Johanneswerk-Vorstand bezieht Stellung zum Thema Interkulturalität

Johanneswerk_InterkulturaliBielefeld. Spätestens seit den Terroranschlägen in Paris ist die Aufmerksamkeit für Themen wie Interkulturalität und Interreligiosität spürbar gewachsen. Ganz aktuell wird wieder über Lehrerinnen mit Kopftüchern diskutiert, nachdem das Bundesverfassungsgericht das Thema neu entschieden hat. Auch in Kirche und Diakonie stehen Fragen von Andersgläubigkeit immer wieder im Fokus. Warum das Johanneswerk als evangelischer Träger sehr offen zu Klienten und Mitarbeitenden anderer Herkunft steht, erklärt im Interview der Vorstandsvorsitzende Pastor Dr. Ingo Habenicht.

Herr Habenicht, das Johanneswerk ist ein evangelischer Träger sozialer Arbeit. Was bedeutet das?
Unsere Angebote müssen zunächst einmal fachlich gut und wirtschaftlich tragbar sein. Damit unterscheiden wir uns nicht von anderen Trägern. Evangelische Trägerschaft heißt, dass unser Anliegen, uns um notleidende Menschen zu kümmern, auf einen biblischen Auftrag zurückgeht und dass wir unsere Arbeit aus christlicher Perspektive bedenken und verantworten.

Wen schließt dieser Auftrag ein – oder: Schließt er jemanden aus?
Die Sicht auf den diakonischen Auftrag hat sich im Laufe der Zeit verändert. Heute gilt er vorbehaltlos allen Menschen, unabhängig von ihrem Glauben, ihrem Geschlecht, ihrer politischen Orientierung, ihrem Alter, ihrer Sexualität und so weiter. Er ist also keinesfalls auf die christliche Glaubensgemeinschaft beschränkt.

Wie steht die evangelische Kirche im Allgemeinen zu anderen Religionen?
Weit verbreitet ist das Bewusstsein, dass wir andere Religionen in ihrer Auffassung anerkennen und mit ihnen fair und offen in Dialog treten. Das schließt ein, dass man voneinander lernen kann. Unser Glaube geht davon aus, dass alle Menschen von Gott geschaffen und gleich wert sind.

Wie viele Menschen anderer Religionen oder mit Migrationshintergrund leben in den Einrichtungen des Johanneswerks oder werden dort betreut?
Konkrete Zahlen haben wir dazu nicht. Wir wissen aber, dass das von Arbeitsfeld zu Arbeitsfeld sehr verschieden ist. Menschen mit Migrationshintergrund gehen zum Beispiel zurzeit noch sehr selten in stationäre Alteneinrichtungen, sondern werden möglichst lange familiär und ambulant versorgt. In unseren Werkstätten für Menschen mit Behinderung betreuen wir dagegen viele Menschen unterschiedlichster Hintergründe. Noch mehr sind es in ambulanten Feldern wie in der Familienberatung.

Verändert sich dieser Anteil?
Er verändert sich so, wie die Gesellschaft sich verändert. Wenn der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund zunimmt, dann wächst er letztlich in unseren Einrichtungen auch – aber eben unterschiedlich schnell in den Arbeitsfeldern.

Welche Vorteile und welche Herausforderungen sind damit verbunden?
Da unser Auftrag allen Menschen in der Gesellschaft gilt, möchten wir auch alle erreichen. Daher ist es ein Gewinn, wenn sie auch wirklich zu uns kommen. Andernfalls müssten wir uns fragen, ob wir unserem Auftrag überhaupt gerecht werden. Außerdem leisten wir so einen Beitrag zu einer inklusiven Gesellschaft. Die Herausforderung besteht darin, dass wir Mitarbeitende und auch Klienten brauchen, die mit Fremdheit umgehen können und sich sensibel auf andere Kulturen einlassen – damit es nicht zu Ausgrenzungsprozessen kommt.

Einige Hundert Ihrer Mitarbeitenden sind nicht christlich. Wie viel Wert legen Sie auf die Konfession Ihrer Belegschaft?
Auf das Thema und dessen Beachtung legen wir großen Wert. Wir sind ein evangelischer Träger und natürlich müssen wir uns Gedanken machen, ob unsere Mitarbeitenden das mittragen. Gleichzeitig brauchen wir auch Mitarbeitende anderer Herkunft und anderer religiöser Überzeugungen. Die Bewertung sieht von Arbeitsfeld zu Arbeitsfeld unterschiedlich aus und hängt von mehreren Faktoren ab.

Werden andersgläubige Mitarbeitende einer Art Prüfung unterzogen?
Nein. Aber wir müssen schon sicherstellen, dass sie bereit sind, an der Erfüllung des diakonischen Auftrags mitzuarbeiten. Das klären wir im Einstellungsgespräch. Da geht es um Loyalität zum Arbeitgeber, der nun mal eine religiöse Besonderheit hat.

Gibt es dabei Glaubensrichtungen, die Sie von vornherein ausschließen?
Bei den großen Weltreligionen nicht. Aber innerhalb jeder Glaubensrichtung, auch der evangelischen, gibt es sehr eng geführte Verständnisse, die leicht zu Sekten kippen und ihre Mitglieder aus unserer Sicht nicht mehr frei leben lassen. Ich hätte große Probleme damit, jemanden einzustellen, der zu einer Sekte gehört.

Welche Vorteile und Schwierigkeiten hat die Mitarbeit Andersgläubiger?
Ich glaube, durch unterschiedliche Herangehensweisen und Hintergründe – bedingt durch Religion, Kultur, Alter, Geschlecht – kann das Johanneswerk nur bunter, vielfältiger und besser werden. Da liegt dann aber auch die Schwierigkeit: Wenn es zu fremd wird oder wenn Menschen sich versperren, dann blockiert das. Die Herausforderung ist, zu motivieren, aufeinander zuzugehen und gemeinsam Neues zu entdecken.

Mitarbeiterin mit Kopftuch in einer evangelischen Einrichtung: Geht das für Sie?
Ja. Weil ich es nicht richtig finde, Musliminnen einzustellen, ihnen aber gleichzeitig zu untersagen, ihren Glauben in bestimmter Form zu zeigen. Allerdings fände ich es zum Beispiel schwierig, wenn ein Klient zu einem evangelischen Träger käme, dort nur eine einzige Person anträfe und diese trüge ein Kopftuch. Dann wäre unser evangelischer Charakter nicht mehr wahrzunehmen.

Der Gesamtvorstand und die Gesamtmitarbeitervertretung des Johanneswerks haben im Januar einen gemeinsamen Brief an die Mitarbeitenden geschrieben, um ihre offene Position gegenüber Menschen anderer Herkunft deutlich zu machen. Was war der Anlass?
Zum einen die verschiedenen Ereignisse der vergangenen Wochen und Monate, wie die Attentate in Paris und die Pegida-Demonstrationen. Zum anderen gab es viele Bewegungen für kulturelle Vielfalt. Das sind aufgrund unseres biblisch geprägten Menschenbildes so zentrale Anliegen für uns, dass wir unsere Position betonen wollten. An der einen oder anderen Stelle haben wir auch gehört, dass ausländische Mitarbeitende in ihrem privaten Umfeld Anfeindungen erleiden mussten, da wollten wir auch nochmal ein Signal setzen.

Können Sie einschätzen, wie Ihre Mitarbeitenden zu dieser Position stehen?
Dazu fehlt mir jeder Anhaltspunkt. Aber eine Vermutung habe ich schon: Ich glaube nicht, dass sie wesentlich vom Durchschnitt der deutschen Gesamtbevölkerung abweichen. Ich denke, es gibt sowohl Vorbehalte als auch Zustimmung.

Ist das Thema im Johanneswerk offiziell verankert und festgeschrieben?
Festgeschrieben ist es eindeutig im Leitbild und in den Führungsgrundätzen. Darüber hinaus setzen sich mehrere Stabsabteilungen fachlich mit dem Thema auseinander – zum Beispiel das Personalmanagement und die Abteilung Theologie/Diakonie.

Welche gesellschaftlichen Bausteine sind aus Ihrer Sicht zusätzlich notwendig?
Da gibt es viele Fragen, die auf gesellschaftlicher Ebene dran sind: Wie lange braucht es, bis der Aufenthaltsstatus von Flüchtlingen geklärt ist? Ab wann darf jemand, der hier lebt, arbeiten? Wie kann man Sprachkompetenz fördern?

Welche Ideen hat das Johanneswerk für die Zukunft?
Ein guter Ansatz sind Qualifizierungen, die Mitarbeitende in interkultureller Kompetenz schulen – also in Selbstwahrnehmung und Umgang mit Fremdheit. Es gibt auch viele andere Wege und Projektideen. Nur ist die Finanzlage sehr dünn und wir müssen sehr genau schauen, was geht und was nicht geht. Die große Herausforderung ist für uns, auszuloten und glaubwürdig zu leben, dass wir eine evangelische Ausrichtung haben, uns aber eine interkulturelle und interreligiöse Öffnung der Gesellschaft wie auch der sozialen Arbeit wünschen. Das Problem ist auch für uns noch lange nicht gelöst. Die Thematik bleibt aber auf jeden Fall in Vorstandssicht.

Bu: Asmaa Ameziane arbeitet im Eva-von-Tiele-Winckler-Haus in Herne. Sie sagt: „Meine Kollegen und die Bewohner sehen mich als Mensch mit Herz und reduzieren mich nicht auf das Kopftuch.“ Foto: Pia Blümig