Patienten bleiben immer länger – „Gefährliches Dilemma“?

60381Lippstadt-Eickelborn (lwl). Mehr als ein Viertel der rund 8.000 Patienten im deutschen Maßregelvollzug für psychisch kranke Straftäter sind seit zehn Jahren und länger per Gerichtsbeschluss dort untergebracht. Die durchschnittliche Unterbringungsdauer in forensischen Kliniken für schuldunfähige Täter ist bundesweit auf acht Jahre (2008: sechs Jahre) gestiegen. Darauf hat Tilmann Hollweg, Maßregelvollzugsdezernent des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), am Mittwoch (2.3.16) bei der Eröffnung der mit rund 500 Teilnehmern alljährlich größten deutschen Expertentagung der forensischen Psychiatrie (bis Freitag, 4.3.) im westfälischen Lippstadt-Eickelborn hingewiesen.

Zugleich sehe sich der Maßregelvollzug ebenso wie die einweisende Justiz inzwischen „extrem widersprüchlichen Erwartungshaltungen der Öffentlichkeit ausgesetzt“, kritisierte Hollweg. Nach der jahrelangen Parole „Wegsperren für immer“ sei jetzt die Klage darüber populär, dass Straftäter viel zu schnell in den Maßregelvollzug hinein kämen und viel zu lange drin blieben. Weshalb zum Beispiel Strafverteidiger im Unterschied zu früher alles daran setzten, für ihre Mandanten eine zeitlich begrenzte Gefängnisstrafe anstatt einer unbefristeten Klinikunterbringung herauszuholen.

Bedenkliche Weichenstellungen
Auch bei Entlassungen aus dem Maßregelvollzug könnten öffentliche Debatten bis hin zu aktuellen Reformüberlegungen der Bundesregierung zu bedenklichen Weichenstellungen führen, warnte Hollweg. Es sei zwar problematisch, wenn psychisch Kranke wegen vergleichbarer Straftaten deutlich länger untergebracht seien als gesunde Straftäter. Und es sei grundsätzlich richtig, bei Maßregelvollzugspatienten das Delikt, den Therapiestand und die Gefährdungsprognose auch nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beurteilen. Allerdings: Laut Hollweg bergen die geplanten und zusehends schon praktizierten gesetzlichen Neuregelungen für die Maßregelvollzugsverantwortlichen im Einzelfall auch ein „gefährliches Dilemma – nämlich aufgrund eines Gerichtsbeschlusses einen Patienten entlassen zu müssen, obwohl die Klinikexperten eine Rückfallgefährdung nicht ausschließen können.“

Als Verantwortlicher für einen der größten forensischen Klinikträger in Deutschland (aktuell rund 1.300 Patienten in sechs Kliniken) plädierte Hollweg dafür, „fachliche und sachliche Erwägungen wieder in den Vordergrund forensisch-psychiatrischen Handelns zu stellen und sich unabhängiger von gesellschaftlichen Zeitgeist-Strömungen zu machen.“

„Eintagsfliege“ Personalplus?
Für das „unbeirrbare Ziel, Patienten in möglichst kurzer Zeit mit fundierter Behandlung wieder in eine straffreies Leben zu bringen bei höchstmöglichem Schutz der Bevölkerung braucht es neben Menschlichkeit, der Vermittlung von Hoffnung und Vertrauen aber auch ausreichende Ressourcen“, sagte Hollweg. Dem Land sei zu danken, dass es „für das Jahr 2016 eine bessere personelle Ausstattung der LWL-Kliniken angekündigt hat, nach Jahren der Einsparung und der Stagnation mit Therapieausfällen und Lockerungsdefiziten.“ Er hoffe, so Hollweg, „dass dies nicht nur eine Eintagsfliege bleibt.“

Foto: LWL Stiftung