Flickenteppich bei Gesundheitsversorgung von Asylsuchenden

Zwei von drei Bundesbürgern befürworten, dass Flüchtlinge eine Gesundheitskarte erhalten sollen und damit direkt einen Arzt aufsuchen können.Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Befragung der Bertelsmann Stiftung. Die im Rahmen des Asylpaketes I beschlossene Einführung der Gesundheitskarte für Asylsuchende droht jedoch an Finanzierungsfragen zu scheitern.
Gütersloh. Nachdem der Bund die Finanzierungsverantwortung abgelehnt hat, müssen in den meisten Ländern weiterhin die Kommunen die Kosten der Gesundheitsversor­gung tragen. Das hat zur Folge, dass die Einführung der Gesundheitskarte für Flüchtlinge insgesamt allenfalls schleppend vorankommt. Zu diesem Fazit kommt eine bundesweite Expertise der Bertelsmann Stiftung. Diese zeigt, dass bis Ende Februar 2016 die Gesundheitskarte für Asylsuchende in Berlin, Nord­rhein-Westfalen und Schleswig-Holstein eingeführt wurde. Aber unter den Flächenstaaten haben nur Brandenburg, wo die Karte am 1. April kommen wird und Schleswig-Holstein eine verbindliche Regelung auf Landesebene getroffen. Nur hier tragen die Länder die Kosten der Gesundheitsversorgung.
Kommunen befürchten Mehrkosten
In den anderen Ländern müssen in den ersten 15 Monaten des Aufenthalts eines Asylsuchen­den die Kommunen weiterhin für den Großteil der Gesundheitskosten aufkommen. In Nord­rhein-Westfalen haben derzeit nur 20 Kommunen ihre Bereitschaft zur Einführung der Ge­sundheitskarte erklärt. Im Saarland will die Landesregierung die Gesundheitskarte ermögli­chen, aber sämtliche Landkreise weigern sich, sie einzuführen. Die Kommunen befürchten, dass durch die Regelung Mehrkosten entstehen könnten.
Umsetzung in den Ländern läuft nur schleppend
Die meisten Länder arbeiten noch an der Umsetzung. Dazu stehen die Länder in Verhandlun­gen mit den gesetzlichen Krankenkassen, um die Kostenaufteilung und den Leistungsrahmen der medizinischen Versorgung der Asylsuchenden zu definieren. Die im Gesetz auf Bundes­ebene vorgesehene Rahmenvereinbarung zwischen dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und den kommunalen Spitzenverbänden wird ebenfalls noch ver­handelt.
Bayern und Sachsen wollen von der Möglichkeit einer Gesundheitskarte für Asylsuchende keinen Gebrauch machen. Auch Mecklenburg-Vorpommern hat Anfang März beschlossen, die Karte vorerst nicht einzuführen. „Es kann nicht sein, dass das föderale Gerangel um die Kos­ten auf dem Rücken der Flüchtlinge und der Kommunen ausgetragen wird“ urteilt Kirsten Witte, Kommunalexpertin der Bertelsmann Stiftung. „Die medizinische Versorgung von Asyl­suchenden und Flüchtlingen muss bundeseinheitlich geregelt und finanziert werden.“ Ange­sichts der erheblichen Belastungen, die Kommunen derzeit schultern müssen, wäre dies ein wichtiger Beitrag, um die Lasten gerechter zu verteilen. Außerdem ließe sich der Verwaltungs­aufwand für die Kommunen bei der Gesundheitsversorgung der Asylsuchenden deutlich redu­zieren, so Witte weiter. Unter der Maßgabe, dass die Gesundheitskarte Kosten reduziert, steigt die Zustimmung sogar auf 80 Prozent der Befragten.
Zusatzinformationen
Zurzeit tragen die Kommunen die Kosten für die Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen in den ersten 15 Monaten beziehungsweise bis zu deren Anerkennung. Mit dem Asylbeschleunigungsgesetz (Asylpaket I) wurde Ende 2015 die Möglichkeit eröffnet, für Asylsuchende eine Gesundheits­karte mit eingeschränktem Leistungsanspruch einzuführen. Die Verantwortung für die Umset­zung wurde den Bundesländern übertragen. Vor 2015 gab es entsprechende Regelungen nur in Bremen und Hamburg. Die Expertise gibt den Umsetzungsstand bis Ende Februar 2016 wider. Zusätzlich hat TNS Emnid im Auftrag der Bertelsmann Stiftung Anfang März 1.008 Bürger und Bürgerinnen befragt, ob Flüchtlinge die Gesundheitskarte bekommen sollen. 66 Prozent der Befragten sprachen sich dafür aus. Die Zustimmung stieg auf 80 Prozent, unter der Maßgabe, es entstünden geringere Kosten.
Statements von:
Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer: „Asylsuchende und Flüchtlinge brauchen nach der Erstuntersuchung eine Gesundheitskarte, um in das Regelsys­tem eingegliedert zu werden. Der leichte Zugang zur ärztlichen Versorgung verhindert, dass Krankheiten sich verschlimmern und reduziert somit am Ende die Kosten.“
Prof. Dr. Rolf Rosenbrock, Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrts­pflege: „Die Einführung einer Gesundheitskarte für Asylsuchende ist für die Vereinfachung des Verwaltungsverfahrens zur Übernahme von Behandlungskosten sowohl für die Asylsu­chenden als auch für die Behörden ein sinnvolles Instrument. Die medizinische Versorgung der Asylsuchenden und Geduldeten sollte dem Leistungskatalog der GKV entsprechen und entsprechend abgerechnet werden.“
Dr. Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes: „Für die gesundheitliche Versorgung der Asylsuchenden brauchen wir ein unbürokratisches Verfahren und zugleich eine Entlastung der Kommunen von den Kosten. Die flächendeckende Einführung einer Gesundheitskarte wäre ein sinnvolles Verfahren. Bund und/oder Ländern sollten die Karte einführen und die Kosten tragen. Anderenfalls werden wir einen Flickentep­pich behalten und die Kommunen mit den Kosten belastet.“
Helmut Dedy, Stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages: „Die Ge­sundheitskosten für die große Zahl an Flüchtlingen, die derzeit zu uns kommen, müssen zum größten Teil von den Kommunen getragen werden. Ein bundeseinheitliches Verfahren zur Ab­rechnung der Gesundheitsleistungen für die Flüchtlinge durch die Kassen wäre sinnvoll und würde die Kommunen zumindest bei den Abrechnungsverfahren entlasten. Dies setzt aller­dings voraus, dass die Bedingungen akzeptabel ausgestaltet werden und es im Ergebnis nicht zu einer höheren finanziellen Belastung der Kommunen kommt. Darüber hinaus sollten die flüchtlingsbedingten Gesundheitsaufwendungen generell nicht den Kommunen aufgebürdet werden, sondern von Bund und Ländern getragen werden.“

Weitere Informationen unter: www.bertelsmann-stiftung.de/Gesundheitskarte