Überraschend sind Archäolog:innen auf ein kleines Brandgräberfeld bei Minden gestoßen, in dem schon vor über 2.000 Jahren die Bewohner einer kleinen Gemeinschaft naheliegender Höfe ihre Angehörigen bestattete. Seit drei Monaten ist ein Ausgrabungsteam unter fachlicher Begleitung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) auf der Spur der untergegangenen mittelalterlichen Siedlung Didinghausen.
Neu entdeckte Brandgräber aus der vorrömischen Eisenzeit
Minden-Päpinghausen (lwl). Die Fläche hielt für die Archäolog:innen nicht nur mittelalterliche Siedlungsreste, sondern auch noch eine Überraschung bereit: Bisher wurden knapp ein Dutzend Brandgräber aus dem 5. bis 1. Jahrhundert v. Chr. entdeckt. Sie lagen verstreut neben der deutlich späteren mittelalterlichen Ansiedlung. Es war bekannt, dass auf beiden Seiten der Weser im Laufe der Jahrhunderte große Gräberfelder entstanden sind. Noch heute zeichnen sich dort vor allem im Frühsommer die Standorte ehemaliger Hügelgräber der Bronzezeit als kreisrunde „Bewuchsmerkmale“ auf Aufnahmen aus der Luft ab. Die jüngeren Brandgräber der Eisenzeit, ab dem 4./5. Jahrhundert v. Chr., zeigen, dass hier eine bereits Jahrhunderte alte Bestattungstradition bis um Christi Geburt fortgeführt wurde.
Die Region um Minden-Päpinghausen stellte schon in der Vorgeschichte einen für damalige Verhältnisse dicht besiedelten Siedlungsraum dar. Begünstigt durch die fruchtbaren Böden und der Lage am Schnittpunkt wichtiger „Verkehrsachsen“, mit der Weser von Nord nach Süd und dem Wiehen- bzw. Wesergebirge von Ost nach West, führte dies zu einer regen Siedlungstätigkeit im 1. Jahrtausend v. Chr. Archäolog:innen waren im unmittelbaren Umfeld der aktuellen Fundstelle bereits früher fündig geworden: Weiter südlich lag ein prunkvolles dreitausend Jahre altes Schwertgrab innerhalb eines größeren Gräberfeldes, und weitere 2.000 bis 3.000 Jahre alte Siedlungen liegen in Abständen von wenigen hundert Metern in nahezu allen Himmelsrichtungen um die aktuelle Ausgrabungsfläche.
Die mittelalterliche Siedlung Didinghausen
Anlässlich der Entwicklung der ehemaligen Ackerfläche zum Industriegebiet müssen die Archäolog:innen auf einer Grabungsfläche von 50.000 Quadratmetern sämtliche Spuren der Siedlung im Boden einmessen, zeichnen, fotografieren und beschreiben. Verfärbungen im Boden lassen das Grabungsteam erkennen, wo vor über tausend Jahren die Pfosten das Dach der einstigen Häuser getragen haben. Wenn alle Funde geborgen sind, kann die Lage der einzelnen Höfe in der mittelalterlichen Siedlung und ihre jeweiligen Gebäude neue Erkenntnisse zum bäuerlichen Alltag in der Hofgemeinschaft und zur Struktur und Entwicklung der Siedlung liefern.
Bei den Häusern handelt es sich überwiegend um ebenerdige und eingeschossige Haupthäuser, sowie deren in den Boden eingetiefte Nebengebäude. In diesen Nebengebäuden stellten die Hofbewohner:innen, unter anderem an Webstühlen, ihre Textilien für den täglichen Bedarf selbst her.
Die Archäologin Dr. Eva Manz präsentiert ein nahezu vollständiges Webgewicht: „Solche Gewichte aus gebrannten Ton strafften ursprünglich die Fäden eines stehenden, hölzernen Webstuhles und sind meist, im Gegensatz zu den bereits vergangenen organischen Materialien, das einzige was von diesen Konstruktionen übrigbleibt.“ Auch erhielt sich von einer Handspindel zum Spinnen der Wolle das tönerne Schwungrad, der sogenannte Spinnwirtel. Keller kamen erst im 11. Jahrhundert in den Höfen der ländlichen Siedlungen hinzu. Mindestens vier neu entdeckte Keller von Didinghausen datieren ins 12. Jahrhundert.
Der Ursprung der Siedlung
Bei der Ausgrabung kann nun auch die Frage nach dem Ursprung der Siedlung Didinghausen geklärt werden. Dr. Sven Spiong, Leiter der Bielefelder Außenstelle der LWL-Archäologie für Westfalen, zu den neuen Erkenntnissen: „Inzwischen können wir bereits drei Höfe mindestens in das 8. Jahrhundert zurückverfolgen, wenn auch die dort gefundene Keramik noch nicht eindeutig innerhalb des 7. oder 8. Jahrhunderts datiert werden kann.“ Die Hofstandorte blieben über mehrere Jahrhunderte gleich, sodass die älteren Spuren immer wieder von den Pfostenlöchern jüngerer Gebäude überdeckt wurden.
Die Menschen in der Siedlung waren weitgehend autark und erzeugten alle Lebensmittel, Werkzeuge und sonstigen Dinge des täglichen Bedarfs selbst. Großer Reichtum sammelte sich dabei – auch zum Leidwesen der Ausgräber:innen – nicht an, trotzdem waren die bäuerlichen Familien auf den fruchtbaren Böden von größeren Krisen weniger betroffen als Zeitgenoss:innen aus weniger fruchtbaren Gebieten. Dies belegt ein ganz besonderer Fund. Archäologe Andreas Thümmel: „Die kleine Bronzebrosche besaß ursprünglich farbige Emaileinlagen und verschloss das Unterkleid einer Frau am Hals. Hier offenbart sich, dass die ländliche Bevölkerung immerhin zu einem gewissen Wohlstand kam.“