Von Miriam Savvidis
Michaela Labudda, Marcus Leitschuh (Hg.): Synodaler Weg. Letzte Chance? Standpunkte zur Zukunft der katholischen Kirche, Bonifatius-Verlag Paderborn, 2021.
„So kann es nicht weitergehen“, sagte der damalige Vorsitzende Kardinal Marx auf der Bischofskonferenz der katholischen Kirche im Frühjahr 2019. Missbrauchsskandale hatten die katholische Kirche tief erschüttert und in eine Krise geführt. Die MHG-Studie („Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz) hatte das Ausmaß des Missbrauchs deutlich gemacht. Kardinal Marx sprach von einer Zäsur, die Konsequenzen haben müsste. Die Diskussion um Reformen und die Zukunft der Kirche sollte öffentlich geführt werden. Die Bischofskonferenz beschloss 2019 „einen verbindlichen Synodalen Weg als Kirche in Deutschland…., der eine strukturierte Debatte ermöglicht und in einem verabredeten Zeitraum stattfindet.“ (S. 13)
Die Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, die Laienorganisation, machten sich gemeinsam an die Arbeit. Nach einer ersten Synodalversammlung mit 230 Mitgliedern am 1.2. 2020 stockte der Prozess wegen der Corona-Pandemie. Weitere Veranstaltungen fanden regional in kleinem Rahmen statt. In der vergangenen Woche hat anstelle der geplanten zweiten Synodalversammlung eine digitale Konferenz stattgefunden (4.+5. Februar). Ein guter Anlass, sich mit diesem Buch zu beschäftigen.
Die Autor:innen sind Mitglieder des Synodalen Weges und Mitglieder im Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Marcus Leitschuh arbeitet ehrenamtlich, Michaela Labudda hauptamtlich als Gemeindereferentin in der katholischen Kirche. Sie haben Mitglieder des Synodalen Weges und Wegbegleiter:innen gebeten, aus ihrer Perspektive den Prozess zu beleuchten.
In einer kurzen Einführung (S. 12-18) geben die Herausgeber:innen einen Überblick über die Entstehung des Prozesses „Synodaler Weg“.
In Kapitel 1 (S. 19-34) geht es um unterschiedliche Erwartungen und Hoffnungen, die sich mit dem Prozess verbinden. Das Spektrum reicht von Scham und Resignation angesichts der Missbrauchsdebatte über realistische Einschätzung der Situation und der anstehenden Aufgaben bis hin zur Hoffnung, dass sich auf dem Synodalen Weg ein neues Miteinander in der Kirche einüben kann.
In Kapitel 2 (S. 35-60) werden grundlegende Merkmale benannt, die den Prozess ordnen und begleiten sollen. Dazu gehören die Verbindung von Spiritualität und einer neuen Diskussionskultur, in der um Glaubwürdigkeit gerungen wird. Risikobereitschaft ist nach Ansicht der Beteiligten mitzubringen. Denn am Ende dürfe nicht die Rückkehr in „stickige Geborgenheit der alten Routine“ stehen (S. 46), sondern die Offenheit, sich weiter zu verändern.
Ein Brief von Papst Franziskus an die Katholik:innen in Deutschland hatte 2019 Zustimmung zum Veränderungsprozess signalisiert und wird in einem Beitrag als mutmachend empfunden und als Hinweis darauf, dass der Weg in geistlicher Gemeinschaft zurückgelegt werden soll (S. 52-58).
In Kapitel 3 legen Gebetstexte den geistlichen Grund für die inhaltliche Auseinandersetzung.
(S. 61-70)
Die vier inhaltlichen Foren, in denen ausgehend von der Missbrauchsstudie vorbereitend an konkreten Themen gearbeitet wird, spiegeln sich in den Beiträgen der Kapitel 4-7 wieder (S. 71-173). Die Themen benennen systemische Ursachen, die Missbrauch begünstigen. Im Einzelnen sind das: Macht und Gewaltenteilung in der Kirche: Gemeinsame Teilnahme und Teilhabe am Sendungsauftrag– Priesterliche Existenz heute – Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche und Leben in gelingenden Beziehungen: Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft.
Themen wie das Zölibat und gleichgeschlechtliche Partnerschaft werden kontrovers betrachtet. Deutlich spürbar ist die Ungeduld in den Beiträgen der Frauen, die auf den Zugang zu Leitungsfunktionen und Priesteramt drängen.
Zwei Kapitel widmen sich schließlich der Bedeutung des Synodalen Weges für die katholische Kirche in Deutschland und darüber hinaus (Kapitel 8 und 9, S. 177-227). Das öffentliche Interesse an diesem Prozess ist groß. Die Hoffnungen, die sich damit verbinden, ebenso. Umso klarer werden Ziele formuliert: „Wir werden in der Synodalversammlung nicht alle Probleme der katholischen Kirche lösen. Aber wir müssen dort anpacken, wo man sich die Finger verbrennen kann.“ (S. 218).
Die Stärke des Buches liegt in der Vielfalt der beteiligten Autor:innen und ihrer Sichtweisen. „Persönliche Fenster und Luken in den Maschinenraum des Reformprozesses“, so sagt das Vorwort treffend, sind die einzelnen Beiträge. Die Stimmen, die in dem Buch laut werden, sind O-Ton, bunt gemischt und fassettenreich. Persönliches Engagement klingt fast immer durch, auch Betroffenheit, Sorge und ein Leiden an der Kirche. Andere Beiträge beschreiben nüchtern und sachlich die Problemlage in Bezug auf die Weltkirche und die zunehmende Kirchenferne der Menschen.
Es wird deutlich, dass der Synodale Weg in der Katholischen Kirche um Glaubwürdigkeit ringt und dieser Krise mit einer neuen Transparenz und Gesprächskultur begegnen will. Es wird aber auch deutlich, wie weit dieser Weg noch ist. „Der Synodale Weg ist ein steiniger Weg und muss es sein.“ (S. 217).
Das Buch ist gut lesbar, führt gut ein in die Thematik und weckt Interesse für diesen spannenden Prozess. Es enthält Bilder, die die Entwicklung der Bewegung zeigen. Das Buch hat keine Zusammenfassung und schließt nicht ab mit einem Ergebnis. Es ist Teil des Weges und beleuchtet die Aufgaben, die Akteur:innen und das geistliche und geistige Klima, in dem dieser Prozess stattfindet. Plakativ fragen die Herausgebenden im Titel des Buches: „Synodaler Weg – Letzte Chance?“ Diese Frage wird niemand beantworten können. Klar ist aber wohl, dass der Synodale Weg mit seinem breit angelegten Gesprächsangebot, der gemeinsamen Verantwortung von Laien und Geistlichkeit und der offen gestalteten Perspektive tatsächlich eine Chance bietet, dass die katholische Kirche Glaubwürdigkeit zurückgewinnt. Diese Chance sollte die Kirche nutzen!