fand mit einer 3.200 Quadratmeter großen Halle eines ehemaligen Schulbuch-Verlags eine optimale Immobilie. Der neue Niederlassungsleiter brachte gleich noch eine ganze Reihe ehemaliger Fujitsu-Kollegen mit. „Wir haben 2018 mit zwölf Leuten hier angefangen“, erzählt Mormann. Um dann personell rasch aufzustocken. „Paderborn mit seinen IT-Unternehmen hat einfach das Potenzial.“

Wettbewerbsvorteil
Eine Zusammenarbeit mit der AfB ist nicht nur gut für das soziale und ökologische Gewissen, sie kann ein echter Wettbewerbsvorteil sein. „Das gesellschaftliche Engagement durch eine Partnerschaft mit der AfB können unsere Partner kommunizieren und somit als Vertriebsvorteil nutzen“, heißt es auf einem Imageflyer des Unternehmens. Der Zusatz „social & green IT“ im Firmentitel weist darauf hin. Sozial ist die inklusive Ausrichtung der AfB, grün sind etwa Einsparungen von CO2, Rohstoffen und Energie durch die Wiederverwertung der IT-Geräte.

Die AfB-Beschäftigten mit Behinderungen in Paderborn haben seelische, körperliche und Sinnesbeeinträchtigungen. „Aber das spielt im Arbeitsalltag keine Rolle“, sagt Braun. Martin Gasse etwa organisiert die Verteilung der Hardware am Wareneingang. Dort werden die firmeneigenen Transporter entladen. „Ich sortiere und erfasse die hereinkommenden Geräte“, sagt er.

Hauseigenes Warenwirtschaftssystem
Bernd Schmelter kümmert sich um die Detailerfassung im hauseigenen Warenwirtschaftssystem. Und er schaut, ob die Datenlöschung tatsächlich vollständig ist: „Ich bin so etwas wie die letzte Instanz.“ Thomas Müller wiederum löscht Server. Gut und gerne 20 pro Tag. Dann sortiert er sie und macht die Enderfassung für den Verkauf. Für ihn ein Traumjob: „Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, woanders zu arbeiten.“

Die aufbereiteten Server, PCs, Notebooks, Bildschirme, Drucker und Handys bietet AfB teilweise im Shop an. Das macht zum Beispiel Andy Swanston. Zu seinen Kunden zählen Privatpersonen, vor allem auch ältere Menschen, ebenso wie Steuerberaterinnen oder Zahnarztpraxen. Was sie alle am AfB-Shop schätzen, ist die ausführliche und persönliche Beratung. „Und sollte ein Käufer mit seinem Gerät daheim nicht klarkommen, dann fahren wir vorbei und helfen ihm“, sagt Mormann.

Das AfB-Konzept baut auf flache Hierarchien, alle Mitarbeiterinnen duzen sich, vom Firmengründer bis zum Praktikanten. Es gibt eine Niederlassungsleitung, eine Technische Leitung und die Teams – mehr nicht. Im Sommer wird oft gemeinsam gegrillt, der Zusammenhalt ist groß. Mehrmals im Jahr schaut auch AfB-Gründer Paul Cvilak in Paderborn vorbei. Er kennt fast alle Beschäftigten persönlich und nimmt sich Zeit für Gespräche. Seine Vision von 2004 ist längst Wirklichkeit geworden. In Paderborn und anderswo an einem der mittlerweile 18 Standorte in fünf europäischen Ländern

Hintergrund
Die LWL-Messe der Inklusionsunternehmen bringt Unternehmen, Menschen mit und ohne Behinderung, Entscheiderinnen und Entscheider sowie Interessierte zusammen. Am 18. März 2020 findet sie zum fünften Mal statt, in diesem Jahr erstmals in der Messe Dortmund mit mehr Platz für die rund 130 Ausstellenden und unter dem Motto „Inklusion entfaltet“.

Hintergrund Integrationsunternehmen
In Westfalen-Lippe gibt es zurzeit rund 170 Integrationsunternehmen oder -abteilungen in Firmen aus Industrie, Handel und Gewerbe, in denen etwa 2.200 Menschen mit Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten. Die Betriebe, die zum großen Teil Mitarbeiter mit Handicaps beschäftigen, sind rechtlich und wirtschaftlich selbstständig. Sie müssen sich wie jedes andere Unternehmen am freien Markt behaupten.

Der LWL unterstützt diese Firmen mit Mitteln aus der Ausgleichsausgabe, die Unternehmen leisten müssen, die nicht mindestens fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Mitarbeiterinnen besetzen. Die Integrationsunternehmen bekommen Zuschüsse zu Investitionen, betrieblichem Mehraufwand, Betreuung und Lohnkosten. An der Finanzierung beteiligen sich auch die Bundesagentur für Arbeit, das Land Nordrhein-Westfalen über das Programm „Integration unternehmen!“ sowie die Stiftung Wohlfahrtspflege NRW und die Aktion Mensch. Hinzu kommen Mittel aus dem Förderprogramm „Inklusionsinitiative II – AlleImBetrieb“ des Bundes. Die Arbeitsplätze sind im Schnitt deutlich kostengünstiger als die Plätze in den Werkstätten für Menschen mit Behinderung.

Die LWL-Messe der Integrationsunternehmen wird präsentiert unter http://www.lwl-messe.de. Geschichten, Infos und Wissenswertes rund um das Thema »Arbeiten und Inklusion« bietet der Blog: http://www.inklusives-arbeitsleben.lwl.org, der auch bei Facebook unter http://www.facebook.com/inklusives.arbeitsleben vertreten ist. Ein Überblick über die Integrationsunternehmen und -abteilungen in Westfalen ist unter http://www.integrationsunternehmen-westfalen.lwl.org zu finden. Zudem ist in den App-Stores von Apple und Android eine App zur Messe erschienen. Einen Kurzfilm zum Thema Integrationsunternehmen ist hier zu sehen: http://yutu.be/8klZxW-77dg

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