Paderborn. Im vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Wissenschaftsjahr dreht sich 2019 alles um das Thema Künstliche Intelligenz (KI). Schon heute bestimmen Anwendungen, die auf Digitalisierung und Maschinellem Lernen basieren, weite Bereiche unseres Lebens:
Von virtuellen Assistenzsystemen über Industrieroboter bis hin zu humanoiden Pflegekräften – die intelligenten Maschinen nehmen uns viel Arbeit ab. Wie diese Systeme funktionieren und welche gesellschaftlichen Implikationen es dabei gibt, erörtern Paderborner Wissenschaftler im Rahmen eines Themenspecials. Dabei liegt der Fokus auf ihrer Forschung, mit der sie die Entwicklung mitgestalten.
„Hello, Robot!“: Wie Künstliche Intelligenz Kinder beim Spracherwerb unterstützt: „Ich packe meinen Koffer und nehme mit: ein himmelblaues Kleid.“ Der kleine, humanoide Roboter NAO übt mit einem Vorschulkind komplexe Adjektive. Keine ungewöhnliche Situation im „SprachSpielLabor“ der Universität Paderborn. Hier erforscht Nils Tolksdorf gemeinsam mit Prof. Dr. Katharina Rohlfing und ihrem Team, wie sich durch den Einsatz von sogenannten sozialen Robotern Sprachbildung und flüssige Kommunikation trainieren lassen.„Bei dem Spiel geht es darum, die Bedeutung einzelner Worte zu erfassen. Zuerst stehen einfache Nomen und Adjektive auf dem Plan, später lernen die Kinder, aus diesen Worten komplexe Farbadjektive zu bilden – wie beispielsweise ‚himmelblau‘“, erklärt die Psycholinguistin.
Dazu sprechen die Kinder mit NAO und lesen gemeinsam mit dem Roboter ein Buch. NAO zeigt auf eine Abbildung: „Das ist gelb wie eine Zitrone“. „Durch die zuvor geübten Muster könnten die Kinder jetzt aus ihrer Erfahrung heraus auf ‚zitronengelb‘ kommen, ohne dass darauf explizit hingewiesen wird“, erklärt Rohlfing. Komplexe Handlungen als Herausforderung: Kommunikation ist geprägt von Mustern: „Und zwar nicht nur in ihrem Aufbau, also bei Wörtern, Satzbau und Grammatik, sondern auch hinsichtlich ihrer Anwendung im Rahmen der Interaktion. Erst durch dieses Zusammenspiel erhalten Aussagen einen Sinn. Kinder lernen zum Beispiel neue Wörter, indem sie Objekte mit deren Benennung in einen Handlungskontext bringen. Dabei spielen auch die Koordination von Sprache und das direkte Einbeziehen des Körpers eine Rolle. Das ist der Fall, wenn eine Mutter sagt ‚Du bist sooooo groß‘ und dabei die Arme des Kindes nach oben hebt“, so die Expertin.
Kinder lernen schon früh, ihre Handlungen auf das Gegenüber abzustimmen. Woher weiß nun aber der Roboter, wie er angemessen reagiert? „Wir wenden psycholinguistische Methoden an und tragen mit dem Einsatz der Roboter zur Entwicklung neuer Methoden im Bereich der Aneignung von Erstsprachen bei. Das Verhalten des Roboters könnten wir bereits mithilfe von Maschinellem Lernen trainieren. Aber das reicht noch nicht“, sagt Rohlfing. Wichtig für eine erfolgreiche Mensch-Maschine-Kommunikation wäre z. B. ein Gedächtnis für Strukturen und Routinen, die bei komplexen Handlungen zum Tragen kommen. Im zwischenmenschlichen Dialog passiert das automatisch, die Gesprächspartner wissen über Routinen Bescheid und stimmen sich ab. „Bei Maschinen ist das noch nicht der Fall“, sagt die Wissenschaftlerin und nennt ein konkretes Beispiel: „Ein Buch gemeinsam zu lesen, ist eine solche komplexe Handlung. Angefangen beim Auswählen des Buches über das Aufschlagen, auf Texte oder Bilder zu schauen, auf sie zu zeigen und sie in Abstimmung mit dem Gegenüber mit sprachlich sinnvollen Aussagen zu verbinden. Hinzu kommen in der Regel noch Mimik und Gestik. Diese kommunikative Vielfalt kann ein Roboter noch nicht eigenständig umsetzen und auch nicht auf alles gleichzeitig reagieren“.
Aktuell arbeiten die Wissenschaftler daran, solche Strukturen in Algorithmen zu überführen. Dabei untersuchen sie, welche Muster es in einer Kommunikation gibt und wie diese in Interaktion mit Robotern umgesetzt werden können. „Ziel ist es, einerseits den kindlichen Spracherwerb spielerisch zu fördern, andererseits Fortschritte auf dem Gebiet der Interaktion mit Künstlicher Intelligenz zu erzielen“, lautet Rohlings Fazit.Das auf drei Jahre angelegte Forschungsprojekt „merits“ ist beim NRW Graduiertenkolleg „Digitale Gesellschaft“ angesiedelt. Bei der standortübergreifenden Einrichtung arbeiten Promovierende an unterschiedlichen NRW-Hochschulen zusammen. So konnte Nils Tolksdorf die Roboterstudie mit seiner Tandemkollegin aus der Medienpädagogik der TH Köln durchführen. Das Kolleg wird vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW gefördert.