„Viva Victoria“-Ausstellung im Museum für Kunst und Design

VIVA-VICTORIA-2Bielefeld. Alle paar Jahre wird ein Roman der Brontë-Schwestern neu verfilmt (besonders beliebt: »Jane Eyre« oder »Sturmhöhe«); Biopics über die englische Königin Victoria (1819–1901) rühren zwischen Herz und Krone, und im deutschsprachigen Raum erinnerte Romy Schneider als »Sissi« an die »Schicksalsjahre einer Kaiserin«. Woher rührt die Faszination für eine Epoche, in der Frauen Tonnen von Stoff am Leibe trugen und im »trauten Heim« für Mann und Kinder schufteten? Gibt es vielleicht eine heimliche Sehnsucht nach Zeiten, in denen die Geschlechterverhältnisse strikt geordnet waren? Hat sich bis heute, außer der Mode, überhaupt so viel geändert? Wie sieht eigentlich die Rolle der Frau heute aus? Diese und ähnliche Fragen stellten Studierende des Fachbereichs Gestaltung in Seminaren der Professoren Dr. Anna Zika (Theorie/Kunstwissenschaft), Willemina Hoenderken (Mode) und Nils Hoff (Illustration). Dabei entstanden opulent-skulpturale Textilkreationen, Gebilde, Zeichnungen, Animationen und interaktive Graphic Novels, die ab dem 18.6.2015 im Bielefelder Museum Huelsmann für Kunst und Design (»Weiße Villa«) zu sehen sein werden. 

Motive des Einschnürens, Einengens oder des Gehäuses bilden die politische und familiäre Unfreiheit von Frauen um 1850 ab. Opulente, ausladende und raumnehmende Gebilde verweisen auf die Position der (verheirateten) Frau als Repräsentantin des männlichen Wohlstands sowie auf ihre Funktion als schwer zugängliches Objekt männlicher Begierden – bis hin zur Fetischisierung einzelner Körperteile. Als Materialien wurden neben konfektionierten Stoffe unter anderem verbranntes oder gepresstes Leder, Holzlack, menschliche Haare, Tierknochen, Rattan, Blei oder Edelstahl verwendet sowie 4.500 Trinkhalme oder Magnet- bänder aus alten Filmkassetten. Aufwändige Handarbeitstechniken assoziieren nicht nur das ständige Sticken, Stricken, Sticheln, Klöppeln oder Häkeln, wie es im 19. Jahrhundert üblich war, sondern lassen auch Konzentration und intensive Auseinandersetzung mit dem Entwurfskonzept erfahrbar werden.

VIVA-VICTORIA-3Kurze Animationsfilme und Projektionen zeigen die Reduzierung der bür- gerlichen Frau zum repräsentativen Hauptausstellungsstück eines überladenen Saloninterieurs oder als lebenslänglich in ihrem Korsett gefangene. Stickrahmen mit morbiden Kreuzstichmotiven sowie eine an eine riesige Votivtafel erinnernde Zeichnung hinter Glas verweisen auf mal subtile und mal sehr drastische Weise auf die unentwegte und vielfach tödliche »Gebärpflicht« der Frauen. Gezeichnete Schleifenlabyrinthe, Haargespinste und Insektenglieder illustrieren die Ohnmacht und Ausweglosigkeit der gesellschaftlich, sozialen und persönlichen Verwicklungen, Verstrickungen und Verschnürungen der Frauen des 19. Jahrhunderts. Trotz feiner und geschwungener Linien zeichnen die Illustrationsstudentinnen und –Studenten ein wenig romantisches und keineswegs verklärendes Bild der Weiblichkeit in einer aus ihrer Perspektive zum Glück längst vergangenen Epoche.

Ein ebenfalls von Studierenden gestalteter Katalog dokumentiert die Exponate und vertieft in Essays u.a. über die Biedermeiermode, scheiternde Hysterikerinnen oder die Schriftstellerin George Sand das Lebensgefühl von Frauen um 1850. Die Ausstellung wird am 18.6.2015 eröffnet und ist vom 19.6.2015–8.11.15 in den Räumen der »Weißen Villa« zu sehen.

Adresse: MUSEUM HUELSMANN Ravensberger Park 3D-33607 Bielefeld

Weitere Infos unter: www.museumhuelsmann.de 

Foto 1: Fotograf: Robert Krischan ter Horst; Design: Justina Glass (Material: Kunsthaar, Kunstleder, Chiffon); Model: Anna Angold; Styling: Hanna Funke

Foto 2: Fotograf: Robert Krischan ter Horst; Design: Liliana Mendes Schneebeli (Material: Seide, Kunsthaar,Rattan, plissierter Chiffon und Makrameetechniken); Model: Anna Angold; Styling: Hanna Funke