Wirtschaft bricht dramatisch ein und erreicht historisches Tief

IHK-Sonderkonjunkturumfrage 2020 zur Corona-Pandemie

Ostwestfalen-Lippe. Die gewerbliche Wirtschaft in Ostwestfalen ist durch die Coronavirus-Epidemie seit April regelrecht eingebrochen und erreichte ein historisches Tief. Zu diesem Ergebnis kommt die Sonderkonjunkturumfrage der Industrie- und Handelskammer Ostwestfalen zu Bielefeld (IHK), die am 23. Juni beim Pressegespräch in der IHK in Bielefeld vorgestellt wurde. „Bei unserer letzten Konjunkturpressekonferenz im März war das Ausmaß dieses historischen Tiefs noch nicht abzusehen. Die Ergebnisse unserer jetzigen Befragung sind alles andere als erfreulich“, betonte IHK-Präsident Wolf D. Meier-Scheuven. Sie fand von Mitte Mai bis Anfang Juni statt. Daran beteiligten sich insgesamt 1.566 Unternehmen mit 120.820 Beschäftigten aus den Bereichen Industrie, Handel und Dienstleistung aus ganz Ostwestfalen, darunter 337 Industriebetriebe mit 72.070 Beschäftigten.

Präsentierten die Ergebnisse der Sonderkonjunkturumfrage und die Auswirkungen der Corona-Pandemie für die Industrie: IHK-Geschäftsführer Dr. Christoph von der Heiden, IHK-Präsident Wolf D. Meier-Scheuven, stv. IHK-Hauptgeschäftsführer Harald Grefe und IHK-Hauptgeschäftsführer Thomas Niehoff (v.l.), Foto: IHK

Präsentierten die Ergebnisse der Sonderkonjunkturumfrage und die Auswirkungen der Corona-Pandemie für die Industrie: IHK-Geschäftsführer Dr. Christoph von der Heiden, IHK-Präsident Wolf D. Meier-Scheuven, stv. IHK-Hauptgeschäftsführer Harald Grefe und IHK-Hauptgeschäftsführer Thomas Niehoff (v.l.), Foto: IHK

Der IHK-Konjunkturklimaindex, der die momentane Lage und die Zukunftserwartungen gleichermaßen berücksichtigt, ist gegenüber der Frühjahrsbefragung von 109 auf 63 Punkte gesunken. „Das ist der tiefste Punkt seit wir den IHK-Konjunkturklimaindex ausweisen und liegt im Vergleich noch ein gutes Stück unter den Werten aus der Finanzkrise 2008/2009“, sagte Meier-Scheuven. Für die ostwestfälische Industrie liege der aktuelle Indexwert sogar noch niedriger, er sei von 105 auf 56 Punkte abgerutscht.

Auch die Werte für den Handel und die Dienstleister seien stark gesunken, im Handel von 122 auf 69 und bei den Dienstleistern von 112 auf 76 Punkte. Besonders hart betroffen sei der Tourismus (von 124,5 auf 14,5 im Gastgewerbe und von 101,6 auf 0 Punkte in der Reisebranche). Alle Werte liegen weit unterhalb der 100er-Linie, die für eine ausgeglichene Stimmung stehe, wenn sich Optimisten und Pessimisten im Saldo die Waage halten. „Das sind schon dramatische Ergebnisse, in der Dimension beispiellos“, unterstreicht Meier-Scheuven.

In der Industrie bewerteten 46 Prozent ihre momentane Geschäftslage als „schlecht“ (Frühjahr 19 Prozent), lediglich 12 Prozent als „gut“ (Frühjahr 25 Prozent). Am zufriedensten seien die Verbrauchsgüterhersteller, etwa die Nahrungsmittelindustrie. „Aber auch hier ist der Gesamtsaldo aus „gut“ und „schlecht“-Bewertungen negativ“, erläutert der IHK-Präsident. Die Ertragslage habe sich ebenfalls erheblich verschlechtert. Die aktuelle Situation, besonders der April, sei zu Lasten der Gewinne gegangen.

Unzufrieden mit ihren bisherigen Erträgen sind laut IHK-Umfrage 36 Prozent, ihre Ertragslage mit „gut“ bewerten nur noch 12 Prozent der Betriebe. Rund drei von vier Industrieunternehmen berichteten zudem von einer geringeren Nachfrage nach ihren Produkten aus dem Inland und aus der EU, den wichtigsten Märkten für Ostwestfalens Industrie. Auch die Stornierung von Kundenaufträgen nehme zu (43 Prozent). Zur fehlenden Nachfrage und den wegbrechenden Aufträgen komme die Unsicherheit über die Entwicklung der Absatzmärkte hinzu – und das lähme Investitionen. Mehr als jedes zweite Industrieunternehmen lege deshalb geplante Investitionen auf Eis oder streiche Investitionsbudgets zusammen.

Auch die Erwartungen der Industrie sehen düster aus: 65 Prozent rechnen laut IHK-Befragung bis zum Jahresende mit einer weiteren Verschlechterung ihrer Geschäftslage, nur 13 Prozent mit einer Verbesserung. Die Exportaussichten seien ebenfalls trüb, denn 70 Prozent erwarten sinkende Auslandsumsätze, lediglich 16 Prozent steigende. Und die Corona-Pandemie zwinge die Unternehmen auch zum Personalabbau. 54 Prozent geben in der IHK-Umfrage an, dass sie Stellen abbauen müssen, weitere 45 Prozent versuchten den Personalbestand zumindest zu halten. Um den wirtschaftlichen Auswirkungen des Corona-Virus zu begegnen, will die Industrie vor allem auf Rationalisierungsmaßnahmen (72 Prozent) setzen und eine verstärkte Digitalisierung im Unternehmen (71 Prozent).

Angesichts der Auswirkungen der Corona-Pandemie würdigt IHK-Präsident Meier-Scheuven die Maßnahmen der Politik. Mit dem Konjunkturpaket seien viele wichtige Impulse gesetzt worden. Die Beschlüsse würden vielen Betrieben in der schwierigen Lage helfen. Allerdings dauerten trotz der schrittweisen Lockerungen die Umsatzeinbrüche in vielen Branchen deutlich länger an als erwartet. Umso wichtiger sei es, sie jetzt mit Liquidität über die nächsten Monate zu bringen.

Auch die geplante Stabilisierung der EEG-Umlage sei ein guter erster Schritt. Um eine konjunkturell wirksame Entlastung zu erreichen, sollte der Zuschuss aber auf Dauer angelegt sein, zumal eine Senkung der Stromsteuer nicht vorgesehen sei. „Verabschiedet hat das Kabinett zudem steuerliche Änderungen wie die Anhebung des Verlustrücktrags, die Senkung der Mehrwertsteuersätze und Anpassung der Vorauszahlungen sowie die degressive Abschreibung von Investitionsgütern. Leider sind diese Maßnahmen nur befristet“, erklärt Meier-Scheuven, die Wirtschaft hoffe zumindest auf eine Verlängerung.

„Die Statistiken des Landesbetriebes Information und Technik NRW bilden die negative Stimmung in der Industrie Ostwestfalens noch nicht ganz ab, denn Grundlage sind die Monatsdaten aller Betriebe mit mehr als 50 Beschäftigten von Januar bis April 2020 – der Corona-Lockdown begann aber erst Mitte März“, erläutert IHK-Hauptgeschäftsführer Thoms Niehoff die Zahlen. Danach betrugen die Umsätze des Verarbeitenden Gewerbes in Ostwestfalen in den ersten vier Monaten 14,3 Milliarden Euro (-2,4 Prozent). Die Umsätze seien dabei sowohl im Inland (-3 Prozent auf 8,8 Milliarden Euro) als auch im Ausland (-1,4 Prozent auf gut 5,5 Milliarden Euro) rückläufig gewesen.

„Der Rückgang ist dabei größtenteils Corona-bedingt“, erklärt Niehoff. Bis Ende März habe sich die Industrie in Ostwestfalen noch behaupten können und sogar zwei Prozent über den Vorjahresumsätzen gelegen. Der April habe aber die ersten vier Monate insgesamt ins Minus gezogen. Ostwestfalens Industrie habe sich von Januar bis April beim Umsatz dennoch besser entwickelt als NRW (-9,2 Prozent) und der Bund (-10,9 Prozent). Im Durchschnitt der ersten vier Monate waren in Ostwestfalens Industrie 170.646 Mitarbeiter beschäftigt, ein Prozent weniger als im Vorjahresvergleichszeitraum.

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