Wohngemeinschaften, Rockmusik und Hausbesetzungen in Lippe

LWL zeigt im Ziegeleimuseum Ausstellung über die 68er-Bewegung

Lage. 1968 protestierten Studenten in Berlin, in Bonn verabschiedete der Deutsche Bundestag die Notstandsverfassung. Welchen Einfluss hatten diese Ereignisse auf die ländliche Region? Wie änderte sich das Leben junger Menschen in Lippe? Welche Rolle spielte die Bewegung auf dem Land? Diesen Fragen widmet sich das LWL-Ziegeleimuseum 50 Jahre danach in der Ausstellung „Die 68er-Bewegung in der Provinz“. Von Sonntag (18.3.) bis zum 30. September präsentiert der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) in seinem Industriemuseum in Lage über 300 Exponate – von der Sitzbank aus der Szenekneipe „Berta“ bis zur Bühnendekoration der Musikgruppe „Lions“. Über 50 Plakate, zusammengetragen von Mit-Initiator Walter Meutzner, illustrieren die Interessens- und Themenschwerpunkte dieser Zeit.

„Viele junge Menschen in Lippe beschäftigten in dieser Zeit nicht nur die Ereignisse und Aktionen in den Großstädten. Sie bewegten die Verhältnisse in ihrer Region, und sie wollten hier etwas verändern“, erklärte LWL-Museumsleiter Willi Kulke am Donnerstag (15.3.) bei der Vorstellung der Ausstellung in Lage. Mit Freunden und Bekannten entflohen sie den konservativen Ritualen und Festen der Dorfgemeinschaften. Sie suchten nach neuen Freizeit- und Gestaltungsmöglichkeiten, bildeten eigene Milieus und schufen Treffpunkte. Die Jugendlichen und Studenten trafen sich in Szenekneipen wie der „Berta“ in Detmold, im „Studentenclub Lemgo“, in Jugendzentren oder in dem linken Buchladen „Distel“. Bands aus der Region coverten aktuelle Songs oder spielten eigene Kompositionen. Aufgetreten sind sie in Detmold im „Falkenkrug“ (hit-club), im „Volkshaus“ und in „Gellers Gaststätten“ (teen-Club). „Der Beat war der Impulsgeber für die 68er Bewegung“, so
Hans-Gerd Schmitz, der Autor des gleichnamigen Buches.

Wohngemeinschaften waren eine neue alternative Lebensform. Die Mitglieder lebten in den Städten Detmold und Lemgo, häufig jedoch in alten Kotten auf dem Land. Sie bauten selbst Gemüse an, hatten teilweise gemeinsame Konten und praktizierten die freie Liebe. „Man beschäftigte sich mit Wertmaßstäben und bestimmte Werte einfach neu“, erläutert Eckhard Rakemann, ehemaliger Mitbewohner der Hahnenberg WG und der Gestalter der Ausstellung. Die Mitglieder der 1973 gegründeten Wohngemeinschaft „Kalletal I“ und die 1978 entstandene Bösingfelder WG engagierten sich in der Jugendzentrums- und Friedensarbeit, die Detmolder Wittekindstraße-WG etwa für Umweltschutz und gegen Atomkraft. Beat-Musik als Schwerpunkt gab es in Vinsebeck, Sommersell oder in Brüntrup.

Die 68er-Bewegung steht auch in der lippischen Provinz für den Beginn von Protest und Widerstand. Sie setzte allerdings andere Themenschwerpunkte. Atomkraft, gesunde Ernährung, die Schaffung eigener Räume für Diskussionen, die Entwicklung neuer Lebensformen und die Musik bestimmten die Aktivitäten der Jugendlichen und Studierenden. Gemeinsam bauten Anti-Atom-Aktivisten das lippische Haus in Gorleben auf und fuhren auf Demonstration gegen das Atomkraftwerk in Grohnde.

In den Bioläden ging es um mehr als nur den Verkauf gesunder Lebensmittel. Hier entwickelten sich Diskussionen über Ernährung, Politik und Lebensmodelle. Aktionsgruppen legten hier ihre Flugblätter aus, machten Veranstaltungstermine bekannt oder organisierten Busfahrten zu AKW-Großdemonstrationen. Erste Jugendzentrumsinitiativen gründeten sich in Detmold-Pivitsheide und in Kalletal 1972/73. Mit ihrem Autonomiebegriff vertraten die Initiativen ein Prinzip der Selbstbestimmung, in dem alle Jugendlichen aktiv an den Entscheidungsprozessen teilnahmen und Mitverantwortung für das Zentrum übernahmen.

Am Ende der Ausstellung darf der Besucher selbst aktiv werden und aufschreiben, welche Rolle die 68er-Bewegung für ihn gespielt hat und was davon geblieben ist.

Eröffnung
Bei der Eröffnung der Ausstellung am Sonntag (18.3.) um 11 Uhr begrüßt Gertrud Welper, stellvertretende Vorsitzende der LWL-Landschaftsversammlung, die Gäste. Nach einem Grußwort von Dr. Axel Lehmann, Landrat des Kreises Lippe, und Heinrich Schmidtpott, Vorsitzender des Fördervereins Westfälisches Industriemuseum Ziegelei Lage, gibt LWL-Museumsleiter Willi Kulke eine Einführung. Für den musikalischen Rahmen sorgen die „Lions“ unplugged.

Begleitveranstaltungen
15.4. 14 Uhr
Erzählcafé: Karin Wetterau liest aus ihrem Buch “ Täterkinder und Rebellen – Ein Familienroman“
3.6. 14 Uhr
Klaus-Dieter Melzer berichtet über seine Reisen nach Indien und Nepal
17.6. 14 Uhr
Erzählcafé: Christine Cantauw und Jürgen Scheffler referieren über die Schülerbewegung der 1960er Jahre in Westfalen
8.-11.8. 20.30 Uhr
Open Air Kino auf dem Fabrikhof des Ziegeleimuseums

Die 68er-Bewegung in der Provinz
Wohngemeinschaften, Rockmusik und Hausbesetzungen in Lippe
18. März bis 30. September 2018
LWL-Industriemuseum Ziegeleimuseum Lage
Sprikernheide 77, 32791 Lage
Geöffnet Do-So 10-18 Uhr