186 Millionen Überstunden in NRW – 58 Prozent unbezahlt
Bielefeld. Überstunden, Arbeiten am Wochenende und in der Nacht: In Ostwestfalen-Lippe ist das für die über 28.000 Beschäftigten der Ernährungsindustrie alles andere als ungewöhnlich. Ebenso wenig für die 18.000 Mitarbeiter des Gastgewerbes. Damit die Belastung jedoch erträglich bleibt, schreibt das Arbeitszeitgesetz maximale Arbeitsstunden und Ruhepausen vor. Genau darum fürchtet nun die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten. Die Bielefelder NGG warnt mit Blick auf die laufenden Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD davor, dass es zu einer Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes „durch die Hintertür“ kommen könnte – mit erheblichen Folgen für Tausende Beschäftigte in OWL.
„Flexibilität im Job kann nicht einseitig auf Kosten der Beschäftigten gehen“, macht NGG-Geschäftsführerin Gaby Böhm deutlich. Auf dem heimischen Arbeitsmarkt sei hier längst etwas aus der Balance geraten: So leisteten Arbeitnehmer in Nordrhein-Westfalen im vorletzten Jahr 186 Millionen Überstunden – 58 Prozent davon unbezahlt. Dies geht aus einer aktuellen Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken-Bundestagsabgeordneten Jutta Krellmann hervor (Bundestags-Drucksache 19/70). Rechnet man die Überstunden in Vollzeit-Jobs um, entspricht das in NRW demnach 114.000 Arbeitsplätzen.
„Auch in Ostwestfalen-Lippe subventionieren Beschäftigte jeden Tag Unternehmensgewinne durch Gratis-Stunden. Statt immer wieder zu fordern, die Arbeitszeiten zu lockern, sollten die Arbeitgeber die vorhandene Mehrarbeit lieber auf mehr Schultern verteilen und neues Personal einstellen“, fordert Böhm. An die GroKo-Verhandler von CDU/CSU und SPD appelliert die Gewerkschafterin, kein „Herumdoktern“ am Arbeitszeitgesetz zuzulassen. Im 28-seitigen Sondierungspapier ist von einem neuen „Rahmen“ die Rede, um den „vielfältigen Wünschen in der Arbeitszeitgestaltung gerecht werden zu können“.
Für Böhm steht fest: „Das Arbeitszeitgesetz legt Mindeststandards für den Schutz von Gesundheit und Privatleben fest. Hier brauchen wir keine neuen Experimentierräume.“ Flexible Lösungen im Betrieb ließen sich per Tarifvertrag vereinbaren. In der Gastronomie hätten sich etwa Arbeitszeitkonten bewährt, so Böhm. „Damit kann eine Hochzeitsfeier im Lokal auch mal länger gehen – ohne dass Köche und Kellner vor Arbeit umfallen.“
Foto: Ist es wirklich schon so spät? Für viele Beschäftigte wie hier in der Ernährungsindustrie sind ungewöhnliche Arbeitszeiten keine Ausnahme. Mit Blick auf die GroKo-Verhandlungen in Berlin warnt die NGG jedoch vor einer Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes. © NGG