SPD und LINKE stellen bei Christinen-Brunnen-Bau Wirtschaft über Naturschutz

Die PARTEI führt Koalition vor mit Wahlmotto: „Planeten gibt es viele, unsere Wirtschaft nur einmal“

Die_PARTEI-Daniel Hofmann und Lena_Oberbäumer „Planeten gibt es viele unsere Wirtschaft nur einmal“ Foto: Jan Schwarz

Die_PARTEI-Daniel Hofmann und Lena_Oberbäumer „Planeten gibt es viele unsere Wirtschaft nur einmal“ Foto: Chris Loth

Bielefeld. „Wollen wir wirklich die Wirtschaft zerstören, nur um den Planeten zu retten?“, so plakatierte es die Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative (Die PARTEI) im Wahlkampf provokativ an jeder Häuserecke. – In der Sitzung des Rates der Stadt Bielefeld am Donnerstag sprachen sich genau dafür (fast) alle anderen Parteien aus. Im großen Saal des Neuen Rathauses ging es um die Bauplanung für die 10 Hektar große Christinen-Brunnen-Erweiterung im Ummelner „Gewerbegebiet Gütersloher Straße“ – mit massiven Eingriffen in Natur und Wasserversorgung. Gegen starken Widerspruch von Naturschutz- und zivilgesellschaftlichen Organisationen wurde die gewerbliche Bebauung im Wasserschutzgebiet beschlossen. Außer der PARTEI sprach sich keine der anderen Fraktionen oder Gruppen gegen die Umweltzerstörung aus. Die Fraktion der Bielefelder Grünen befürwortete einen auf den Getränkehersteller zugeschnittenen Bauplan, stimmte dann jedoch gegen einen allgemeingültigen B-Plan. Mit dem von ihren Koalitionspartnern abweichenden Votum zeigten sie, dass sie SPD und LINKE umwelttechnisch nicht mehr im Griff haben.

Ratsbeschluss macht Wasserschutzgebiet zu Großbaustelle

Der jetzt beschlossene Bebauungsplan soll Grundlage für die 10 ha große Erweiterung des Getränkeabfüllers Gehring-Bunte, mit seiner Hauptmarke Christinen-Brunnen, bilden. Die Expansion soll laut BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland) eine Fläche versiegeln, die als Landschafts- und Wasserschutzgebiet (Wasserschutzzone IIIa des Wasserwerkes Ummeln) und in Teilen als Naturschutzgebiet ausgewiesen sei. Wasserschutzgebiete dürfen laut Ratsbeschluss von 1989 nicht überbaut werden. Auch eines der letzten Kiebitzbrutgebiete müsste einer Bebauung weichen, genau wie eine geschützte Ahornallee. Der Lkw-Verkehr würde sich um den neuen und zwischen den Standorten deutlich erhöhen. Zudem ist die Erschließung durch die Ortsumgehung Ummeln (B61n) gar nicht sichergestellt. Die größte Kritik wurde jedoch aufgrund der ausgeweiteten Grundwasserentnahmerechte laut. Momentan befüllt Gehring-Bunte jährlich 240 Millionen Flaschen und Tetra Packs. Laut Geschäftsführer Daniel Einhäuser, dem Nachfolger von Paul Gehring, werde das Unternehmen aufgrund der „positiven Absatz- und Umsatzentwicklung und der hervorragenden Auftragslage“ Erweiterungsflächen benötigen.

Das nicht parteipolitisch besetzte Fachgremium des Bielefelder Naturschutzrates hatte das Vorhaben bereits viermal abgelehnt. Auch Dezernent Moss gestand ein, dass im Baufenster des kommenden Gewerbeareals das Grundwasser in Mitleidenschaft gezogen wird. Entgegen aller Kritik aus Bevölkerung und städtischen Gremien, sahen die großen Parteien des Stadtrats Bielefeld jedoch kein Problem darin ein 10 Hektar großes Gewerbegebiet im Wasserschutzgebiet zu planen.

Die PARTEI: „Rechnung ohne Deutschlands Liebe zum Mineralwasser gemacht“

In seinem Redebeitrag appellierte PARTEI-Ratsherr Daniel Hofmann an die Vernunft der Kolleg*innen im Stadtrat, die es gebieten müsste, die höchsten Güter Luft und Wasser zu schützen. Doch zugleich räumte er ein, hier habe man diese Rechnung wohl „ohne Deutschlands Liebe zum Mineralwasser gemacht!“ Diese Liebe erzeuge einen Markt, der wiederum Liebe zu Profit mache. „Wir reden bei Mineralwasser von einem Produkt, dessen Ökobilanz 3,5-mal schlechter ist, als die Gratisversion aus dem Hahn“, weiß Hofmann. Und an die Ratsmitglieder gewandt, sprach er diesen vor der Abstimmung ins Gewissen: „Erst wenn die letzten Mineralwasser-LKWs unser Grundwasser verschmutzt haben, die letzten Bäche und Flüsse ausgetrocknet und die letzten Naturflächen versiegelt sind, werden wahrscheinlich auch Sie schmerzlich feststellen, dass sie Wirtschaftswachstum nicht trinken können.“

Ratsdame Lena Oberbäumer fragte für die FRAKTION, wie die Selbstbezeichnung der Ratsgruppe der PARTEI lautet, dann noch einmal bei der stellvertretenden Bürgermeisterin Karin Schrader von der SPD nach: Schrader hatte eingeräumt, dass die Sozialdemokraten für Verlässlichkeit ständen, Verlässlichkeit gegenüber Unternehmen, und sie deshalb geschlossen für die gewerbliche Bebauung stimmen würden. Auf die Nachfrage von Oberbäumer, ob die SPD denn nicht auch wolle, dass sich zukünftige Generationen auf sie verlassen, bleib die stellvertretende Bürgermeisterin die Antwort schuldig.

Stimmen von Zivilgesellschaft und Expertise wurden ignoriert

Immer wieder hatten Naturschutzorganisationen wie der BUND von einer „Gefährdung des Grundwasserkörpers“ durch die gewerbliche Bebauung gesprochen und vor dem „Eingriff in die Aue des Tüterbaches“ gewarnt. Zudem gebiete der erklärte Klimanotstand, dass alle Planungen auf Klimaverträglichkeit geprüft werden müssen. – Im Zuge der sich zuspitzenden Klimakrise wird seit 2018 Trinkwassernutzung und Bewässerung in großen Teilen OWLs in den Sommermonaten bereits eingeschränkt, und auch in Bielefeld stellte das Umweltamt die Frage „welche Grundwasserentnahmerechte aufgrund des Klimawandels […] den Stadtwerken Bielefeld GmbH zukünftig bei weiter steigendem Bedarf noch erteilt werden können“. Da ist es schwer nachzuvollziehen, dass die Expansionspläne von Christinen-Brunnen von all dem ungeachtet Zuspruch von SPD, LINKE, jetzt unterstützt von FDP und CDU – und in den Vorüberlegungen auch von den Grünen – bekommen haben.

Mahnwache vor dem Rathaus bringt Ratsleute nicht zur Vernunft

Die befürchtete Entscheidung für die Wirtschaft und gegen die Umwelt, brachten auch die Demonstrant*innen der von XR (Extinction Rebellion) organisierten Mahnwache vor der Ratssitzung am Rathaus zum Ausdruck: Sie empfahlen den Mandatsträger*innen lautstark und mit Transparenten anstelle eines „Landschaftsraums mit hoher Naturschutzfunktion“ zu opfern, lieber den Fakten der Wissenschaft zu vertrauen, die nahelegen, dass diese Welt und unsere Stadt keine weitere Gefährdung der Umwelt, Wasserreserven und -qualität mehr vertrage. Und auch sie sahen klar die Nachrangigkeit von Mineralwasser: „Menschen können auch mit weniger Mineralwasser überleben, aber nicht mit zerstörten Ackerflächen, zerstörten Ökosystemen und versiegelten Bachläufen.“

PARTEI-Appell an das Gewissen: Nur ein SPD-Mitglied bricht Fraktionszwang

In Anbetracht der auch im Bielefelder Stadtrat hoch gehaltenen Fraktionsdisziplin, beantragte Lena Oberbäumer eine geheime Abstimmung und appellierte vor allem an die Mitglieder der Koalitionsparteien von SPD und LINKE hier nach eigenem Gewissen abzustimmen. 5 Ratsmitglieder stimmten ihrem Antrag zu, zu wenig für eine geheime Abstimmung. In der anschließenden öffentlichen Abstimmung über die Bauplanung im Ummelner Naturschutzgebiet stimmten die Vertreter*innen der PARTEI, der Grünen und drei Einzelvertreter*innen gegen das Vorhaben. Alle übrigen Parteien stimmten, bei einer SPD-Enthaltung, pro Wirtschaft und damit für den Christinen-Brunnen-Bauplan.

Ist das Schicksal des Naturschutzgebietes damit besiegelt?

Der BUND hatte bereits im Vorfeld angekündigt, dass bei einem Beschluss zugunsten der Erweiterung von Gehring-Bunte „eine juristische Überprüfung dieses fragwürdigen Bebauungsplanes notwendig“ sei. Vor dem Verwaltungsgericht Minden hatte der BUND damit bereits erfolgreich die SL-Riding-Ranch in direkter Nähe des Gehring-Bunte-Firmensitzes an der Brockhagener Straße verhindert.

Zudem steht trotz des nun getroffenen Beschlusses die verkehrstechnische Erschließung für das Areal in den Sternen. Für die B61n, Ortsumgehung Ummeln, die das Areal für Lieferverkehr erschließt, gibt es kein bestehendes Baurecht. Das steht aufgrund politischer Differenzen auch nicht in Aussicht – falls die Koalition nicht auch noch hier spontan von ihren ursprünglichen Versprechen Abstand nimmt. Die PARTEI wird die anderen Parteien wohl auch dann daran erinnern, dass beim Wasserschutz in ihren Wahlprogrammen wohl kein Mineralwasser gemeint war!

Text: Jan Schwarz