„Wir bereiten uns jetzt auf die Zeit nach der Krise vor“

Interview mit Immanuel Hermreck, Personalvorstand von Bertelsmann

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Immanuel Hermreck: „Wir bereiten uns jetzt auf die Zeit nach der Krise vor“. Foto: Bertelsmann

Gütersloh. Dass besondere Zeiten nach besonderen Maßnahmen verlangen, gilt unter dem Eindruck der Corona-Krise für alle Bereiche von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft, ja, des Lebens allgemein. Und es gilt für die weltweite Personalarbeit bei Bertelsmann. Beinahe rund um die Uhr – und rund um den Globus im engen Austausch mit Kolleginnen und Kollegen in aller Welt – entwickelt das HR-Team unter der Leitung von Immanuel Hermreck Ideen, Modelle und Maßnahmen, um der Krise zu begegnen und ihre Auswirkungen auf die Menschen bei Bertelsmann bestmöglich abzufedern. Darüber spricht der Personalvorstand im Interview. 

Herr Hermreck, die Welt hat in den Krisenmodus geschaltet – und Bertelsmann mit ihr. Wie sehen Sie das Unternehmen in dieser Zeit?

Immanuel Hermreck: Bertelsmann macht mich einmal mehr sehr stolz. Seit Ende Januar, seit dem Corona-Ausbruch in China, läuft das Krisenmanagement auf Hochtouren. Wir haben überall schnell, entschlossen und angemessen reagiert. In den vergangenen Wochen, als sich die Epidemie endgültig zur weltweiten Pandemie auswuchs, und als klar wurde, dass sie auch uns wirtschaftlich massiv herausfordern würde, haben wir im Vorstand intensiv daran gearbeitet, die Liquidität von Bertelsmann zu sichern. Das ist uns durch ein Bündel von Instrumenten gelungen, die Thomas Rabe in seinem Mitarbeiterbrief vorgestellt hat. Unser CEO hat aber auch davon gesprochen, dass gleichwohl eine von Unsicherheiten geprägte Zeit vor uns allen liegt. Hier ist die Personalarbeit gefordert. Wir müssen die Menschen bei Bertelsmann durch diese Zeit der Unsicherheit lotsen, sie motivieren, und Bertelsmann so in die bestmögliche Startposition für die Zeit nach der Krise bringen. Denn die wird kommen.

Wie kann die weltweite Personalarbeit das erreichen? 

Immanuel Hermreck: Die HR-Community von Bertelsmann steht vor drei zentralen Aufgaben: Aus unserem eigenen Anspruch heraus ist es unsere erste Pflicht, dafür zu sorgen, dass möglichst viele Kolleginnen und Kollegen ihrer Arbeit nachgehen können, ohne sich dabei gesundheitlich in Gefahr zu begeben. Das hat Vorrang vor allem anderen. Aus unserer gesellschaftlichen Verantwortung heraus leisten wir durch zahlreiche Präventionsund Schutzmaßnahmen einen Beitrag zur Verlangsamung der Corona-Ausbreitung. Und aus unserer unternehmerischen Grundhaltung heraus helfen wir, Prozesse und Produktion bei Bertelsmann aufrechtzuerhalten, was mit Blick auf unsere Medien, die gerade jetzt als verlässliche Informations- und Unterhaltungsquellen eine so wichtige Rolle spielen, einen zusätzlichen gesellschaftspolitischen Aspekt hat. Ich bin wirklich stolz darauf, wie gut das klappt, und ich danke allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für ihren großartigen Einsatz und das Vertrauen, das sie Bertelsmann entgegenbringen – egal ob im Homeoffice, im Büro oder in den Betrieben, wo die Einhaltung des gebotenen Sicherheitsabstands zum eigenen Ansteckungsschutz eine besondere Herausforderung darstellt.

Welchen Beitrag leistet die Personalarbeit, um die Corona-Auswirkungen für das Unternehmen Bertelsmann und seine Betriebe zu begrenzen?

Immanuel Hermreck: Die Corona-Pandemie überrollt jedes Geschäft unseres Konzerns, weltweit und in allen Unternehmensbereichen. Erst traf es unsere Firmen in China, dann in Italien, in Spanien, in ganz Europa, und mittlerweile ist es überall. Niemand war auf eine solche Entwicklung vorbereitet, deren ganzes Ausmaß wir immer noch nicht absehen können. Wenn wir von einem Tag auf den anderen nicht mehr reisen können, uns nicht mehr in Konferenzen treffen, eingespielte Schichtmodelle anpassen oder ins Homeoffice umziehen, dann stellt das eine Jahrzehnte alte Arbeitswelt auf den Kopf. In dieser Situation leistet die weltweite HR-Community einen wichtigen Beitrag, indem sie mit ihren Empfehlungen die Richtung für den Schutz von Unternehmen und Beschäftigten vorgibt. Wir geben Orientierung und Sicherheit. Aber wir helfen auch konkret: mit Pandemieplänen und Prävention, mit Schutzmasken und Desinfektionsmitteln und nicht zuletzt mit unserem Betriebsärztlichen Dienst, der zusammen mit der Konzernsicherheit eine ungemein wertvolle Arbeit leistet. Für den Einsatz von Betriebsarzt Sebastian Köhne, seinem Team und allen Pandemiehelfern bei Bertelsmann möchte ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken. Sie machen einen tollen Job für uns alle. Wo es zu Krankheitsfällen in den Betrieben kam, liefendie Maßnahmen wie nach Lehrbuch.

Und was kann HR tun, um die Folgen der Epidemie für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abzumildern?

Immanuel Hermreck: Um zunächst die Verbreitung des Virus unter unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern selbst einzudämmen, hat der Krisenstab unter der Leitung von Martin Kewitsch, der diese Aufgabe seit Wochen mit Überblick und Augenmaß wahrnimmt, eine Vielzahl medizinisch gebotener Schutzmaßnahmen eingeleitet. Dazu gehörten neben der genannten Verteilung von Atemschutzmasken und Desinfektionsmitteln frühzeitige Reisewarnungen, die dann in ein Reiseverbot mündeten, genauso wie der Umstieg von persönlichen Konferenzen auf Telefon- oder Video-Calls und die Anordnung von Homeoffice. Mit all dem haben wir Schritt für Schritt schon im Januar begonnen, als die Epidemie bei unseren Kolleginnen und Kollegen in China ausbrach. Alles in allem haben diese Maßnahmen dazu geführt, dass wir unter den 120.000 Beschäftigten noch immer verhältnismäßig wenige bestätigte Corona-Infektionen zählen. Gegen eine Ausbreitung des Virus soll auch das von Ihnen erwähnte flächendeckende Homeoffice einen Beitrag leisten.

Wie haben sie diesen Schritt bewältigt?

Immanuel Hermreck: Die Entscheidung des Vorstands über den Wechsel ins Homeoffice am 16. März war richtig, sie umzusetzen nicht einfach. Im Corporate Center beispielsweise waren zumindest die technischen Voraussetzungen dafür gegeben, dies war jedoch nicht überall der Fall. In gerade einmal eineinhalb Stunden haben wir die Rahmenbedingungen mit dem Betriebsrat ausgehandelt. Die Flexibilität beider Seiten in diesen Verhandlungen war enorm. Nur so konnten wir schnell handeln. Nur so konnten wir aber auch die Arbeitsfähigkeit des Corporate Center sicherstellen. In letzter Konsequenz sind wir über Nacht auf Vertrauensarbeitszeit umgestiegen. Das Unternehmen bringt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hier ein Höchstmaß an Vertrauen entgegen – und wir wissen, dass sie alles tun werden, um dem gerecht zu werden. Von den gängigen Vorurteilen, dass Homeoffice eine andere Form von Urlaub wäre, hört man jedenfalls nichts mehr. Im Gegenteil: Viele Kolleginnen und Kollegen arbeiten gerade wegen der Krise fast rund um die Uhr. Doch egal ob zuhause oder im Büro: Es geht. Es funktioniert. Man muss es nur wollen und sich darauf einlassen. Und wer nicht gern zuhause arbeitet, freut sich auf die Rückkehr an den Arbeitsplatz. Auch nicht schlecht. 

Aber die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen ja gerade auch ihr Privatleben neu organisieren…

Immanuel Hermreck: Sie sprechen Themen wie Kinderbetreuung oder Pflege an. Hier übernehmen wir als Personalleiter vielfältig Verantwortung und sprechen Empfehlungen an unsere Unternehmen aus, von denen viele vor Ort umgesetzt werden. Unter Hochdruck haben wir einen vierstufigen Plan aufgestellt, um Eltern zu helfen. Wir bitten Eltern zunächst, und sei es nur stundenweise, eine Betreuung für ihre Kinder zu suchen. Geht das nicht, bieten wir ihnen Homeoffice, flexible Arbeitszeitmodelle und den Tausch von Schichten an.

Lässt sich wegen der Kinderbetreuung ein Arbeitsausfall nicht vermeiden, können Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einvernehmlich von Arbeitszeitkonten oder dem Abbau von Überstunden Gebrauch machen. Wenn selbst das nicht reicht, empfiehlt Bertelsmann, den Mitarbeitern entgegenzukommen, wenn sie selbst Urlaubstage für die Kinderbetreuung einsetzen.

Inzwischen werden durch die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise, durch wegfallende Aufträge und Aufgaben, auch Themen wie Kurzarbeit für Bertelsmann akut.

Immanuel Hermreck: Das ist leider richtig, auch wenn wir in der Tat die ökonomischen Folgen der Krise für Bertelsmann derzeit nicht beziffern können. Zwar kann Kurzarbeit nur in jedem einzelnen Unternehmen individuell beantragt werden, weil sie nun einmal von Auftragslage und Arbeitsmenge abhängt – und die differiert zwischen Branchen und Bereichen gerade sehr stark. Gibt es jedoch nicht mehr genug Arbeit für alle, kann sie ein sehr gutes Mittel sein, um Entlassungen zu verhindern und andere Härten aufzufangen. Und genau das ist unser oberstes Ziel: Wir wollen, dass unsere Mitarbeiter in dieser Zeit einen sicheren Arbeitsplatz bei Bertelsmann haben. Denn wir alle haben derzeit mit dem Schutz unserer Gesundheit oder der unserer Familien schon genug Sorgen. Daher werden wir übrigens dort, wo Kurzarbeit eingeführt wird, ein besonderes Augenmerk auf Beschäftigte mit geringen Einkommen richten, wenn es um die Höhe der Aufstockung durch das Unternehmen geht.

… und nicht nur Kurzarbeit wäre eine Antwort auf die Krise?

Immanuel Hermreck: Es ist eine Möglichkeit von vielen, die in einigen unserer Unternehmen auch schon angewendet wird. Ich freue mich übrigens, dass Betriebe in Ländern außerhalb Deutschlands einen ähnlichen Weg im Sinne ihrer Beschäftigten gehen. Aber wir haben auch andere Modelle entwickelt. So wird beispielsweise die Auszahlung mehrjähriger Boni- und Gehaltsbestandteile von Führungskräften, die jetzt fällig wäre, über mehrere Monate in die zweite Jahreshälfte hinein verschoben. Das wünschen wir uns auch für die Gewinn- und Erfolgsbeteiligung und verhandeln darüber mit dem Konzernbetriebsrat Weltweit wurden bei Bertelsmann für das Geschäftsjahr 2019 fast 100 Millionen Euro für Ansprüche aus Gewinnbeteiligungsmodellen errechnet. Wir werden die Gewinnbeteiligung in der zugesagten Höhe auszahlen. Das sichern wir genauso zu wie die Auszahlung der Boni 2019 und die grundsätzliche Weitergabe der vereinbarten Tariferhöhung zum 1. April. Wir möchten aber auch die Ausschüttung der Gewinnbeteiligung in den September verschieben und damit einen Beitrag zur Sicherung der Liquidität von Bertelsmann in den kommenden Monaten leisten. Denn wir reden von einer Phase, die es zu überbrücken gilt, nicht von einer Ewigkeit. Ich weiß, dass wir vielen jetzt vieles abverlangen – aber wir wollen jeden einzelnen und Bertelsmann insgesamt sicher durch die Krise bringen. Und hier danke ich zum einen den Betriebsräten, zum anderen den Mitarbeitern, dass sie uns so große Flexibilität entgegenbringen.

Was erwarten Sie denn von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern?

Immanuel Hermreck: Dass sie sich bitte auf die neue Lage einlassen und mitziehen: Egal ob man erstmals aus dem Homeoffice heraus arbeiten, in den Industriebetrieben den Abstand wahren, Überstunden abbauen oder ein paar Urlaubstage anders als geplant einsetzen muss. Um diese Krise gemeinsam zu überstehen, sind guter Wille und gesunder Pragmatismus notwendig. Auch appelliere ich an alle, deren Arbeitsbelastung in den nächsten Wochen vielleicht sinken wird, die neuen Freiräume fair und flexibel zu nutzen – beispielsweise durch persönliche Weiterbildung. Wir haben vor zwei Wochen eine interne Bildungsoffensive bei Bertelsmann gestartet. Auf unsere Beschäftigten warten Hunderte geeigneter Onlinekurse. Viele haben dieses Angebot schon angenommen, worüber ich mich sehr freue. Weiterbildung bringt jeden Einzelnen und Bertelsmann insgesamt in eine bessere Ausgangsposition für die Zeit nach Corona. Und natürlich bitte ich alle Kolleginnen und Kollegen darum, dass sie sich, ihre Familien und ihr Arbeitsumfeld bestmöglich vor Ansteckungen schützen. Das ist das Allerwichtigste, auch mit Blick auf unsere Zukunft.

Stichwort Zukunft – glauben Sie, dass die Corona-Krise die Arbeitswelt bei Bertelsmann nachhaltig verändern wird?

Immanuel Hermreck: Vieles wird sich dauerhaft ändern. Die Offenheit für das Homeoffice beispielsweise ist jetzt da. Wenn es in den kommenden Wochen funktioniert, wird niemand es mehr in Frage stellen können. Aber bevor das jetzt zu einseitig klingt: Wenn ich hier manchmal mutterseelenallein mit den anderen Vorständen im Corporate Center sitze, ist das nicht einfach nur einsam – ich vermisse meine Kolleginnen und Kollegen, mein Team, das Treiben um mich herum so richtig. Ich vermisse ehrlich gesagt auch die Dienstreisen, die Chance, mich mit Kolleginnen und Kollegen weltweit persönlich zu treffen. Gut, Dienstreisen wird es wieder geben, aber nicht in dem Ausmaß wie früher. Wenn Telefon- und Videokonferenzen sie jetzt so effizient ersetzen können, warum dann nicht auch nach der Pandemie? Zumal die Auswirkungen auf unseren CO2-Austoß enorm positiv wären. Trotz der aktuellen Krise und den damit einhergehenden Veränderungen blicken meine Vorstandskollegen und ich der kommenden Zeit also durchaus auch positiv gestimmt entgehen.

Gibt es eigentlich Momente, in denen sich der Umgang miteinander bei Bertelsmann als ganz besonders tragfähig erweist?

Immanuel Hermreck: Gerade jetzt zeigt sich, wie gut das konstruktive Miteinander bei Bertelsmann funktioniert und wie wichtig es ist. Die unbürokratischen Entscheidungswege, die Schnelligkeit und die Flexibilität – das alles ist nur möglich, weil wir einen partnerschaftlichen Umgang pflegen. Und weil wir wissen, dass wir das Doppelziel Schutz der Mitarbeiter und Schutz des Unternehmens nur zusammen erreichen. Es gibt weitere richtig schöne Signale dafür, wie Bertelsmann gerade zusammensteht: Wenn sich die HRCommunity wie andere Communitys bei Bertelsmann auch weltweit vernetzt und gegenseitig über die Lage und den Bedarf an Standorten auf allen Kontinenten austauscht. Oder auch ganz konkret, wenn das Corporate Center im Februar 10.000 Atemschutzmasken aus Gütersloh zu den Kollegen nach China schickt, und diese wenige Wochen später, kaum dass bei ihnen die Pandemie abflaut, 10.000 Stück von Peking auf den Weg nach Gütersloh bringen, die wir an unsere Firmen unter anderem in Italien, Spanien, Frankreich und Kroatien weitergeben können. Das ist Bertelsmann. So arbeiten wir – gestern, heute und in Zukunft. Und daraus entsteht ein unschätzbarer Wettbewerbsvorteil, auf den wir bauen können, wenn wir nach der Krise wieder durchstarten.

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