Sprache als Schlüssel zur Integration

Adriana (14) und Avin (16) leben seit einigen Jahren in Versmold und besuchen die CJD Sekundarschule. Dort haben sie Deutsch gelernt und gehören mittlerweile zu den besten Schülerinnen in ihren jeweiligen Klassen. Foto: Kreis Gütersloh

Adriana (14) und Avin (16) leben seit einigen Jahren in Versmold und besuchen die CJD Sekundarschule. Dort haben sie Deutsch gelernt und gehören mittlerweile zu den besten Schülerinnen in ihren jeweiligen Klassen. Foto: Kreis Gütersloh

Gütersloh/Versmold. Als der Krieg in Syrien ausbrach, war Avin in der ersten Klasse. Sie und ihre Familie flohen über die Türkei, bis sie 2015 nach Deutschland kamen und im Kreis Gütersloh ein neues Zuhause fanden. Damals kannte das Mädchen nur ein einziges deutsches Wort: „Hallo“. Auch die gebürtige Rumänin Adriana hatte kaum Deutschkenntnisse, als sie vor zwei Jahren mit ihren Eltern in die Bundesrepublik kam. Das Kommunale Integrationszentrum (KI) des Kreises Gütersloh hatte Avin und später auch Adriana an die CJD Sekundarschule in Versmold vermittelt. Heute sprechen beide Mädchen fließend Deutsch und gehören zu den Klassenbesten. „Guten Morgen“ – so begann der Brief, den Adrianas Vater ihr aus Deutschland nach Italien geschickt hatte. Dort hatte die rumänische Familie elf Jahre lang gelebt, bevor der Vater in Deutschland Arbeit fand. „Diese beiden Worte habe ich während der Autofahrt nach Versmold immer und immer wieder gelesen und auswendig gelernt. Dabei habe ich mir vorgestellt, wie es sein wird, die Sprache fehlerfrei sprechen zu können“, erinnert sich die heute 14-Jährige. Sie grinst stolz, denn mittlerweile ist sie ihrem Ziel schon sehr nah gekommen. Das beweist ihr Notendurchschnitt, mit dem sie zum Ende des vergangenen Schuljahres das beste Zeugnis ihrer Klasse vorweisen konnte.

„Sprache ist die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Integration“, betont Andrea Fricke, Beraterin vom KI des Kreises Gütersloh. Sobald ausländische Familien in den Kreis immigrieren, bekommen sie von den Mitarbeitenden des KI eine Einladung zum Gespräch. Das KI berät seit Jahren neuzugewanderte Schülerinnen und Schüler hinsichtlich ihrer schulischen Integration. Fricke: „Dabei ermitteln wir unter anderem den Lernstand der Kinder, um für sie die jeweils optimale Schulform und Klasseneinordnung zu finden.“ Sowohl Avin als auch Adriana begannen damals in der fünften Klasse der CJD Sekundarschule in Versmold. Heute besucht die 16-jährige Avin die zehnte Klasse und steht kurz vor ihrem Q-Vermerk. Diese Qualifizierung versetzt sie in die Oberstufe, sodass sie ihr Abitur machen kann. „Den ersten Tag an der neuen Schule in Deutschland werde ich niemals vergessen“, erzählt Adriana. Obwohl sie zu diesem Zeitpunkt nur wenige Worte Deutsch sprach, suchte sie den Kontakt zu ihren neuen Mitschülern. „Ich habe sie auf Englisch angesprochen und mich mit Händen und Füßen verständigt. Das hat irgendwie geklappt und ich hatte schnell neue Freunde gefunden.“ Seitdem sind zwei Jahre vergangen und Adriana geht mittlerweile in die achte Klasse.

Avin ist weniger offensiv an den Start gegangen: „Ich hatte Angst, einen Fehler zu machen. Daher habe ich anfangs nur wenig gesprochen und mich im Unterricht sehr zurückgehalten.“ Sie hatte hohe Ansprüche an sich selbst und lernte bei jeder Gelegenheit neue Vokabeln. Dazu wechselte die gebürtige Syrerin beispielsweise die Sprache ihres Smartphones auf Deutsch, schaute deutsches Fernsehen und schrieb sich die neuen Wörter in ein Notizheft. „Avin ist sehr perfektionistisch“, betont ihre Lehrerin Anja Steinberg. Sie leitet den Kurs Deutsch als Zweitsprache (DAZ), den alle ausländischen Schülerinnen und Schüler der CJD Sekundarschule für etwa zwei Jahre besuchen. Dabei hat sie auch Avin und Adriana in ihrem Lernprozess begleitet. „Beide sind sehr ehrgeizig, aber komplett andere Lerntypen. Avin geht eher strukturiert vor, während Adriana dem Prinzip ‚Learning by doing‘ folgt.“ Doch auch wenn beide Mädchen sehr sprachbegabt sind, war der Unterricht nicht immer leicht. Besonders die deutsche Grammatik mit den verschiedenen Artikeln und Fällen war für beide Schülerinnen eine Herausforderung. „In meiner Muttersprache gibt es gar keine Artikel. Ich wusste am Anfang gar nicht, wofür man die eigentlich braucht“, sagt Avin. Für Adriana, die Artikel zwar aus dem Italienischen kennt, war die Zuordnung kompliziert.

Umso glücklicher waren beide, als sie ihre ersten großen Erfolgsmomente hatten. Avin dolmetschte für ihren Vater in der Ausländerbehörde, während Adriana ein Telefonat für ihre Mutter angenommen hatte. „Ich war damals richtig stolz, dass ich alles verstanden hatte“, schwärmt die 14-Jährige. Auch wenn beide Schülerinnen Mathe als ihr Lieblingsfach bezeichnen, faszinieren sie die verschiedenen Sprachen. Neben ihrer Muttersprache Rumänisch spricht Adriana auch fließend Italienisch, Deutsch und Englisch. In der siebten Klasse hatte sie noch Französisch belegt und freut sich jetzt schon darauf, im nächsten Schuljahr Spanisch lernen zu dürfen. Avins Muttersprache ist Kurdisch. Sie beherrscht auch Englisch, Deutsch und Türkisch sowie Grundkenntnisse der syrischen Amtssprache Arabisch. In der Schule hat sie außerdem Französisch und Spanisch belegt. Die beiden Mädchen verfolgen klare Ziele und Berufswünsche. Seit sie sechs Jahre alt war, möchte Avin Ärztin werden. Adriana träumt davon, später als Anwältin oder Managerin zu arbeiten. Anja Steinberg und die Lehrkräfte der CJD Sekundarschule sind stolz auf die beiden Schülerinnen. Schulleiter Klaus Blenk betont: „Sie haben sich extrem bemüht und unsere Sprache erstaunlich schnell gelernt. Das sind zwei ganz außergewöhnliche Erfolgsgeschichten.“

 Zum Thema: Beratung zur schulischen Integration: Das Kommunale Integrationszentrum des Kreises Gütersloh (KI) berät seit Jahren zugewanderte Schülerinnen und Schüler und hilft ihnen, die für sie passende Schule und Klassenzuordnung zu finden. Weitere Informationen über die Beratung zur schulischen Integration gibt es auf der Website des Kommunalen Integrationszentrums unter www.ki-gt.de.

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