Forschungs-Projekt RISK_M: Tagung zum Hochwasserschutz an der Fachhochschule Bielefeld.
Bielefeld. Der Hochwasserschutz stand im Mittelpunkt einer Tagung an der Fachhochschule Bielefeld. 20 führende Forscherinnen und Forscher aus unterschiedlichen Fachdisziplinen diskutierten über die Optimierung des Managements bei extremen Wetterverhältnissen. Ein Zwischenfazit ist, dass die technischen und vor allem die kommunikativen Bedingungen weiter verbessert werden müssen. Das betrifft zum einen technische Lösungen wie Deiche, Mauern, mobile Schutzwände, steuerbare Hochwasserpolder, zum anderen aber auch den Informationsaustausch zwischen den zuständigen Behörden und letztendlich die Steigerung der Eigenverantwortung der betroffenen Bürgerinnen und Bürgern im Katastrophengebiet. Prof. Dr. Sebastian Bamberg, Sozialpsychologe am Fachbereich Sozialwesen der FH Bielefeld: „Wir brauchen ein neues Bewusstsein in Sachen Hochwasserschutz. Es muss eine Balance geben zwischen den Verantwortungen der einzelnen Bürger und dem staatlichen Handeln.“ Dr. Christian Kuhlicke vom Leipziger Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung ergänzt: „Solidarität, das ist die große Herausforderung.“ Naturkatastrophen, da sind sich die Experten sicher, wird es künftig häufiger und auch an immer mehr Orten, etwa bei Starkregen, geben.
Diskutiert wurden die Ergebnisse des Forschungs-Projekt „RISK_M – Soziale Mobilisierung zur Optimierung eines Risikomanagements bei extremen Hochwasserereignissen“. Das Projekt wird in Kooperation der FH Bielefeld mit dem Bundesverband des Arbeiter-Samariter-Bundes durchgeführt. Auf Seiten der FH Bielefeld wird es von Dekan Prof. Dr. Michael Stricker geleitet.
Im Rahmen des Projektes wurden im vergangenen Jahr sechs Workshops zum Thema privater Vorsorge gegen Hochwasserschäden in Sachsen-Anhalt, Sachsen, Berlin und Hamburg durchgeführt. Die zentrale Frage, so Bamberg: „Was kann ich tun, um mich und meinen Besitz vor Hochwasser zu schützen?“. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer lernten zum Beispiel, was in eine Notfallkiste gehört, welche Internetseiten und Apps hilfreich sind und welche Maßnahmen dazu beitragen können, die Schäden am eigenen Haus zu verringern. Erfasst wurde unter anderem, wie gut informiert zur privaten Hochwasservorsorge sich die Befragten fühlten, ob sie sich selbst als fähig einschätzten, Vorsorgemaßnahmen zu treffen. Die Ergebnisse hätten gezeigt, dass sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach der Veranstaltung „im Mittel deutlich informierter und auch fähiger fühlten“, so Bamberg, „aber es gibt grundsätzlich Nachholbedarf in der Informationspolitik, um sich vor Ort angemessen verhalten zu können“.
Die Forscher untersuchten auch den Nutzen eines Computerlernspiels zur Stärkung der privaten Hochwasservorsorge. Das Spiel informiert über Verhaltensmaßnahmen und bauliche Maßnahmen zum Schutz des eigenen Hauses. Es zeigte sich, dass diejenigen, die gespielt hatten, ihre persönlichen Fähigkeiten zur Hochwasservorsorge deutlich höher einschätzten als Personen einer Kontrollgruppe. Bamberg: „Die Spieler hatten aber nicht nur einen Wissenszuwachs zu verzeichnen, sondern wurden durch das Spiel auch motiviert, in nächster Zeit tatsächlich einzelne Vorsorgemaßnahmen zu treffen.“
Am Projektstandort Lüneburg wurden zudem Strukturen und Prozesse der Zusammenarbeit der im Katastrophenfall beteiligten Akteure, also einzelne Personen, Institutionen und Organisationen, analysiert und weiterentwickelt. Dieser unter dem Begriff „Kooperationsmanagement“ gefasste Ansatz hat einen deutlich präventiven Charakter. Bamberg: „Es wird versucht, sich möglichst frühzeitig eine transparente und verlässliche Basis der Zusammenarbeit zu schaffen, um so dem Auftreten von Missverständnissen, Irritationen und Konflikten bei einem Hochwasserereignis vorzubeugen.“
Prof. Dr. Annegret Thieken vom Institut für Erd- und Umweltwissenschaften der Universität Potsdam, meint in diesem Zusammenhang: „Es wir künftig mehr um kollektiv gefasste Entscheidungen gehen, und es werden Konzepte notwendig sein, die nicht ein einzelnes Haus, sondern ganze Stadtteile berücksichtigen.“
Nachgefragt hat das Forscherteam bei den professionellen Katastrophenhelfern, wie sie die Beteiligung und die Motivation der Freiwilligen sowie die Situation der vom Hochwasser betroffenen Bürger sehen. Torsten Masson vom Arbeiter-Samariter-Bund, Regionalverband Leipzig: „Hier müssen weitere Lernprozesse in Gang gesetzt und die Kommunikation sollte intensiviert werden bis hin zur Nachsorge und der Erledigung von zum Beispiel Versicherungsfragen.“ Psychologe Bamberg ergänzt: „Auf der Grundlage unserer differenzierten Analysen wollen wir jetzt Ansätze einer transparenten Kommunikation und einer kooperativen Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Akteuren fördern und weiterentwickeln.“
Denn im Kern des Projektes „RISK_M“ geht es um Handlungsempfehlungen für einzelnen Individuen und Gruppen und nicht um technische Lösungen im Hochwasserschutz. Prof. Dr. Annegret Thieken erinnert an das Jahrhunderthochwasser im Jahr 2013: „Leider müssen wir feststellen, dass es seitdem keine Verhaltensänderungen bei den Betroffenen gegeben hat und dass es in der Regel keine private Vorsorge für den Notfall gibt.“