Unterricht auf Distanz – Aus dem Alltag einer Lehrerin

Von Miriam Savvidis

Gütersloh. Viele Schüler:innen und Lehrer:innen haben es in der aktuellen Situation nicht einfach. Der Unterricht auf Distanz erschwert die Vermittlung des Stoffes und das persönliche Miteinander bleibt auf der Strecke. Iris Wiersema ist Lehrerin für Englisch, Französisch und Musik an der Geschwister-Scholl-Schule in Gütersloh und berichtet über ihre Unterrichtserfahrungen während des Lockdowns.

Welche Herausforderungen stellen sich Ihnen in Bezug auf Distanzunterricht?

Iris Wiersema bei der Arbeit

Unterricht auf Distanz – Aus dem Alltag der Lehrerin Iris Wiersema .

Wiersema: „Durch meine Kinder muss ich mich gut organisieren. Wenn ich das nicht mache, funktioniert nichts, weil ich meine eigenen Anforderungen nicht erfüllen kann. Da unsere Kinder betreut werden müssen, haben mein Mann und ich zuhause einen festen Plan, nach dem wir arbeiten. Sie haben vormittags Unterrichtsstunden; auch der Vierjährige hat Unterricht, sonst würde das zeitlich nicht funktionieren. Ich arbeite zurzeit oft am Abend, was jedoch auch unter normalen Umständen vorkommt, auch wegen der Kinder.

Eine weitere Herausforderung ist, dass ich auch meinen Unterricht neu organisieren muss. Alles, was ich sonst gemacht habe, funktioniert nicht so gut in dieser Zeit. Ich arbeite mit meinen Schüler:innen online über Teams. Meine siebte Klasse treffe ich in Videokonferenzen. Wir arbeiten in zwei Gruppen, so kommt man natürlich besser ins Gespräch als in einer großen Gruppe mit ca. 30 Personen. Mit den Fünftklässler:innen veranstalte ich nicht jedes Mal eine Konferenz, weil sie nicht jeden Tag mehrere Stunden am Computer sitzen sollen. Das wurde so im Kollegium abgesprochen.

Die Herausforderungen sind vor allem zeitlicher und organisatorischer, aber auch technischer Art. Einige meiner Schüler:innen sind nicht gut vernetzt, weil sie eine schlechte Internet-Verbindung haben. Sie fehlen dann oft.

Es ist außerdem schwierig, das Lehrer-Schüler-Verhältnis aufrecht zu erhalten. Man hat nicht mehr diese persönliche Ebene, die sich ganz natürlich ergibt. Wenn man diese Ebene erreichen möchte, muss man sie jedes Mal von sich aus anregen oder die Schüler:innen müssen sie initiieren, was aber eher seltener vorkommt. Ich kann nicht mal eben jemandem während des Unterrichts zulächeln oder einen lustigen Spruch sagen, das fällt einfach weg. Ich finde, das fehlt gerade.“

Wie bleiben Sie momentan mit den Schüler:innen in Kontakt?

Wiersema: „Meine Schüler:innen können mich über Teams erreichen, was auch häufig in Anspruch genommen wird. Sie rufen mich darüber an, wenn sie ein Problem oder eine Frage haben, auch abends. Es ist auch möglich, diese Funktion bei Teams auszustellen, um zu bestimmten Tageszeiten mal nicht erreichbar zu sein.“

Haben Sie das Gefühl, dass die digitale Infrastruktur an Ihrer Schule ausreicht?

Wiersema: „Also, wir hatten eine Zeit lang Hybrid-Unterricht. Das war sehr schwierig, weil das Internet in unserer Schule nicht gut genug dafür ist, Videokonferenzen zu veranstalten und gleichzeitig die Schüler:innen im Klassenraum versorgen zu können. Ich finde die technischen Gegebenheiten in der Schule katastrophal. Das hängt mit der Ausstattung vonLand und Träger zusammen.
Das Programm Teams gefällt mir, wir hatten bisher keine größeren Schwierigkeiten damit. Manche Dinge laufen nicht so gut, aber in der Regel kann man mit dem Programm gut arbeiten.“

Was ist Ihre größte Sorge im Augenblick?

Wiersema: „Vor allem mache ich mir Sorgen um diejenigen, die den Klassenraum und dieses „Wir lernen zusammen und unterstützen uns“ brauchen. Zurzeit arbeite ich verstärkt mit Gruppenarbeit, weil es vielen Schüler:innen schwer fällt, ihren Alltag zu bewältigen. Manche meiner besten Schüler:innen geben nur selten Aufgaben ab, da dieses gegenseitige Motivieren und Organisieren komplett wegfällt. Das finde ich sehr schade.
Ich mache mir natürlich auch Sorgen um die Kinder, die alleine zuhause sind, weil ihre Eltern Schichtarbeit machen müssen. Und allgemein um die, die zuhause Gewalt ausgesetzt sind.“

Verstärkt die Pandemie Bildungsungerechtigkeiten?

Wiersema: „Ja, ich denke, dass die Pandemie Bildungsungerechtigkeiten verstärkt. Betroffen sind vor allem diejenigen, die keine gute Internetverbindung oder keinen Zugang zu Geräten haben. Wir Lehrkräfte haben die Möglichkeit, Geräte an Schüler:innen auszuleihen. Momentan sind auch alle Geräte entliehen, aber wenn man kein stabiles Internet hat und nicht in die Notbetreuung kann oder möchte, dann hat man schon das Nachsehen. Also ich habe auch Kinder, die ich dadurch verliere.“

Welche Gruppen sind mit Blick auf die Corona-Krise besonders von Bildungsbenachteiligung betroffen?

Wiersema: „Ich habe mehrere geflüchtete Kinder in meinen Klassen, die sich oft in schwierigen Verhältnissen befinden. Wenn sie kein eigenes Mobilgerät besitzen, können sie im Moment nicht wirklich gut mitarbeiten.
Außerdem sind einige Kinder davonbetroffen, bei denen Eltern sich kaum einbringen und Kinder beispielsweise selten nach ihren Hausaufgaben fragen oder bei denen kein gutes Eltern-Kind-Verhältnis besteht. Ich denke, dass diese Kinder es momentan schwer haben, da sie möglicherweise besser mit einer Lehrkraft arbeiten können als mit ihren Eltern. Generell sind leider schon die Gruppenbenachteiligt, die sozial schwächer gestellt sind.“

Wie ist Schule generell aufgestellt für Kinder aus armen Familien oder aus sozial benachteiligten Verhältnissen?

Wiersema: „Wir haben viele Kinder aus ärmeren Familien und sozial benachteiligten Verhältnissen sowie einige, die Bildung und Teilhabe in Anspruch nehmen. Wie gesagt gibt es Leihgeräte für die, die kein eigenes Gerät besitzen. Außerdem haben wir Sozialarbeiter:innen, die Hausbesuche machen. Leider können wir nicht vor Ort in der Schule sein, um beispielsweise nachmittags unsere Unterstützung anzubieten wie vorher. Das fällt gerade einfach weg.“

Können digitale Tools helfen, um dem Auseinanderklaffen der Bildungsschere entgegenzuwirken?

Wiersema: „Ich finde es schwieriger, über die Distanz zu vermitteln. Es gibt mehr Schüler:innen, die sich verschlechtern, aber es gibt auch einige, die gut mit der Situation zurechtkommen und organisiert sind. Die Schere wird durch den Distanzunterricht eher größer. Ich würde sagen, dass 30 bis 40 Prozent nach dieser langen Zeit ohne Präsenzunterricht irgendwann abschalten. Viele können die Motivation einfach nicht mehr aufbringen.

Normalerweise lese ich als Lehrerin an dem Gesicht eines Schülers/einer Schülerin ab, ob die Person etwas verstanden hat, ob sie gedanklich noch da ist oder ob sie mit dem Kopf bereits irgendwo anders ist. Wir haben mit Eltern darüber gesprochen, dass es vorteilhaft ist, die Kameras in den Videokonferenzen anzuschalten. Das klappt auch oft gut, viele Schüler:innen sind mit Bild da, aber letztendlich können und wollen wir sie nicht zwingen. Es wäre nur schön, etwas mehr von ihnen mitzubekommen.“

Was wünschen Sie sich von der Bildungspolitik für das nächste Schuljahr?

Wiersema: „Ich wünsche mir von der Bildungspolitik, dass uns Lehrer:innen die Möglichkeit gegeben wird, unsere eigenen Ideen umzusetzen. Ich habe viele sehr engagierte Kolleg:innen, die ihre Konzepte nicht umsetzen durften. Zum Beispiel gab es einige Ideen, wie Distanzunterricht vermieden werden kann, etwa durch Gruppenaufteilungen und Parallelunterricht. Das wurde jedoch vom Bildungsministerium abgelehnt. Auf der einen Seite gibt es wenig Unterstützung und auf der anderen Seite wenig Chancen, sich in die Planung einzubringen. Das ist wirklich frustrierend.

Generell ist die technische Ausstattung an der Schule verbesserungswürdig. Wir sind hundert Kolleg:innen, haben nur fünf Rechner und zwei Kopierer zur Verfügung. Zeitweise wurde uns gesagt, dass wir nicht auf unseren eigenen Geräten arbeiten dürften. Da fragt man sich, wie man überhaupt Unterricht machen soll.

Eine andere Sache sind die Lüftungsanlagen. Hätten wir diese bereits in den Klassenzimmern eingerichtet, würden wir gar nicht zuhause sitzen müssen. Und wir wollen auch nicht zuhause sitzen.Ich persönlich möchte lieber in die Schule gehen. Aber im Moment würde ich meine Kinder auch nicht in die Schule schicken wollen.“

Weiterhin wünscht sich Iris Wiersema eine langfristige Planung von vorneherein, beispielsweise Distanzunterricht bis zum Sommer. Dann könnte man den Fokus auf die Hauptfächer legen und die Lehrkräfte, die hauptsächlich Nebenfächer unterrichten, könnten die Notbetreuung übernehmen.

Über die Schulleitung sagt Wiersema, dass diese sehr engagiert ist. Auch die Sozialarbeiter:innen werden erwähnt, die zurzeit für die Notbetreuung und Hausaufgabenhilfe verantwortlich sind, obwohl sie dafür nicht ausgebildet wurden. Dennoch sollten an dieser Stelle eher Kolleg:innen eingesetzt werden, die auf Nebenfächer spezialisiert sind, die zum Teil nicht stattfinden können, wie zum Beispiel Sport, weil sie einfach näher dran sind.

Dennoch macht ihr die Arbeit nach wie vor Spaß und sie gibt sich gerne Mühe mit ihren Schützlingen. Sie lernt sie durch den Distanzunterricht teilweise neu kennen und versucht, sie durch lustige Aktionen zu motivieren mitzuarbeiten. Zum Beispiel gab Wiersema ihren Klassen neulich die Hausaufgabe, ein Schneeselfie von sich zu machen. Damit die Schüler:innen etwas mehr von sich zeigen und sich einbringen. Zu Karneval wird sie sich natürlich verkleiden, damit sie auch etwas von sich zeigt und der Spaß nicht verloren geht.

Zum Schluss sagt Wiersema, dass sehr viele Eltern in ihren Klassen einen wirklich guten Job machen. Sie stellen die Technik zur Verfügung, geben die eigenen Geräte an ihre Kinder ab und kümmern sich darum, dass Arbeitsmaterial ausgedruckt wird. Alle machen es so gut, wie sie können. Das solle man sich öfter vor Augen führen.

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