Vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem deutschen Handballmeister SG Flensburg-Handewitt

Paderborn. Seit Beginn der Saison 2017/18 kooperiert die SG Flensburg-Handewitt mit der Universität Paderborn. Im Interview mit dem amtierenden deutschen Handballmeister stellt Prof. Dr. Jochen Baumeister von der Arbeitsgruppe „Trainings- und Neurowissenschaften“ die Zusammenarbeit, deren Ziele und den Nutzen für Studierende in Paderborn vor.

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Prof. Dr. Jochen Baumeister, Co-Trainer Mark Bult, Trainer Maik Machulla und Athletiktrainer Michael Döring beim Trainingsauftakt der SG Flensburg-Handewitt. Foto: SG Flensburg-Handewitt, Benjamin Nolte

Herr Baumeister, wie sieht die Partnerschaft zwischen der Uni Paderborn und der SG Flensburg-Handewitt genau aus?

Jochen Baumeister: Die Kooperation besteht im Messen und Auswerten von Leistungsdaten, die täglich im Leistungssport entstehen und erhoben werden. Wir erhoffen uns, dadurch mehr Informationen über die Spieler zu bekommen, um den Prozess der Individualisierung weiter voranzutreiben. Die Universität Paderborn unterstützt das Trainerteam der SG Flensburg-Handewitt dahingehend, eine andere, datenbasierte Perspektive auf die Trainingssteuerung aufzuzeigen 

Was passiert genau mit den erhobenen Daten?

Baumeister: Wir analysieren in erster Linie objektive Daten zur Leistung, Belastung und Beanspruchung der Spieler, z. B. aus trainingsbegleitenden Sprung-, Sprint- und Koordinationstests. Aufgrund der Ergebnisse ist es möglich, das Training noch individueller zu gestalten und somit jedem Spieler gerecht zu werden. Gerade in Bezug auf diese Leistungsdaten lassen sich Umfänge und Intensität besser ausgestalten und steuern.

Wie wird das im Alltag umgesetzt, wie muss man sich den Umgang der Daten genau vorstellen?

Baumeister: Die Zeiten, in denen alle Spieler einer Mannschaft dieselben Belastungsvorgaben bekommen, sind lange vorbei. Nach einer intensiven Datenauswertung werden spezifische Anforderungsprofile für die Spieler erstellt. Nur so können wir gewährleisten, dass wir im Training jedem Spieler gerecht werden und somit seine optimale Leistungsfähigkeit entwickeln können.

Dient diese optimierte Trainingssteuerung auch der Verletzungsprävention?

Baumeister: Wir gehen bei dieser individualisierten Trainingssteuerung davon aus, dass wir Überlastungen und Fehlbelastungen besser vermeiden können. Allerdings ist das schwer zu belegen, da sich Kontaktverletzungen – und um Körperkontakt geht es im Handball nun mal – natürlich nicht vermeiden lassen.

Wie konnten Sie mit Ihrer Arbeit die Saisonvorbereitung der SG unterstützen?

Baumeister: Wir unterstützen aus wissenschaftlicher Sicht. Dabei arbeiten wir eng mit dem Trainerteam zusammen. Wir beobachten Zusammenhänge, messen Leistungsdaten und werten diese im Anschluss aus. In enger Absprache können Maik (Machulla, Cheftrainer, Red.) und Michael (Döring, Athletiktrainer, Red.) diese Informationen für eine optimale Steuerung der Einheiten und der Rehabilitation nutzen.

Die neue Technologie KINEXON wird in der kommenden Saison in der Handball-Bundesliga eine große Rolle spielen, auch die SG wird mit dem neuen System arbeiten. Was ist KINEXON?

Baumeister: Die Handball-Bundesliga stattet die Spielstätten mit einem lokalen System aus, dass die genaue Position eines Spielers in der Halle erkennt, ähnlich wie GPS Systeme im Fußball oder Rugby, wo diese Technologie schon seit Jahren eingesetzt wird. In Echtzeit werden mit dem KINEXON-System zahlreiche Positionsdaten erfasst und in Metriken wie z. B. Sprints, zurückgelegte Distanz und Sprunghöhen umgesetzt. Zur Messung tragen die Spieler unter der Spielkleidung im Nackenbereich zwischen den Schulterblättern Sensoren, die in etwa die Größe einer Streichholzschachtel haben. Das System erfasst die Positionsveränderungen und Beschleunigungen. Dies bietet uns die Möglichkeit, Belastung und Leistung zu quantifizieren. So kann man in den nachfolgenden Trainingswochen datenbasiert individuell reagieren und das Training gegebenenfalls anpassen.

Ist das der nächste Schritt in der Trainingsweiterentwicklung?

Baumeister: Am Ende muss das Gesamtpaket in der Ausgewogenheit zwischen Training und Wettkampf hinsichtlich der sportartspezifischen Anforderungen stimmen. Mit unserer Arbeit haben wir das Rad nicht neu erfunden, aber es ist längst nicht mehr so, dass allein Erfahrung ausschlaggebend für die Steuerung der Trainingseinheiten ist. Vielmehr wollen wir dem Trainerteam eine datenbasierte Unterstützungshilfe geben. Am Ende muss die Technologie aber auch immer in der Lage sein mitzuhelfen, den einzelnen Sportler besser zu machen

Sie sind Professor an der Universität Paderborn. Was können Sie Ihren Studierenden aus der Zusammenarbeit mit der SG weitergeben?

Baumeister: Es ist ja so, dass auch einige unserer Studierenden gerade zum Trainingsauftakt unterstützen, die Lauf- und Sprungtests mit den Spielern durchführen und diese dann entsprechend auswerten. Für die Studierenden ist es immer besser, nah am Feld der angewandten Trainingswissenschaften und Neurowissenschaften zu sein, um die Zusammenhänge besser verstehen und dementsprechend anwenden zu können. Die Inhalte sind praxisorientiert. So finden einige Lehrveranstaltungen längst fernab der Hörsäle statt – in Hallen oder auf Sportplätzen, also dort, wo trainiert wird. Die Zusammenarbeit mit Spitzensportvereinen wie der SG, ermöglicht uns, Studierende speziell fürs Athletiktraining im Leistungssport auszubilden und ihnen die Nähe zum Sport auch im Alltag zu vermitteln.

Die Forschung ist elementarer Bestandteil Ihrer Arbeit. Wie lässt sie sich vorantreiben?

Baumeister: In der Forschung versuchen wir, schon an der nächsten Ebene zu arbeiten. Wir möchten die Methoden von morgen und übermorgen entwickeln, mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) Zustände klassifizieren, um Vorhersagen zu treffen. Bei KI geht es um Selbstlernalgorithmen von Computern, die Muster und Konzepte anhand der erfassten Daten erlernen. Dadurch kann der PC im Idealfall unterstützend in die Trainingssteuerung eingreifen. In der Praxis würde man den Computer mit den Positionsdaten der Spieler füttern um Zustände wie Ermüdung oder Verletzungsrisiko vorhersagen zu können. Der PC gibt dann in Form eines Ampelsystems unterstützende Hilfestellung zur Belastungssteuerung ans Trainerteam. Das hört sich im Moment noch sehr zukunftsorientiert an, ist aber in vielen Bereichen unseres Lebens sichtbar, aber auch unsichtbar schon längst Alltagsrealität. Die Frage ist also nicht, ob neue Technologien in den Handball einziehen, sondern wie wir so damit umgehen, dass wir die Technologie so gut wie möglich einsetzen können. Für diese innovative Umsetzung ist die SG sehr aufgeschlossen und u. a. deshalb für uns ein ganz wertvoller Partner.

Abschließend: Was zeichnet die Zusammenarbeit der SG mit der Uni Paderborn besonders aus? 

Baumeister: Das Besondere ist sicherlich, dass auf den unterschiedlichen Ebenen von Sport und Wissenschaft Menschen zusammenarbeiten, die auf einer Welle liegen, die sich gut verstehen und die sich gegenseitig großes Vertrauen entgegenbringen. Jeder von uns arbeitet fachlich sehr unterschiedlich, dennoch ist es ein absoluter Gewinn diese verschiedenen Perspektiven und Ansichten zusammenzubringen und somit ein erfolgreiches Ergebnis mit optimaler Leistung zu erzielen.

Mir persönlich macht es großen Spaß, Fachlichkeit, Vertrauen und Freude an der Arbeit zu verbinden. Das ist bei uns allen gegeben. Ich hoffe, dass wir gemeinsam die nächste Stufe erreichen und z. B. das KINEXON-System ideal in den Trainings- und Wettkampfalltag der SG einbringen können 

Über die Arbeitsgruppe Trainings- und Neurowissenschaften  

Im Department „Sport und Gesundheit“ der Universität Paderborn besteht die Arbeitsgruppe seit Besetzung des Lehrstuhls „Trainingswissenschaften mit neurowissenschaftlichem Schwerpunkt“ mit Prof. Dr. Jochen Baumeister. Sie beschäftigt sich aus einer neurophysiologischen Perspektive mit dem Zusammenhang von Gehirn und Sport zur Wiederherstellung und zum Erhalt von Gesundheit und der Entwicklung von Leistung. Handlungsfelder sind insbesondere die Leistungsentwicklung, Rehabilitation und Prävention von Sportverletzungen sowie das Verletzungsmanagement im Leistungssport – umgesetzt durch Betreuungsaktivitäten von Athleten und Sportteams in Deutschland (Fußball- und Handball-Bundesliga) und Norwegen (Biathlon, Skispringen und nordische Kombination). Die Kooperation zwischen der SG Flensburg-Handewitt, der Akademie Flensburg (Nachwuchsleistungszentrum der SG) sowie Prof. Dr. Baumeister und seinem Team besteht seit der Saison 2017/2018.

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