Willkommen im Labyrinth – Künstlerische Irreführungen

Herford. Türen, die in ein blutrotes Dickicht aus zarten Fäden eingesponnen sind; hunderte Lampen und Spiegel, die unendliche Weite vortäuschen oder ein Raum, in dem die physikalischen Gesetze keine Gültigkeit mehr zu haben scheinen: Mit sechs großformatigen Rauminstallationen internationaler Künstler*innen inszeniert die Ausstellung „Willkommen im Labyrinth“ einen inspirierenden und sinnlichen Parcours. Angelehnt an die Symbolik des Labyrinths werden die zumeist eigens für die Ausstellung entwickelten Raumstrukturen von Anne Hardy, Peter Kogler, Christian Odzuck, Royden Rabinowitch, Chiharu Shiota und Song Dong die Gehry-Galerien von Marta Herford zum Teil tiefgreifend verändern.

„Mir gefällt die Idee des Museums als Schutzraum für lustvolle Irrungen. Das Labyrinth dient uns hier vor allem als Denkfigur: Mit der Kunst nach ästhetischer Orientierung suchen und neue Wege entdecken – darin liegt auch eine Stärkung für einen zunehmend als unübersichtlich erlebten Alltag.“ – Roland Nachtigäller.

Ob Jahrmarktattraktion, Orientierungsfigur oder Symbol: Labyrinthe basieren auf einem jahrtausendealten Konzept. Als räumliche Irreführungen dienen Labyrinthe der kurzweiligen Unterhaltung und stehen symbolisch für die entbehrungsreiche Selbstfindung oder sind Abbild städtebaulicher Strukturen. In ihrer Vieldeutigkeit inspirieren sie auch zeitgenössische Künstler*innen: Nach einem Einstieg in das Konvolut des in den 1980er Jahren führenden Labyrinth-Forschers Hermann Kern greifen die Rauminstallationen in den Gehry-Galerien den lustvollen und irritierenden Aspekt des Labyrinths auf und präsentieren sich als eine alle Sinne ansprechende Körpererfahrung.

Ein bereits von weitem hörbarer Sound dringt aus Anne Hardys (*1970, Großbritannien) „Fieldwork“ (2014) – einer rätselhaften Holzkonstruktion, die im Marta-Dom steht. Eine Tür am seitlichen Vorbau lädt ein, die drei schummrig beleuchteten Räume im Innern zu betreten. Die hier platzierten Überbleibsel sind Zeugnisse einer vergangenen Handlung, die aber nicht mehr nachvollziehbar ist. Mit Requisiten aus ihrem persönlichen Umfeld entwickelt Anne Hardy ihre „Fieldworks“ als materielle Gedankenräume, die grundlegende Fragen nach psychologischer Prägung und ihrer Auswirkung auf die Wahrnehmung aufwerfen.

Mit „Everywhere“ (2016/2017) bezieht sich Song Dong (*1966, China) auf die nomadische Wohnstruktur einer mongolischen Jurte. Von außen gliedern bunte, verspiegelte Fensterrahmen, die der Künstler aus Abrissbaustellen in Peking gesammelt hat, den polygonalen Pavillon. In seinem Inneren suggerieren hunderte Spiegel und Lampen einen Raum von endloser Weite, in dem man jeden Halt zu verlieren scheint. Mit der Verwendung alter kultureller Erinnerungsstücke aus seiner Heimat bezieht sich Song Dong auf die teilweise drastischen Veränderungen urbaner Strukturen und schlägt eine Brücke von der Vergangenheit in die Zukunft: Als Ort der Begegnung und Kommunikation können Besucher*innen und Gruppen während der Laufzeit die Installation für eigene Treffen beleben.

Christian Odzucks (*1978, Deutschland) „Nieteum“ (2018) führt durch eine Raum-Choreografie, die sich strukturell und rhythmisch auf die Dramaturgie von Dante Alighieris „Göttlicher Komödie“ bezieht. In urbaner und industrieller Atmosphäre wandeln die Besucher*innen durch die inszenierte Installation. Der literarische Spaziergang mündet im sogenannten „Kaiser“, einem theatralisch beleuchteten Bereich, der über begehbaren Bauschutt in die anliegende Galerie führt. Anfang und Ende des Rundgangs sind unklar – die Besucher*innen sollen bewusst ihren eigenen Weg suchen, um ihren persönlichen Erzählraum zu schaffen.

Wo beginnt die Grafik und wo endet die Architektur? In der Installation „Ohne Titel“ (2018) von Peter Kogler (*1959, Österreich) versetzen die wabernden Liniengeflechte auf Wänden, Boden und Decke die geschwungene Gehry-Galerie noch stärker in Bewegung. Als wichtiger Vertreter der computergenerierten Kunst setzt Kogler den PC als zentrales Zeicheninstrument ein und verwandelt mit seinen grafischen Strukturen Räume in eine matrixähnliche Inszenierung, die das menschliche Sehen herausfordert und die Sicherheit des eigenen Standpunkts erschüttert.

Auf Royden Rabinowitchs (*1943, Kanada) mehrteilige, geometrische Bodenskulptur „Stan and Ollie (primitive and derived Descriptions through three Axes)” (2007) ergeben sich je nach Betrachtungswinkel stets neue Perspektiven. Beim Umherlaufen scheinen die schwergewichtigen und gefalteten Stahlbleche mal dicht gedrängt und mal auseinanderzustreben. In der Draufsicht wird das labyrinthische Geflecht deutlicher, das in seinen Volumina variiert. Rabinowitchs Skulptur, die Teil der Sammlung Marta ist, demonstriert die spannungsvolle Suche des Künstlers nach Balance zwischen den gegensätzlichen Prinzipien von Zufall und Systematik, Gefühl und Vernunft.

Wie ein pulsierender Strom von menschlichen Adern bewegen sich die blutroten Linienstrukturen von Chiharu Shiotas (*1972, Japan) „Secret Passage“ (2018) durch den Galerieraum. Fünf alte Türen sind in diesem netzartigen Kokon verwoben und können – wie der buchstäbliche Zutritt in eine andere Welt – von den Besucher*innen durchschritten werden. Die geheimnisvollen und zugleich unheimlich wirkenden Fadeninstallationen gehören seit Mitte der 1990er Jahre zum festen Vokabular der Künstlerin und werden in wochenlanger Handarbeit realisiert.

Die Ausstellung wird gefördert durch die Kunststiftung NRW, das Bundeskanzleramt Österreich sowie durch die Kunstpaten Ahlers Kulturstiftung/Fondation Restany, Hofmeister Dach + Asphalt GmbH sowie Wemhöner Surface Technologies. Weitere Unterstützer der Ausstellung in Form von Material und Dienstleistungen sind GraphicLine Werbetechnik & Digitaldruck, H+P Hirschhorn GmbH & Co KG, mateco GmbH und T + A elektroakustik GmbH & Co. KG.

Heilpraktiker Stiv Dudkin