Studie: „BREXIT“ könnte teuer werden

Gütersloh. Falls Großbritannien nach den Unterhauswahlen am 7. Mai 2015 und in Folge eines Austrittsreferendums die EU im Jahr 2018 verlassen sollte, hätte dies langfristig negative Folgen für die Wachstumsdynamik und den Wohlstand des Landes. Die wirtschaftlichen Einbußen für Deutschland und die restlichen EU-Staaten wären hingegen deutlich geringer. Unter dem Strich würden aber alle Beteiligten durch einen britischen EU-Austritt (BREXIT) ökonomisch und politisch verlieren. Zu diesem Fazit kommt eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung in Zusammenarbeit mit dem ifo-Institut München. Erstmals werden darin die Folgen eines britischen EU-Austritts nicht nurfür das Vereinigte Königreich, sondern auch für alle anderen EU-Staaten berechnet.

Die Berechnung der wirtschaftlichen Effekte eines EU-Austritts ist mit zahlreichen Unsicherheiten verknüpft und muss auch mögliche Übergangsfristen berücksichtigen. Um die Bandbreite möglicher Effekte abzuschätzen, wurden drei Szenarien entwickelt. Im günstigsten Fall erhält Großbritannien einen ähnlichen Status wie die Schweiz und hat weiterhin ein Handelsabkommen mit der EU. Im ungünstigsten Fall verliert das Land hingegen alle Handelsprivilegien, die sich aus der EU-Mitgliedschaft und den Freihandelsabkommen der EU ergeben. Im Jahr 2030, also 12 Jahre nach einem möglichen BREXIT, ist davon auszugehen, dass die negativen Effekte ihre volle Wirkung zeigen.

Je nach Ausmaß der handelspolitischen Abschottung Großbritanniens könnte das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Einwohner im Jahr 2030 zwischen 0,6% und 3% geringer ausfallen als bei einem Verbleib in der EU. Werden die prozentualen Einbußen auf die Werte des Jahres 2014 bezogen, so würde dies im für Großbritannien günstigsten Szenario ein um knapp 220 Euro geringeres reales BIP je Einwohner bedeuten. Bei einer stärkeren Abschottung läge das verlorene BIP bei 1.025 Euro pro Kopf. Werden darüber hinaus nicht nur handelsökonomische, sondern auch dynamische wirtschaftliche Folgewirkungen, wie zum Beispiel eine geringere Innovationskraft und die Schwächung des Finanzzentrums London, miteinbezogen, könnten die BIP-Einbußen im ungünstigsten Szenario bei bis zu 14% liegen. Wird diese prozentuale Einbuße wiederum auf den Wert des Jahres 2014 bezogen, entspräche dies einem um rund 313 Milliarden Euro niedrigeren BIP für die gesamte Volkswirtschaft beziehungsweise einem um 4.850 Euro geringeren BIP je Einwohner. Zugleich würden mögliche Einsparungen wie der Wegfall der EU-Haushaltszahlungen, die derzeit bei rund 0,5% des britischen BIP liegen, selbst im günstigsten Fall die wirtschaftlichen Verluste nicht kompensieren.

Ein Austritt aus der EU würde dabei vor allem die Kosten des Handels zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich erhöhen und die Handelsaktivitäten verringern. Einzelne britische Branchen würden unterschiedlich hart getroffen. Für den bedeutenden Bereich der Finanzdienstleistungen liegen die erwarteten Wertschöpfungseinbußen im ungünstigsten Szenario bei knapp 5%. Auch die Sektoren Chemie, Maschinenbau und die Kfz-Branche, die besonders stark in die europäischen Wertschöpfungsketten eingebunden sind, müssten hohe Wertschöpfungseinbußen hinnehmen. Der größte Rückgang wird dabei mit fast 11% für den Bereich Chemie erwartet.

Für Deutschland und die restliche EU hingegen würden wirtschaftliche Wohlfahrtsverluste eines BREXIT deutlich geringer ausfallen. Abhängig vom Ausmaß der handelspolitischen Isolierung Großbritanniens würde das reale Bruttoinlandsprodukt BIP in Deutschland je Einwohner im Jahr 2030 bei einer Betrachtung der reinen Handelseffekte nur zwischen 0,1% und 0,3% geringer ausfallen als bei einem Verbleib des Vereinigten Königreiches in der EU. Bezogen auf das BIP des Jahres 2014 entspräche dies einem um rund 30 bis 115 Euro geringerem BIP je Einwohner. Einzelne Branchen wären wiederum unterschiedlich von geringeren Exporten in das Vereinigte Königreich betroffen. Der größte Rückgang würde in der Kfz-Branche mit bis zu 2% anfallen. Neben der Kfz-Branche müssten auch die Elektronik-Branche, die Metallerzeugung, und die Lebensmittelbranche mit negativen Einschnitten rechnen. Bei der Berücksichtigung dynamischer Folgewirkungen lägen die geschätzten BIP-Einbußen in Deutschland zwischen 0,3 und 2%. Bezogen auf die volkswirtschaftlichen Werte des Jahres 2014 wären dies rund 100 Euro je Einwohner (beziehungsweise 8,7 Milliarden Euro für die gesamte Volkswirtschaft) bei einer geringen Abschottung Großbritanniens und rund 700 Euro je Einwohner (beziehungsweise fast 58 Milliarden für die gesamte Volkswirtschaft) beim Verlust aller britischen Handelsprivilegien. Zu den Ländern, die in Europa durch einen BREXIT überdurchschnittliche hohe Einbußen verzeichnen müssten, gehören allen voran Irland gefolgt von Luxemburg, Belgien, Schweden, Malta und Zypern.

Neben den ökonomischen Wachstumsverlusten müssten sich die verbleibenden EU-Staaten auf zusätzliche Mehrausgaben für den EU-Haushalt einstellen. Durch den Ausfall der britischen Beiträge müsste beispielsweise Deutschland als größter Nettozahler jährlich zusätzlich 2,5 Milliarden Euro brutto beisteuern. Für Aart De Geus, den Vorstandsvorsitzenden der Bertelsmann Stiftung, verdeutlicht die Studie die Notwendigkeit, sich für den Verbleib des Vereinigten Königreiches in der EU stark zu machen: „Schon allein ökonomisch wäre ein BREXIT ein Verlustgeschäft für alle in Europa, allen voran für die Briten. Neben den wirtschaftlichen Folgen wäre dies aber vor allem auch ein herber Rückschlag für die europäische Integration sowie Europas Rolle in der Welt. Jede
Weichenstellung durch die Unterhauswahlen hin zu einem BREXIT würde die Gemeinschaft schwächen.“