Spannende Firmen in Serie

Stefanie Salewski hat einen Blick für das Besondere. Foto: LWL/Arendt

Stefanie Salewski hat einen Blick für das Besondere.
Foto: LWL/Arendt

Detmold. Frank Garz, Björn Richter und Klaus-Dieter Weiß sind ein Trio auf Zeit. Sechs bis sieben Mal im Jahr sind sie zusammen im Kreis Lippe unterwegs und sammeln Sperrmüll. Im Norden des Kreises fahren Garz und sein Team manchmal bis kurz vor Minden. Pro Tour legen sie fast 100 Kilometer auf den Straßen Ostwestfalens zurück. Die drei Männer arbeiten im Auftrag des Integrationsunternehmens AGA – kurz für Detmolder Arbeitsgemeinschaft Arbeit gGmbH. Der Entsorgungsbetrieb hat 48 Mitarbeiter, viele von ihnen haben eine Behinderung oder waren lange arbeitslos.

„Der Job war für mich ein echter Glücksgriff“, freut sich Frank Garz, der sich zuvor vier Jahre lang mit Zeitarbeit durchgeschlagen hat. Auch Björn Richter konnte auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht Fuß fassen. Acht Jahre arbeitete er zunächst bei einem anderen Integrationsunternehmen. Der 43-Jährige ist froh, dass es heute endlich anders ist: Er und seine beiden Kollegen sind fest und unbefristet bei der AGA angestellt.

Frank Garz steuert den weißen Siebeneinhalb-Tonner, mit dem die kleine Truppe bei ihren Fahrten einen strammen Plan schafft. Zehn verschiedene Orte sind es durchschnittlich pro Tour, die angefahren werden müssen. „Wir entlasten uns bei der Arbeit gegenseitig und passen aufeinander auf“, sagt Garz und blickt zu seinem Kollegen Klaus-Dieter Weiß, der auf dem Beifahrersitz Platz genommen hat und zustimmend nickt. Der 52-Jährige hat Sprachprobleme und darf nur leichte bis mittelschwere Arbeiten erledigen. Für das Team ist das kein Problem: Jeder hilft einfach dort, wo der andere Schwierigkeiten hat.

Zusätzlich werden die Routen von der AGA bewusst so geplant, dass die Mitarbeiter nach einer körperlichen Belastung längere Ruhepausen einlegen können. Ein Prinzip, das auch Björn Richter schätzt, der ebenfalls eine Behinderung hat. Er kann nicht gut sehen und muss sich wegen seiner Diabetes-Erkrankung regelmäßig Spritzen setzen. Mit dem Job ist das aber gut zu vereinbaren. Und: „Die anderen haben immer eine Auge darauf, dass ich mich nicht übernehme.“ Der 43-Jährige sitzt zwischen seinen beiden Kollegen in der Fahrerkabine des Lasters, einem von sechs Fahrzeugen, die im Kreis Lippe fünf Tage die Woche unterwegs sind. Mit dem Fuhrpark werden pro Jahr 162.000 Kilometer zurückgelegt, immer im Team aus einem Fahrer und zwei Beifahrern.

Die AGA ist eines der ältesten Integrationsunternehmen in Westfalen-Lippe. Es begleitet seit der Gründung im Jahr 1987 Jugendliche und Erwachsene dabei, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. „Integration durch Arbeit“ ist das Motto der Firma, die vorwiegend Menschen mit Behinderungen, psychischen Problemen oder nach einer Langzeitarbeitslosigkeit beschäftigt. „Bei anderen Firmen bekommen diese Menschen oft keine Chance, obwohl sie gute Arbeit leisten“, erklärt Jens Fillies, einer der Geschäftsführer. Auch sein Kollege Ulrich Schlotthauer weiß: „Es geht nicht so sehr um die Kraft des einzelnen Mitarbeiters, sondern um das ‚Gewusst wie'“. Damit kennen sich beide Chefs gut aus. Sie sind Experten in der Entsorgungsbranche, wissen, wie die Teams organisiert, worauf dabei geachtet und welche Fähigkeiten vermittelt werden müssen: „Dann können drei Leute mit Sackkarren und einer Ladebordwand auch schon mal ganze Möbelberge versetzen.“

Das Unternehmen erfüllt eine wichtige Aufgabe, die zugleich dem gesamten Gebiet dient. Die AGA wird von einem breiten politischen und gesellschaftlichen Konsens in der Region getragen, bestätigt Dr. Axel Lehmann, der Landrat des Kreises Lippe. Seit 20 Jahren sorgt das Unternehmen nicht nur dafür, dass Sperrmüll abgefahren wird, sondern übernimmt auch die Verwertung und Entsorgung im hauseigenen Recyclinghof. Bis zu 35 Tonnen weiterverwendbare Wertstoffe kommen hier jeden Tag zusammen, die zum Teil mit vielen Mitarbeitern aufwändig in Handarbeit zerlegt und sortiert werden.

Die AGA ist damit auch ein Beschäftigungsprojekt, sagt Jens Fillies. Und es rechnet sich auch ökologisch, weil möglichst viele Schadstoffe sauber entsorgt werden. Unter dem Strich ist das Unternehmen sogar günstiger für die Bürger im Kreis Lippe, weil es nachhaltig ist. Der Kreis Lippe arbeitet auch deshalb eng mit dem zertifizierten Entsorgungsfachbetrieb zusammen. Vor zwei Jahren wurden die Verträge verlängert, die die Aufgabenverteilung zwischen den Entsorgungsbetrieben regeln. Der AGA sichert diese Vereinbarung bis 2024 zu, dass sie die Sperrmüll-Abfuhr und -Verwertung für den Kreis übernehmen darf.

Für Betriebsleiter Roy Schnormeier hilft die Arbeit bei der AGA zudem dabei, dass die Mitarbeiter bei sich Tugenden wiederfinden können. „Pünktlichkeit, Fleiß, Teamarbeit“ zählt er auf und ergänzt, dass Mitarbeiter wie Frank Garz auch das Führen und Delegieren lernen. Viele seiner Mitarbeiter seien fit für den ersten Arbeitsmarkt, unterstreicht Schnormeier, der aus der freien Wirtschaft ins Integrationsunternehmen gewechselt ist. Ein Handicap der Mitarbeiter sei für ihn kein Problem. „Das ist für mich eine total faszinierende Erfahrung.“

Das Team um Inhaberin Birgit Honvehlmann gestaltet die VIP-Lounges bei Borussia Dortmund. Foto: LWL/Arendt

Das Team um Inhaberin Birgit Honvehlmann gestaltet die VIP-Lounges bei Borussia Dortmund.
Foto: LWL/Arendt

2. Ideen in allen Farben – Bei Floristik Steinbrecher arbeiten Menschen mit und ohne Behinderung für Privatkunden, Firmen und den BVB

 Im Mai herrscht bei Moderne Floristik Steinbrecher der Ausnahmezustand: Neben dem normalen Betrieb binden Inhaberin Birgit Honvehlmann und ihr Team zahllose Sträuße zum Muttertag, gestalten Tischdekorationen für Hochzeiten, Konfirmations- und Kommunionsfeiern und haben auch ansonsten alle Hände voll zu tun, weil im Frühling die Beet- und Balkonpflanzsaison auf Hochtouren läuft. „Während dieser Zeit gilt bei uns eine Urlaubssperre, weil wirklich jede Hand gebraucht wird“, sagt die Chefin.

Hinter dem Verkaufstresen steht heute Katharina Wodrich. Kaum hat die 24-jährige Floristin einem Kunden sein Wechselgeld gereicht, tritt schon der nächste Ladenbesucher auf sie zu. „Ich möchte gerne einen bunten Frühlingsstrauß verschenken“, sagt der Mann. „Können Sie bitte auch Freesien reinbinden?“ Während er spricht, schaut Katharina Wodrich ihm konzentriert ins Gesicht, dann nickt sie lächelnd und zieht eine gelbe Freesie aus einer Vase. Dazu sucht sie weiße Ranunkeln, blaue Hyazinthen, orangefarbene Tulpen und Ginster aus. „Gefällt Ihnen das?“, fragt sie und sieht ihren Kunden wieder an. Die junge Frau ist auf einem Ohr gehörlos, auf dem anderen hat sie nur noch drei Prozent Hörkraft. Dass der Mann auf der anderen Seite der Theke mit ihrem Vorschlag zufrieden ist, liest sie von seinen Lippen ab.

Als Birgit Honvehlmann das Blumengeschäft Anfang 2014 von der Gründerfamilie Steinbrecher übernahm, machte sie aus dem Laden ein Integrationsunternehmen. Neben Katharina Wodrich beschäftigt sie noch drei weitere Mitarbeiterinnen mit einer Behinderung – 26 Angestellte hat sie insgesamt. Für Wodrich war die Stelle in Waltrop (Kreis Recklinghausen) ein Segen. „Das war schon mein Traumberuf, als ich noch im Kindergarten war“, sagt die gelernte Floristin. „Ich liebe es, Farben neu zu kombinieren und Blumen zu außergewöhnlichen Mischungen zusammenzustellen.“

Alle paar Wochen begleitet die junge Frau ihre Chefin nach Dortmund ins Stadion des BVB, zusammen mit weiteren Kolleginnen aus dem Blumengeschäft. Gemeinsam laden sie den Lieferwagen voll mit Schnittblumen, Topfpflanzen, Vasen, Gläsern und Deko-Artikeln. Seit 2014 liefert das Team zu jedem Heimspiel des Bundesligisten die Dekoration für die VIP-Lounges. „Ich habe die innige Verbindung zu Borussia Dortmund von Otto Steinbrecher übernommen“, erklärt Birgit Honvehlmann, die ab 1992 im Laden des Gründer-Ehepaars Otto und Erika Steinbrecher angestellt war. „Er hat schon lange vor meiner Zeit die Meisterwagen für den Verein geschmückt, mit denen die Borussen nach Titelgewinnen durch Dortmund gefahren sind.“

Beim Gestalten der Buffets und Tische der VIP-Gäste können die Floristinnen ihrer Kreativität freien Lauf lassen. Für das nächste Spiel der Mannschaft hat Honvehlmann leuchtend gelbe Gerbera eingepackt, die sie als Tischdekoration zusammen mit Gras in Bierflaschen arrangieren will. Sie lädt auch dickblättrige Sukkulenten, weiße Orchideen und gelbe Tulpen von ihrem Sprinter, zusammen mit Katharina Wodrich und Stefanie Salewski, einer weiteren Kollegin mit Hörbehinderung. Die Chefin bespricht letzte Details mit dem Team der BVB-Cateringabteilung, dann schieben ihre Mitarbeiterinnen die Blumen auf Rollcontainern ins Innere des Stadions.

Katharina Wodrich arrangiert im ersten VIP-Raum silberne Kugeln, Töpfe mit Orchideen und Sukkulenten auf einem Buffet, während die Catering-Leute Tische und Stühle an den richtigen Platz rücken. Im Nebenraum nimmt sich Stefanie Salewski die Bierflaschen vor: Sorgfältig zupft sie ein paar lange Grashalme aus dem Bund in ihrer linken Hand und stellt sie in eines der Gefäße, dazu steckt sie eine gelbe Gerbera. Als alles fertig ist, treffen sich die Floristinnen noch zum gemeinsamen Foto auf dem Zuschauerrang – dann fährt das Team zurück nach Waltrop.

Dort angekommen, macht sich Stefanie Salewski im Binderaum im hinteren Teil des Blumengeschäfts gleich wieder an die Arbeit. Ihr Spezialgebiet sind Themen- und Ideensträuße. „Die sind bei unseren Kunden sehr beliebt“, sagt ihre Chefin. „Steffi versteckt in den Sträußen viele Details, arbeitet zum Beispiel kleine Zwiebeln oder Äste ein. Es gibt für die Kunden immer etwas zu entdecken, das gut zur Saison passt.“ Aus ihren Lieblingsfarben weiß und rosa stellt Stefanie Salewski einen romantischen Strauß zusammen: Rund um eine weiße Rose bindet sie violette Traubenhyazinthen und rosafarbene Gerbera. Ein letzter prüfender Blick, dann bringt die Floristin ihr Werk nach vorne in den Verkaufsraum.

Die 39-Jährige ist seit ihrer Geburt gehörlos und war die erste Mitarbeiterin mit Behinderung im Floristikunternehmen. Im Frühjahr 2013 brachte sie ihre Initiativbewerbung in den Laden, der damals noch von Gabriele Steinbrecher, der Tochter des Gründer-Ehepaars, geleitet wurde. Diese stellte Salewski als Aushilfe ein, 2014 bekam die junge Frau bei der neuen Inhaberin eine halbe Stelle. Aus ihrem Betrieb ein Integrationsunternehmen zu machen, war für Birgit Honvehlmann ein ganz natürlicher Schritt. „Meine Schwester hat schon lange Pflegekinder mit Behinderung, deshalb war das Thema für mich nicht neu“, erklärt sie. „Und durch einen Unfall oder eine Krankheit kann es jeden treffen, das geht ganz schnell. Deshalb sollten möglichst auch kleine Betriebe einen Beitrag leisten.“

Die Stammkunden haben sich längst daran gewöhnt, dass Katharina Wodrich ein kleines Schild mit der Aufschrift „Schwerhörig“ an ihrer Kleidung trägt und hin und wieder nachfragt, um eine Bestellung richtig zu verstehen. Meist klappt die Verständigung aber reibungslos und sie verkauft genauso schnell wie ihre hörenden Kollegen.

Eine neue Kundin hat den Laden betreten, schaut sich um, entscheidet sich schnell für einen Strauß und reicht ihn der jungen Floristin über die Theke. „Auf welche Länge soll ich die Stiele zuschneiden?“, fragt Katharina Wodrich und zückt ihre Schere. „Möchten Sie ein bisschen Papier?“ Die Frau nickt, zahlt und nimmt ihren Strauß entgegen – die nächsten Kunden warten schon.

3. Currywurst als Standortfaktor – Das Kochwerk in Siegen betreibt und beliefert Kantinen in Schulen und Kindertagesstätten

Siegen (lwl). Die Mensa des Schulzentrums Wenden füllt und leert sich im 45-Minuten-Takt. Gegen 8.45 Uhr drängeln sich die ersten Kinder zur Essensausgabe durch und kaufen belegte Brötchen, Schoko-Croissants und Wecken gegen den kleinen Hunger nach der ersten Stunde. Zur großen Pause um 9.30 Uhr und zum Mittagessen scheint es so, als würde sich die gesamte Schule in den hellen Räumen versammeln: In langen Schlangen warten Mädchen und Jungen mehr oder weniger geduldig vor der Kasse, bestellen, bezahlen und tragen ihre Tabletts zu einem der Holztische.

Tatsächlich essen knapp zwei Drittel der Kinder in der Mensa zu Mittag – doppelt so viele wie an anderen Schulen. „Gerade im Sauerland ist das ein sehr guter Schnitt“, sagt Matthias Vitt, Geschäftsführer des Integrationsunternehmens „Kochwerk“, das die Mensa der Schule betreibt: „Hier im ländlichen Raum ist es eher üblich, dass die Familien abends gemeinsam warm essen.“

Über den Erfolg der Kantine freut sich der 45-Jährige umso mehr, weil das „Kochwerk“ noch ein recht junger Betrieb ist. Es ging Anfang 2015 als Tochterunternehmen des Vereins „Jugendwerk Förderband“ an den Start, der sich in der Region schon seit den 1980er-Jahren gegen Jugendarbeitslosigkeit engagiert und früher unter anderem Beiköche ausbildete.

Die Idee, einen Integrationsbetrieb zu gründen, entstand als Folge der Arbeitsmarktreform im Jahr 2005: Die neuen Gesetze machten es dem Verein unmöglich, weiterhin Ausbildungsplätze anzubieten. „Bis 2008 haben wir noch mit Arbeitsbeschaffungs-Maßnahmen weitergemacht“, blickt Vitt zurück. „Aber das war für uns keine Dauerlösung. 2009 standen wir deshalb vor der Wahl, aufzuhören oder uns ganz neu aufzustellen.“

Eine Informationsveranstaltung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) brachte die Initialzündung. Bis aus der Idee tatsächlich ein Integrationsunternehmen wurde, vergingen jedoch beinahe sechs Jahre. „Wir mussten uns erst einmal einarbeiten und uns erkundigen, wie ein solcher Betrieb zu führen ist“, sagt Vitt. „Und es hat sehr lange gedauert, die richtige Räumlichkeiten für unsere Küche zu finden.“

Schließlich zog das „Kochwerk“, das seinen Sitz in Siegen hat, in die Wendener Gesamtschule. Diese entstand dort gerade aus der Zusammenlegung einer Haupt- und einer Realschule. Heute bereiten elf Mitarbeiter mit und ohne Behinderung täglich bis zu 900 warme Mahlzeiten zu – für die Schüler hier, aber auch für 20 weitere Schulen und Kindergärten in Wenden, Olpe, Siegen und Kreuztal.

In drei Schichten arbeitet das Team in der Küche: Während die Kinder noch Frühstückspause machen, bringen die ersten Lieferwagen fertige Mittagsgerichte zu Schulen und Kitas in die Nachbarstädte; dort wird das Essen bis zur Ausgabe warmgehalten. Wenn die Fahrer zurückkommen, sind die Mahlzeiten auch für die übrigen externen Mensen fertig. Dafür sorgen Chefkoch Marc Kautz und sein Team, die sich als „kochende Gemeinschaft“ verstehen.

Sie beginnen gerade damit, die Gerichte für das Wendener Schulzentrum zuzubereiten. Die Stimmung ist locker, der Zusammenhalt in der Gruppe ist stark. Das liegt auch daran, dass einige Kollegen sich schon seit Jahren kennen. Beikoch Benedikt Schrage zum Beispiel hat seine Ausbildung bei Marc Kautz absolviert, damals noch in einer anderen Küche; beim „Kochwerk“ trafen sich die beiden wieder.

„Das ist ein schöner Arbeitsplatz“, findet Schrage, einer von fünf Mitarbeitern mit Behinderung. Nach der Förderschule und vorübergehenden Beschäftigungen bei Bildungsträgern hat er nun einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Wieder in einer richtigen Küche zu arbeiten, genießt er sehr. „Am liebsten schneide ich Gemüse klein, zum Beispiel Tomaten und Gurken für den Salat“, sagt der 30-Jährige, den seine Kollegen Benny nennen. „Wenn ich damit fertig bin, packe ich den Salat ab. Dann portioniere ich den Nachtisch für die einzelnen Schulen.“

Als Hauptgerichte stehen heute Hackfleisch-Lauch-Kartoffel-Eintopf oder Backkartoffeln mit Kräuterquark und Salat zur Auswahl; für die weiterführenden Schulen steht außerdem Currywurst mit Kartoffelecken auf dem Speiseplan. Schulamtsleiter Michael Grebe, der sich mit Matthias Vitt zum Mittagessen und zu einer Besprechung im Schulzentrum Wenden verabredet hat, entscheidet sich für die Currywurst. Er probiert, nickt und hebt einen Daumen: Das war eine gute Wahl.

Dass es in der Mensa schmeckt und die Schüler dort gerne zu Mittag essen, sei gerade für eine Gemeinde wie Wenden enorm wichtig, weiß Grebe. Die Gesamtschule steht in Konkurrenz zu den Gymnasien im nahen Olpe. „Wir müssen um unsere Schüler kämpfen – eine gute Mensa ist da ein entscheidendes Argument“, sagt der Verwaltungsmitarbeiter. Deshalb präsentiert sich die Gesamtschule am jährlichen Kennenlerntag für die Grundschüler nicht nur mit einem breiten Sportangebot und Sprachkursen, sondern lädt die Kinder auch zu einem Frühstück ein. Später wird mit Kundenbefragungen sichergestellt, dass das Mensa-Angebot wirklich gut bei den Schülern ankommt.

Dabei sei es weder für die Jugendlichen noch für ihre Eltern ein Thema gewesen, dass ein Integrationsunternehmen den Zuschlag für die Bewirtung in der Kantine bekam, sagt Schulamtsleiter Grebe. Er selbst betrachtete das als selbstverständlich – und sieht die Zusammenarbeit mit dem „Kochwerk“ inzwischen als großen Vorteil auch für die Schüler. „Im Zuge der Inklusion melden sich bei uns auch Mädchen und Jungen mit Behinderung an“, erläutert er. „Für sie könnten Integrationsunternehmen wie das ‚Kochwerk‘ später interessante Arbeitgeber sein.“

4. Gemeinsam wachsen – Transfair Montage im westfälischen Reken ist Teil eines erfolgreichen Firmenverbundes

Reken (lwl). Günter Bruns stützt sich mit der linken Hand auf einen Stapel kantiger Stahlprofile, der auf einem Laster vor seiner Werkshalle liegt. Mit der anderen Hand streicht der Unternehmer über die Innenseite eines der Profile. Er prüft dabei ein massives Metallteil, das in den dünnen Spezialstahl geschweißt ist. „Der Einsatz ist sehr sauber gearbeitet“, sagt der Geschäftsführer von Metallbau Bruns zufrieden. Das muss auch so sein, denn später werden die fertigen Stahlprofile zu Teleskop-Auslegern für Auto- und Anhängerkrane, Hubarbeitsbühnen und Radlader zusammengesetzt und müssen große Lasten tragen.

Die Einsätze bezieht der 67-Jährige vom Unternehmen Transfair Montage, das gleich gegenüber von Bruns’ eigener Werkshalle im Ortsteil Maria Veen der Gemeinde Reken im Kreis Borken liegt. Das Besondere: Transfair ist ein Integrationsunternehmen. 41 der 71 Mitarbeiter haben eine Behinderung. Hinter der Firma steht die Josefs-Gesellschaft aus Köln, die rechtlich unabhängig von Transfair ist, aber dennoch eng mit dem Integrationsbetrieb zusammenarbeitet. Weil diese Kooperation so gut funktioniert, hat Günter Bruns, der sich vor 13 Jahren selbstständig gemacht hat, seine Firma mit Transfair Montage zum „Fachzentrum Metall“ zusammengeschlossen. Seitdem wachsen die Firmen Wand an Wand – und davon profitieren alle. „Das hier ist wie mehrmals sechs Richtige“, findet Bruns.

Auch für Alexander Ulrich ist die Arbeitsweise des Fachzentrums ein echter Gewinn. Der heute 28-jährige Mitarbeiter bei Transfair hat bei einem Autounfall seinen rechten Arm verloren. Dank einer computergesteuerten Fräsmaschine kann er aber weiterhin seinen Job machen. Das hochmoderne Gerät schaffte der Integrationsbetrieb unter anderem mit Mitteln des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) an. In einer schallgeschützten Kabine fräst die CNC-Maschine alle Werkstücke exakt so, wie Ulrich und seine Kollegen es vorher programmiert haben. Auch die althergebrachten Fräsen kann der junge Mann selbst bedienen – für kompliziertere Musterstücke ist das nach wie vor gefragt.

Transfair Montage gibt es schon seit zwei Jahrzehnten. Während dieser Zeit ist es auch in anderen Bereichen gewachsen und hat sein Repertoire ständig erweitert. „Wir können heute E-Technik, Stahl und Eis“, beschreibt Jürgen Böbisch, seit sechs Jahren technischer Geschäftsführer bei Transfair, das vielseitige Unternehmen. Der Grund für diesen Satz: Der Betrieb hat vor gut einem Jahr mitten im Dörfchen Maria Veen eine hochmoderne Eisdiele eröffnet – die „Eis Lounge“. Auch diese jüngste Transfair-Tochter ist ein Integrationsunternehmen.

Im E-Technik-Bereich von Transfair hat Recep Öztürk aus Borken einen neuen Arbeitsplatz gefunden. Mit drei Jahren erkrankte er an Kinderlähmung, seither lebt der 43-Jährige mit Rollstuhl. Er arbeitet heute in einer hellen und modernen Halle, die Transfair Montage einen Steinwurf entfernt vom Metall-Zentrum errichtet hat. Der Industrie-Elektroniker und seine Kollegen bestücken und löten hier mit großer Sorgfalt Platinen und Netzteile und verdrahten Schaltungen. Die Platinen werden später beispielsweise in Schaltschränken und Kabelbäumen von Hubsteigern verbaut.

Neben der Qualität der Produkte müssen natürlich auch die Zahlen stimmen. Darum kümmert sich seit fünf Jahren Thomas Spaan als kaufmännischer Geschäftsführer des Unternehmens. Der gelernte Banker und Betriebswirt führt zusammen mit einem Kollegen außerdem die Muttergesellschaft von Transfair Montage, den katholischen Träger Benediktushof. Seit über einem Jahrhundert bildet diese Organisation Menschen mit Behinderungen aus und ist seit noch längerer Zeit ein Partner der Wirtschaft. Die große Erfahrung von Spaan und seinen Kollegen ist auch für die Kunden ein Argument. „Metallbau Bruns ist nicht unser einziger Industrie-Kunde, aber auf jeden Fall einer der wichtigsten für die Entwicklung des Integrationsunternehmens“, unterstreicht der kaufmännische Geschäftsführer. Und das soll auch in Zukunft so bleiben.

Günter Bruns hat seinerseits viel vor mit dem wachsenden Gewerbegebiet in Maria Veen, das durch eine Bahnstrecke und große Autobahnen gut an die Umgebung angebunden ist. Die Voraussetzungen für eine Erweiterung sind also optimal – auch für Transfair Montage, das wie die anderen Firmen künftig weiter wachsen und noch mehr hochwertige Arbeitsplätze für Menschen mit und ohne Handicap anbieten will.

Hintergrund: Integrationsunternehmen

In Westfalen-Lippe gibt es zurzeit rund 160 Integrationsunternehmen oder -abteilungen in Firmen aus Industrie, Handel und Gewerbe, in denen etwa 2000 Menschen mit Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten. Die Betriebe, die zum großen Teil Mitarbeiter mit Handicaps beschäftigen, sind rechtlich und wirtschaftlich selbstständig. Sie müssen sich wie jedes andere Unternehmen am freien Markt behaupten.

Der LWL unterstützt diese Firmen mit Mitteln aus der Ausgleichsausgabe, die Unternehmen leisten müssen, die nicht mindestens fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Mitarbeitern besetzen. Die Integrationsunternehmen bekommen Zuschüsse zu Investitionen, betrieblichem Mehraufwand, Betreuung und Lohnkosten. An der Finanzierung beteiligen sich auch die Bundesagentur für Arbeit, das Land Nordrhein-Westfalen über das Programm „Integration unternehmen!“ sowie die Stiftung Wohlfahrtspflege NRW und die Aktion Mensch. Hinzu kommen Mittel aus dem Förderprogramm „Inklusionsinitiative II – AlleImBetrieb“ des Bundes. Die Arbeitsplätze sind im Schnitt deutlich kostengünstiger als die Plätze in den Werkstätten für Menschen mit Behinderung.