Neue Ausstellung im Ziegeleimuseum Lage

Lage. Mit der Ausstellung „Backsteinhistorismus. Architekturepoche oder Stilsünde?“ widmet sich der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) ab Sonntag (28.4.) einem ureigenen Thema seines Industriemuseums in Lage: dem Ziegel als Baustoff. Zahlreiche Fotografien zeigen, wie der Historismus über Jahrzehnte das Bild der Städte geprägt hat. Ziegelexponate verdeutlichen den Formenreichtum in der Architektur dieser Zeit. Porzellangeschirre, Vasen, Gläser, Skulpturen und eine Monstranz zeugen von der überbordenden Ornamentik der Gestalter des ausgehenden 19. Jahrhunderts.

Produktions- und Verwaltungsgebäude der Privatbrauerei Strate in Detmold. Foto: LWL/Hudemann

Produktions- und Verwaltungsgebäude der Privatbrauerei Strate in Detmold.
Foto: LWL/Hudemann

Die Ausstellung entstand in Zusammenarbeit mit der Technischen Hochschule OWL. Die Studierenden des Fachbereichs Architektur und Innenarchitektur bauten im Rahmen eines Seminars bei Professor Karl-Manfred Rennertz Modelle und Kopien von Elementen historistischer Bauten in Detmold nach, die in der Ausstellung zu sehen sind. Im aktuellen Themenjahr des LWL-Industriemuseums zur Frage, „Alles nur geklaut?“ (s.u.), rückt am Museumsstandort in Lage der Historismus in den Blick. „Die Architekturkritik sah im Historismus lange Zeit keine eigene Stilrichtung.

Bereits im 19. Jahrhundert, aber vor allem mit der aufkommenden Moderne, und schließlich bis in die 1980er Jahre wurde ihm nachgesagt, nur rückwärtsgewandt gewesen zu sein und keine eigene Originalität entwickelt zu haben. Dass dies definitiv nicht der Fall ist, zeigen wir in unserer Ausstellung“, sagte Dirk Zache, Direktor des LWL-Industriemuseums, am Donnerstag (28.4.) bei der Vorstellung der Ausstellung in Lage. „Bemerkenswert ist dabei, dass es heute gerade diese stuckverzierten Gebäude des 19.Jahrhunderts sind, die als besonders attraktive Wohngegenden in unseren Städten gelten.“ Gerade die Geringschätzung des Historismus führte nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem großen Verlust historistischer Bausubstanz. Selbst wenn sie nur wenige Kriegsschäden aufwiesen, wurden die Gebäude oft nicht wiederhergestellt, sondern bewusst abgebrochen und durch Neubauten ersetzt. Die Architekten der 1950er und 1960er Jahre sagten den historisierenden Stuckelementen den Kampf an und beraubten die Gebäude ihrer dekorativen Elemente. In Berlin sprach man von ‚Entstuckungsprämien‘, um den vermeintlichen Zierrat von den Häusern zu entfernen.

Eine neue Sachlichkeit sollte die überbordende Gestaltung des Historismus ersetzen. „Wir feiern in Deutschland in diesem Jahr 100 Jahre Bauhaus. Gerade vor diesem Hintergrund gewinnt die Betrachtung des Historismus in der Ausstellung in Lage eine neue Aktualität“, so Michael Pavlicic, stellvertretender Vorsitzender der LWL-Landschaftsversammlung, der die Gäste bei der Eröffnung am Sonntag (28.4.) im Ziegeleimuseum begrüßt.

Hintergrund
Jahrhundertelang war der Ziegel ein wichtiger Baustoff – sowohl für die Römer als auch später für die Baumeister der Backsteingotik, die mit den gebrannten Steinen ganze Städte errichteten. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts geriet der Ziegel in Vergessenheit, weil es an geeignetem Brennmaterial fehlte. Im Historismus erlebte der Backstein dann eine Renaissance: Architekten entdeckten den Ziegel als Baustoff neu. Mit ihm ließen sich ganze Gebäude und dekorative Fassadenelemente gestalten. Anders als Sandstein oder Holz stand den Bauherren ein Baustoff in nahezu unbegrenzter Menge zur Verfügung. „Der Backstein kam im Historismus als günstiger Hintermauerziegel in verputzten Gebäuden oder als aufwändig produzierter Klinker in vielfältigen Formen zum Einsatz. Die Architekten ließen die Formziegel und glasierten Klinker häufig speziell für die geplanten Gebäude fertigen“, weiß LWL-Museumsleiter Willi Kulke.

Mit der beginnenden Industrialisierung entstand ein neues Bürgertum, dass sich neben dem Adel und den Kaufleuten zu einer neuen Wirtschaftselite mit Einfluss und Macht entwickelte. Dieser Wunsch zeigte sich auch in der Gestaltung ihrer Fabrikbauten und Wohnhäuser. Die Eingangsbereiche der Villen wurden mit hohen Säulen und Kapitellen ausgestattet und zitierten damit griechische Tempel. Überladene Interieurs und opulente Einrichtungsgegenstände bestimmten die Innenräume. Und die Kraftzentrale der Fabrik, das Maschinenhaus mit den großen Dampfmaschinen, glich in der sakralen Gestaltung häufig einem romanischen oder gotischen Kirchenbau. Kulke: „In dieser aufwändigen Architektur manifestierte sich der Wunsch des Industriebürgertums nach Macht und Anerkennung.“ Die Ausstellung „Backsteinhistorismus“ ist Teil des Verbundprojektes „Alles nur geklaut? Die abenteuerlichen Wege des Wissens“ mit insgesamt sechs Ausstellungen an verschiedenen Standorten des LWL-Industriemuseums. Die gleichnamige Haupausstellung läuft aktuell im LWL-Industriemuseum Zeche Zollern in Dortmund (allesnurgeklaut.lwl.org). In Lage bietet das Museum begleitend Vorträge und Führungen an sowie eine Exkursion zum Historismus ins Ruhrgebiet. Außerdem gibt es museumspädagogische Angebote für Schulklassen.

Eröffnung
Bei der Eröffnung am Sonntag (28.4.) um 11 Uhr begrüßt Michael Pavlicic, stellvertretender Vorsitzender der LWL-Landschaftsversammlung, die Gäste. Im anschließenden Gespräch diskutieren Museumsdirektor Dirk Zache, Historiker Dr. Thomas Parent und Andreas Beaugrand, Professor für Theorie der Gestaltung der Fachhochschule Bielefeld, über den Stil des Backsteinhistorismus. Gäste sind herzlich willkommen. Der Eintritt ist frei.

Backsteinhistorismus. Architekturepoche oder Stilsünde?
28. April bis 29. September 2019 LWL-Industriemuseum Ziegeleimuseum Lage Sprikernheide 77, 32791 Lage Geöffnet Do-So 10-18 Uhr

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