Ein erster Eindruck vom Ausbildungsmarkt in der Pandemie mag täuschen: Wie viele Betriebe im Kreis Gütersloh bildet das Tischlereiunternehmen Nordemann in der Corona-Krise zum Beispiel mehr Auszubildende aus als vor der Pandemie. Die Chancen der Bewerber auf dem Ausbildungsmarkt sind im Kreis Gütersloh weiter sehr gut.
Bielefeld. Es sind zu wenige. Ausbildungsstellen in den Unternehmen gibt es, auch inmitten der Pandemie. Aber die Zahl der jungen Bewerber um eine Ausbildung im Kreis Gütersloh geht zurück. Für das Tischlereiunternehmen Nordemann gestaltet sich die Bewerbersuche zunehmend schwierig. „Wer gut ist, kann in drei Wochen hier anfangen“, sagt an einem Konferenztisch Ulrich Schöpp, Geschäftsführer des Betriebs. Wer sich fortentwickeln und im Betrieb bleiben möchte, dem versuche er praktisch jede Weiterbildung zu ermöglichen.
Die Suche nach einem Ausbildungsplatz ist für die Jugendlichen keineswegs vergebens. Viele Handwerkbetriebe und Industrieunternehmen etwa suchen Bewerber auch in der Corona-Krise händeringend. Nordemann hat die Zahl der Ausbildungsstellen nach Ausbruch der Pandemie erhöht. „Die Ausbildung jetzt zurückzufahren, wo Fachkräfte knapp werden – so etwas kann ich gar nicht verstehen“, sagt Schöpp. Wie die meisten Unternehmen sichert sich Nordemann durch Ausbildung zu einem ganz wesentlichen Teil den Fachkräftenachwuchs; rund ein Fünftel seiner gesamten Belegschaft hat Schöpp durch die Ausbildung an seinen Betrieb binden können. Als reine Möbeltischlerei wurde Schöpps Betrieb, der in Rietberg-Mastholte sitzt, 1948 gegründet. Das Unternehmen hat sich seitdem unter anderem auf den Bau von Brandschutztüren und Treppen spezialisiert. Schöpp rechnet wie die meisten Betriebe im Kreis Gütersloh damit, dass der für ihn schon deutlich spürbare Fachkräftemangel in den nächsten Jahren zunehmen und die Rekrutierung von Nachwuchs noch schwieriger machen wird. Auf die Ausbildung von Jugendlichen kann und wird Nordemann trotz der erhöhten Unsicherheit in der Pandemie nicht verzichten.
Möglichkeiten gibt es am Ausbildungsmarkt für Jugendliche viele, für eine Sache müssen sie sich dann aber entscheiden. Fabio Micke aus Neubeckum ist einer der Auszubildenden von Nordemann. Handwerkliche Arbeit hat ihm immer schon gelegen, sagt er. Begonnen hat er die Ausbildung zum Tischler noch vor Ausbruch der Pandemie. Die Ausbildung konnte er danach im Ganzen ohne größere Einschränkungen fortführen. Bei Nordemann arbeitete er, nachdem er schon einige Bewerbungen auf den Weg gegeben hatte, zunächst ein paar Tage auf Probe. Die Arbeit an den teilautomatisierten Maschinen und mit moderner Software zum Modellieren gefiel ihm. Micke schätzt die Geschäftsbeziehungen von Nordemann in die Industrie, lernt so etwa betriebliche und wirtschaftliche Abläufe kennen. Die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten sind für ihn attraktiv. Das Handwerk verspricht Sicherheit. Die Auftragslage bei Nordemann ist trotz der Pandemie gut. „Im Treppenbau sind wir ausgebucht“, sagt Micke.
Joana Hoffrichter aus Lippstadt hat Nordemann im vergangenen Jahr erst zugesagt, inmitten der Pandemie. Zuvor hatte sie gejobbt und daneben eine Ausbildung gesucht. Anfangs war sie auf der Suche nach einem passenden Betrieb den Vorschlägen aus ihrer Familie und von Freunden gefolgt, hatte Initiativbewerbungen an Unternehmen geschrieben, die im Bekanntenkreis einen Namen haben. Ohne Erfolg. Dann hat sie mehr Zeit in Recherchen gesteckt und war dadurch auf Nordemann gestoßen. „Es macht Sinn, genau darauf zu achten, welche Betriebe Ausbildungen anbieten, mit Recherchen über den Radius des Bekanntenkreises hinauszugehen und den Betrieb im Vorfeld einer Bewerbung zu kontaktieren“, sagt Hoffrichter.
Nicht immer schöpfen Bewerber ihre Möglichkeiten voll aus. Von ein paar Unternehmen, die passen können, hören sie aus ihrem Umfeld. Doch das ist meist nur ein kleiner Teil der Unternehmen, die infrage kämen. „Für eine erfolgreich platzierte Bewerbung ist es immer nützlich, frühzeitig Experten ‚hinzuzuziehen‘“, sagt Heinz Thiele, Leiter der Arbeitsagentur in Bielefeld und Gütersloh. „Unsere Berufsberaterinnen und Berufsberater etwa begleiten die Jugendlichen auf dem Weg in die passende Ausbildung. Sie haben das Marktwissen, um Stellen zu vermitteln. Das spart viel Zeit; über Telefon und Video sind sie leicht zu erreichen“, sagt er.
Die Motivation der Bewerber gebe für ihn meistens den Ausschlag, sagt der Geschäftsführer von Nordemann Schöpp. In jedem Fall sind die Chancen auf einen Platz im Kreis Gütersloh nach Zahlen zum Ausbildungsmarkt von April aktuell sehr gut. Die Zahl der Berufsausbildungsstellen, die Unternehmen und Verwaltungen seit Oktober 2020 für den Kreis Gütersloh meldeten, ist im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. So zählte die Arbeitsagentur im Kreis Gütersloh von Oktober 2020 bis April 2021 2.244 Ausbildungsstellen – und damit 106 Stellen mehr als im Vorjahresmonat. Im Kreis gibt es aktuell 1.166 unbesetzte Ausbildungsplätze. Zugleich haben sich von Oktober 2020 bis April 2021 im Kreis Gütersloh 1.321 Jugendliche und junge Erwachsene auf der Suche nach einer Ausbildungsstelle bei der Berufsberatung der Arbeitsagentur Gütersloh gemeldet – 194 junge Menschen weniger als im Vorjahreszeitraum. Rechnerisch stehen damit jedem unversorgten Bewerber 1,70 unbesetzte Ausbildungsplätze gegenüber.