LWL gibt „Chronik der westfälischen Literatur“ heraus

60077Literarische Entdeckungsreise fängt den Zeitgeist der Epoche ein

Westfalen (lwl). Es ist ein richtig dicker Brocken geworden, die von der LWL-Literaturkommission nun vorgelegte „Chronik der westfälischen Literatur“ der Jahre 1945 bis 1975. Auf über 900 Seiten dokumentiert die Kommission des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) das literarische Leben jener Jahre bis ins Detail. Im Mittelpunkt stehen neben der Buch- und Zeitschriftenproduktion Briefzeugnisse, Memoiren, aber auch Songtexte und politische Pamphlete. „Genau das war die Hauptaufgabe“, sagt Prof. Dr. Walter Gödden, Geschäftsführer der LWL-Literaturkommission, der die zweibändige Veröffentlichung gemeinsam mit seinen Mitarbeitern herausgebracht hat. „Es galt einen enorm großen Daten- und Faktenbestand zu ermitteln und in eine Form zu bringen, die übersichtlich und optisch ansprechend ist.“

„Dies ist bei der ‚Chronik‘ auch durch zahlreiche Bilder und illustrierende Zitate meisterhaft gelungen“, so LWL-Kulturdezernentin Dr. Barbara Rüschoff-Thale. „Man liest sich immer wieder fest und stößt auf Überraschendes wie Literaturskandale, hochbrisante Dichtertreffen und das allmähliche Vordringen einer gesellschaftskritischen und avantgardistischen Literatur, die man in Westfalen nicht unbedingt in dieser Bandbreite vermutet hätte.“
Der Zeitraum von 1945 bis 1975 ist für Gödden besonders spannend: „Innerhalb einer vergleichsweise kurzen Zeitspanne von 30 Jahren vollzog sich in der Literatur Westfalens ein grundlegender Wandel“, so Gödden. „Er führte von den Spätausläufern der Blut- und Boden-Literatur bis zum politischen Vers, zu Agit-Prop und verschiedenen Formen der Underground-Literatur“. Die Forderung nach einer gesellschaftskritischen Literatur, wie sie etwa von der Dortmunder „Gruppe 61“ erhoben wurde, habe in ganz Deutschland Gehör gefunden.
Insgesamt zieht sich die Kluft zwischen konservativer Heimatliteratur und einer weltoffenen, engagierten Literatur wie ein roter Faden durch die westfälische Literatur. „Damit rücken auch viele zu Unrecht vergessene Autoren wieder in den Blick. Unter solchen Vorzeichen ist die Chronik eine spannende Entdeckungsreise, die neben der Literatur auch den Zeitgeist jener Epoche einfängt“, so Gödden. Ein Beispiel hierfür ist die 1968er Protestbewegung, die in Westfalen auf eine erstaunlich lebhafte Resonanz traf.

Berücksichtigt werden in dem opulenten Werk alle westfälischen Landesteile. Das Spektrum reicht vom eher konservativen Sauerland, in dem nach 1945 ehemals NS-belastete Autoren bald wieder den literarischen Ton angaben, bis zu den Theaterstädten des Ruhrgebiets, die progressiven Strömungen aufgeschlossen gegenüberstanden. Aber auch in der Heimat- und Mundartdichtung vollzog sich ein Wandel von der klassischen Dönekes-Literatur zum Sprachexperiment.

„Ein solches Standardwerk zeigt einmal mehr, wie ergiebig westfälische Landesforschung ist“, erklärt Rüschoff-Thale. „Unsere sechs wissenschaftlichen Kommissionen für Landeskunde stellen immer wieder unter Beweis, dass solche Forschungen effektiv und zeitgemäß vermittelt werden können“, so Rüschoff-Thale weiter. In dieser Hinsicht reiht sich die „Chronik“ in eine vom LWL in den vergangenen Jahren intensivierte Literaturoffensive ein, die unter dem Label „Literaturland Westfalen“ auch die Popularisierung der Gegenwartsliteratur mit einschließt.

Walter Gödden unter Mitarbeit von Fiona Dummann, Claudia Ehlert,
Sylvia Kokot und Sonja Lesniak:
Chronik der westfälischen Literatur 1945-1975
Bielefeld: Aisthesis 2016. 2 Bände, 911 Seiten. 48,80 Euro. ISBN 978-3-8498-1156-3.