Völlige Cannabis-Freigabe: „Das falsche Signal“

Westfalen (lwl). Das deutsche Cannabis-Verbot bleibt in der drogenpolitischen Diskussion. Freigabe oder nicht – was sagen Suchtfachleute des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) dazu?

Doris Sarrazin (Leiterin der LWL-Koordinationsstelle Sucht):

„Seit Jahren liegt der Anteil der von der Polizei ermittelten Konsumentendelikte um ein Vielfaches über dem der Handelsdelikte. Es macht großen Sinn, nicht jeden Konsumenten zu kriminalisieren. Die sogenannte Legalisierungsdebatte ist auch in erster Linie eine Entkriminalisierungsdebatte. Doch eine Legalisierung und gänzliche Freigabe der Substanz wäre meines Erachtens das falsche Signal. Eine Regulierung, die sich am Schutzbedürfnis insbesondere Jugendlicher orientiert, wäre der richtige Weg. Doch dazu ist eine entsprechende Anbau- und Verkaufsstruktur erforderlich sowie ein gut funktionierender Jugendschutz. Das sehe ich aktuell noch nicht gewährleistet. Wie das sinnvoll umgesetzt werden kann, können wir vielleicht von Ländern wie Uruguay und den USA lernen, die Cannabis bundesweit oder in einzelnen Staaten freigegeben haben und von anderen europäischen Ländern, die uns in dieser Entwicklung voraus sind.

Dr. Gerhard Reymann (stellv. Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Suchtabteilungen sowie des LWL-Rehabilitationszentrums Ruhrgebiet an der LWL-Klinik Dortmund):

„Cannabis als Medikament sollte auf Kassenrezept zugänglicher für die Patienten mit der entsprechenden Indikation gemacht werden. Der nichtindizierte Cannabiskonsum sollte nicht legalisiert, aber dekriminalisiert werden.“

Dr. Ulrich Kemper (Chefarzt der Bernhard-Salzmann-Klinik und der Klinik für Suchtmedizin am LWL-Klinikum Gütersloh):

„Es ist zu erwarten, dass der Cannabiskonsum aufgrund der erleichterten Verfügbarkeit durch eine Legalisierung zunehmen würde („Griffnähe“). In den vergangenen Jahren ist auch aufgrund des zunehmend höheren THC-Gehaltes des Cannabis ein vermehrtes Auftreten von schwerwiegenden psychiatrischen Folgestörungen wie Psychosen, kognitiven Einbußen und Impulskontrollstörungen zu beobachten. Allein aus diesem Grund kann aus ärztlicher Sicht einer Legalisierung nicht zugestimmt werden.
Repressive Maßnahmen bei Konsumentendelikten durch Polizei und Staatsanwaltschaft haben sich nicht als erfolgreich erwiesen; hier sollte die Strafverfolgungspraxis überprüft werden.
Mit einer Steigerung der Steuereinnahmen durch die Cannabisfreigabe zu argumentieren, ist aus ärztlicher Sicht zynisch.
Die Vergabe von Cannabis als Therapeutikum durch die Apotheke bei Verordnung durch den Arzt sollte vereinfacht werden. Es erscheint sinnvoll, diese auch für Abhängigkeitserkrankte modellhaft zu erproben.“

Dr. Rüdiger Holzbach (Chefarzt der Suchtabteilungen in den LWL-Kliniken Lippstadt und Warstein):

„Ich bin gegen die Freigabe von Cannabis. Es bedarf sicherlich einer Entlastung von Polizei und Gerichten bei diesem Thema, aber eine Legalisierung würde die Verbreitung von Cannabis bei Heranwachsenden noch weiter vergrößern. Wenn statt jetzt rund 25 Prozent der Jungerwachsenen 50 Prozent Cannabis probieren würden, würde dies vermutlich eine erhebliche Zunahme an regelmäßig Konsumierenden zur Folge haben. Da wir aber täglich sehen, was junge Menschen für Probleme haben, wenn aufgrund der durch Cannabis bedingten Hirnreifungsverzögerung im Körper von Erwachsenen „jugendliche Seelen“ stecken, dann sollten wir als Gesellschaft alles dafür tun, dass diese Zahl sinkt und nicht noch ansteigt.“