Cannabis-Legalisierung: Einschätzungen der LWL-Expert:innen

Westfalen-Lippe (lwl). Das Bundeskabinett hat die teilweise Legalisierung von Cannabis beschlossen, das Gesetz soll bis Ende 2023 in Kraft treten. Über das Für und Wider ist eine bundesweite Diskussion entbrannt. Was sagen Suchtexpert:innen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) dazu?

Arne Lueg, Chefarzt der Abteilung für Suchtmedizin in der LWL-Klinik Dortmund. Foto: LWL

Arne Lueg, Chefarzt der Abteilung für Suchtmedizin in der LWL-Klinik Dortmund. Foto: LWL

Arne Lueg, Chefarzt der Abteilung für Suchtmedizin in der LWL-Klinik Dortmund:  „Gerade junge Menschen sind gefährdet“

Es ist meines Erachtens richtig, dass eine Legalisierung von Cannabis nicht ungerichtet und flächendeckend erfolgt, sondern bestimmten Regeln unterliegt, um besonders gefährdete Gruppen zu schützen. So ist der Verkauf von Alkohol oder Zigaretten ja ebenfalls an Bestimmungen gebunden und darf daher etwa nicht einfach an Kinder und Jugendliche erfolgen.

Auch wenn der Konsum von Cannabis ein im Vergleich mit anderen Drogen eher niedriges Gesundheitsrisiko darstellt, so sind das Suchtpotenzial und die Folgen des Konsums nicht zu unterschätzen. Gerade junge Menschen sind gefährdet und können nach regelmäßigem Konsum beispielsweise eine Psychose entwickeln, welche sich chronifizieren kann, selbst wenn der Konsum irgendwann gestoppt wird. Aber auch Depressionen spielen eine Rolle und können durch Cannabiskonsum verstärkt werden. Und durchaus können ebenso noch Konsumenten mittleren oder höheren Alters ein sogenanntes „amotivationales Syndrom“ entwickeln, welches mit erheblicher Interessen- und Antriebslosigkeit einhergeht.

Ich sehe eine Legalisierung daher grundsätzlich kritisch, wenngleich ein mündiger Bürger sicherlich selbst entscheiden sollte, was er zu sich nimmt und was nicht. Wichtig bleibt daher, Aufklärung zu betreiben und auf potentielle Gefahren hinzuweisen.

Wichtig wäre es nun, vor allem Behandlungsangebote in Bezug auf Cannabis zu stärken und niederschwelliger möglich zu machen. Aktuell ist es noch immer sehr aufwendig, einen stationären Entzug bei Cannabisabhängigkeit durchführen zu können. Im Bereich Alkohol- oder Heroinabhängigkeit sind stationäre Entzugstherapien schon lange etabliert. Hier sollte in Zukunft nachgebessert werden.

Stefan Kühnhold, Leiter des Zentrums für Suchtmedizin der LWL-Kliniken Warstein und Lippstadt: „In keinem Land hat sich durch eine Legalisierung die Zahl der gesundheitlichen Probleme verringert“

Cannabis ist eine psychoaktive Substanz. Als solche kann sie eine Reihe unerwünschter Nebenwirkungen haben. Insbesondere sind dies Reifungsstörungen bei Jugendlichen, Psychosen und Abhängigkeiten. Verglichen mit den körperlichen und psychischen Folgen anderer Substanzen mögen diese Risiken gering erscheinen. Dennoch sehen wir in der Psychiatrie sehr viele Menschen, die an den Folgen eines Konsums leiden und stationär behandlungsbedürftig geworden sind.

Wegen dieser Folgen muss sich jegliche Gesetzgebung zur Frage des Umganges mit Cannabis daran messen lassen, ob es hiermit gelingt die Zahl der Betroffenen zu verringern. Man wird aber feststellen, dass sich bisher in keinem Land, welches Cannabis freigegeben hat, die Zahl der an einer Sucht Erkrankten bzw. der gesundheitlichen Probleme verringert hat. Genauso wenig ist es irgendwo zu einer gesundheitsbewussteren Einnahme gekommen – ein Argument, das Befürworter gerne ins Feld führen.

Leider finden sich auch im jetzigen Gesetzesvorhaben keine Maßnahmen, die wirksam eine Begrenzung des Konsums in Deutschland erwarten lassen. Zu befürchten ist daher eher die Zunahme der Einnahmemenge und damit auch eine Zunahme der mit Cannabis verbundenen psychosozialen Probleme. Therapeutisch sinnvoll erscheint nur, dass mit einer Freigabe die Strafverfolgungsmaßnahmen entfallen. Bisher haben Prävention, Behandlung und andere Unterstützungen nur eine geringe Rolle gespielt. Es bleibt zu hoffen, dass die Regierung nachlegt und ihrem Versprechen, mehr für Prävention und Behandlung von Substanzfolgestörungen zu tun, auch Taten folgen lässt.

Stefan Kühnhold, Leiter des Zentrums für Suchtmedizin der LWL-Kliniken Warstein und Lippstadt Foto: LWL

Stefan Kühnhold, Leiter des Zentrums für Suchtmedizin der LWL-Kliniken Warstein und Lippstadt Foto: LWL

Jutta Settelmayer, Chefärztin der Abteilung für Suchtmedizin der LWL-Klinik Münster: „Wichtig ist eine seriöse Aufklärung in jungen Jahren“

Grundsätzlich bin ich für eine Cannabis-Legalisierung. Die aktuelle Verbotslage – Alkohol und Nikotin sind erlaubt, alles andere verboten – suggeriert sowohl Harmlosigkeit als auch Gefahren an den falschen Stellen. Wichtig ist mehr seriöse Aufklärung bereits in jungen Jahren, also unbedingt schon bevor die Jugendlichen anfangen, mit verschiedenen Suchtmitteln zu experimentieren.

Für die Legalisierung spricht, dass Menschen, die Cannabis konsumieren möchten, nicht zwangsläufig Kontakt mit einer kriminellen Szene herstellen müssen, außerdem die Qualitätskontrollen. Wichtig ist, dass eine Abgabe an Minderjährige weiterhin verboten bleibt.

Zahlen aus Ländern, in denen Cannabis bereits legalisiert ist, sprechen allerdings dafür, dass die Konsumentenzahlen wohl zunehmen werden. Außerdem halte ich die Pläne der Bundesregierung für unausgewogen – so sind die Mengenbegrenzungen etwa wenig nachvollziehbar. Auch die „Clubidee“, also der Bezug von Cannabis über nicht-kommerzielle Anbauvereinigungen, ist viel zu kompliziert.

Frank Schulte-Derne, Sachbereichsleiter der LWL-Koordinationsstelle Sucht:  „Frühintervention bleibt wichtig“

Das ambitionierte Vorhaben ist grundsätzlich anzuerkennen. Es ist allerdings fraglich, ob der jetzige Gesetzesentwurf den Gesundheitsschutz und den Kinder- und Jugendschutz sowie die Prävention und Frühintervention wie beabsichtigt stärken wird. In jedem Fall ist davon auszugehen, dass Herausforderungen der Suchtprävention und Suchthilfe ansteigen und bewältigt werden müssen.

Die LWL-Koordinationsstelle Sucht hat als zentralen Aspekt die Altersgrenze von mindestens 21 Jahren für den erlaubten Cannabiskonsum in die Diskussion eingebracht. Vor dem Hintergrund der Hirnreifung ist die Altersgrenze ab 18 Jahren generell als kritisch zu betrachten. Eine Begrenzung des THC-Gehaltes für 18 bis 21-Jährige ist daher nur ein Kompromiss.

Jutta Settelmayer, Chefärztin der Abteilung für Suchtmedizin der LWL-Klinik Münster. Foto: LWL

Jutta Settelmayer, Chefärztin der Abteilung für Suchtmedizin der LWL-Klinik Münster. Foto: LWL

Das vorgesehene Konsumverbot für Minderjährige erachten wir als richtig. Dass der Frühintervention beim Verstoß dagegen eine zentrale Rolle eingeräumt wird, begrüßen wir, da so ein wichtiger Beitrag zur Identifizierung besonders vulnerabler junger Menschen geleistet werden kann und möglichst früh Hilfen angeboten werden können. Dies zeigt auch das von uns entwickelte Frühinterventionsprogramm „FreD“, das bundesweit an 220 Standorten angeboten wird. Aktuell entwickeln wir eine digitale Version, ein Fokus wird auf dem Bereich Schule bzw. Schulsozialarbeit liegen. Aber auch hier gilt: Die besten Programme wirken nur, wenn sie in den Kommunen vor Ort gut umgesetzt werden können.

Dr. Ingbert Rinklake, Ärztlicher Direktor der LWL-Maßregelvollzugsklinik Schloss Haldem in Stemwede: „Der Schwarzmarkt wird bestehen bleiben“

Nicht jeder, der Cannabis konsumiert, ist suchtkrank, Todesfälle sind praktisch nicht bekannt. Dennoch ist es das Therapieziel bei jedem Abhängigkeitserkrankten, Abstinenz vom Suchtmittel zu erreichen. Um neue Delikte zu verhindern, ist für Patient:innen im Maßregelvollzug eine absolute Abstinenz besonders wichtig. Denn ihre Suchterkrankung in der Vergangenheit bereits zu einer oder sogar mehreren Straftaten geführt hat.

Mit der Cannabislegalisierung wird meiner Meinung nach keine „Austrocknung“ des Schwarzmarktes erreicht: Der Preis von legalem und qualitativ hochwertigem Cannabis ist höher als auf dem Schwarzmarkt – das liegt daran, dass mehrere Akteure wie Erzeuger oder Qualitätsprüfer beteiligt sind und Steuerabgaben anfallen. Suchtkranke Menschen werden also nach wie vor günstigeres und damit häufig minderwertiges Cannabis konsumieren und gesundheitliche Risiken in Kauf nehmen. Übrigens werden auch jugendliche Suchtkranke weiterhin auf den Schwarzmarkt ausweichen und nicht etwa über Dritte mit ursprünglich legal erworbenem Cannabis „versorgt“ werden. Das liegt vor allem daran, dass die Weitergabe von legal gekauftem Cannabis leichter nachzuweisen ist.

Somit ist die Zielgruppe der Legalisierung am ehesten auf eine finanzkräftigere Kundschaft ausgerichtet – also eine Gruppe, die nur gelegentlich konsumiert und kein größeres Abhängigkeitspotential besitzt. Vulnerables Klientel, also Menschen, die ohnehin Suchtprobleme haben, ist gesundheitlich dagegen stark gefährdet, so dass eine Zunahme der Fallzahlen zu erwarten ist.