Lemgo. Sie sind den Alten Meistern der Renaissance auf der Spur, lassen sich von ihnen inspirieren und kreieren daraus etwas aufregend Neues. Die Rede ist von den Künstlern Rosemarie Sprute und Bernhard Sprute. In Kooperation mit dem Weserrenaissance-Museum Schloss Brake und der Lippischen Kulturagentur des Landesverbandes Lippe haben sie die Sonderausstellung „Hasen und Heilige“ auf die Beine gestellt. Am vergangenen Sonntag, 29. März, hätte sie eröffnet werden sollen. Die Kunsthistorikerin Dr. Mayarí Granados von der Lippischen Kulturagentur des Landesverbandes Lippe hat in der Corona-Zwangspause ein Interview mit den beiden Künstlern geführt: „Herr Sprute, Ihr Umgang mit der Farbe ist auf den ersten Blick „klassisch“, das heißt, sie tragen die Farbe auf, um Ihr Motiv zu erzeugen. Nun tragen Sie aber oftmals so viel Farbe auf, dass eine reliefartige Struktur entsteht, die Teil der Arbeit ist.
Dabei ist sowohl die Farbe wichtig, als auch die Linie. Was ist für Sie das Besondere Ihrer Technik?“ Bernhard Sprute: „Ich trage die Farbe sowohl sehr flüssig als auch dick-pastos auf. Die flüssig verdünnte Ölfarbe dringt flächen- und fleckenbildend in den saugfähigen Untergrund ein und schafft so eine räumlich-atmosphärische Wirkung. Bei der pastosen Malerei trage ich die Ölfarbe direkt aus der Tube oder den Montagekleber mit der Kartusche auf. Das führt zu reliefartigen dreidimensional wirkenden Bildmotiven, die sich dem Betrachter nach vorne hin eröffnen.
Diese, größtenteils in Konturen gemalt, machen Durchblicke möglich und verbinden sich so in Form und Farbe mit dem Hintergrund.“ „Frau Sprute, Sie gehen praktisch den anderen Weg: Sie tragen zuerst Farbschicht um Farbschicht auf, um dann durch Entfernen untenliegende Schichten wieder sichtbar werden zu lassen: warum?“ Rosemarie Sprute: „Eine berechtigte Frage. Meine Arbeitsweise des Auf- und Abtragens hat ja den Anschein des Unlogischen und Sinnlosen. Und tatsächlich ist mein Malvorgang ein paradoxer Akt. Aber ein Paradoxon hat eindimensionalem Denken schon oft auf die Sprünge geholfen und zu überraschend brauchbaren Schlussfolgerungen geführt. Außerdem gefällt es mir, wenn ein Bild von Grund auf bzw. von innen heraus definiert wird, von einer besonderen Farbkombination etwa, von einem bestimmten Ornament.
Diesen Grundraum lege ich mit Hinblick auf das eigentliche Motiv an, durch Ab- und Freispachteln wird diese Basis durchscheinend, so dass das eigentliche Motiv von seinem Grund so durchdrungen wird, dass ein ästhetisches Wechselspiel zwischen Innen und Außen, zwischen Hintergrund und Vordergrund. Betrachter hindurcharbeiten wie durch die komplexen Anlagen Vredemanns mit ihren Labyrinthen, Laubengängen, Zäunen, Hecken und Architekturelementen. Auf die klaren Strukturen und Schemata, auf die fixe, systematische Perspektivierung der einzelnen Blätter, die sich im Museum befinden, habe ich mit unorthodoxem Einsatz von Strukturwalzen, mit Unterbrechungen / Irritationen der perspektivischen Anlagen, mit über die Bildränder hinausgehenden Elementen/Linien geantwortet, und ich habe die kleinen Bildräume (je 30x40cm) mit den unterschiedlichsten Grüntönen gefüllt, abgeschaut von der ununterbrochen farbwirkenden Natur selbst.“
Herr Sprute, Sie beschäftigen sich in Ihren Arbeiten mit zwei Themen, die sich in Stillleben in der Renaissance oftmals finden: tote Hasen (als Stillleben, die vom Jagdglück zeugen) und Tulpen. Welche Werke oder Themenzyklen haben Sie dazu inspiriert? Hier im Weserrenaissance-Museum befindet sich bespielweise ja das Werk von Joachim Beuckelaer „Christus bei Maria und Martha“ von 1569. Auf diesem Werk liegt zentral, sozusagen im Schnittpunkt der Diagonalen, ein toter Hase, umgeben von erlegten Vögeln, von Fischen, Obst und Gemüse. Beim Betrachten weiterer Stillleben der Renaissance und des Barock stieß ich auf eine Fülle an Werken mit dem Thema „Stillleben mit totem Hasen“. Meistens wird ein toter Hase als zentrales Element im Bild, in einem Arrangement von weiteren erlegten Tieren, wie Rebhühnern, Fasanen, Enten etc., aber auch umgeben von Obst und Gemüse präsentiert. Diese Malereien waren sehr beliebt, besonders bei den zu Reichtum gekommenen holländischen Kaufleuten.
Mit der Serie „Porträts der toten Hasen“, dem Bild „Kreis der toten Tiere“ und der plastischen Arbeit „Toter Hase“ reagiere ich auf diese Werke. Huldige damit der Fülle der getöteten und in einer optischen Gewaltigkeit zur Schau gestellten Hasen. Für mein Bild „Schlafende Tulpen“, aus einer Serie schlafender Tulpen, diente mir als Vorlage das Aquarell mit Deckfarbe „Tulpe Lap Rock“ des niederländischen Künstlers Pieter Holsteyn d. J. (1614- 1662). Meine Malerei ist eine Reaktion auf die sogenannte Tulpenmanie in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts. Drei Tulpen, ausgestreckt schlafend, sich ausruhend, in einem einfarbig-ruhigen Farbraum, stehen hier als Gegenbild zu den gesellschaftlichen Unruhen um den Tulpenwahn in den Niederlanden. Werke von Pieter Holsteyn d. J. befinden sich hier in der Sammlung des Weserrenaissance-Museums., so z. B. sein Aquarell eines Kuckucks, das mich zu einigen Malereien von „Kuckuck-Porträts“ angeregt hat. Was unterscheidet Ihre Herangehensweise von derjenigen in der Renaissance? „ Der Unterschied besteht, an hervorstechenden Merkmalen festgemacht, aus einer, aus heutiger Sicht, weitgehend kritischen Betrachtungsweise einer gesellschaftlichen Dekadenz – die aber auch Parallelen zu unserer Zeit sichtbar werden lässt.“
Frau Sprute, was sind Säulenheilige und weshalb haben Sie sich gerade dieses Thema ausgesucht? Säulenheilige gab es in frühchristlicher Zeit, u.a. in Syrien, Ägypten, Konstantinopel. Das waren besonders rigorose christliche Asketen, die die meiste Zeit ihres Lebens meditierend, betend und predigend, den Unbilden der Natur ausgesetzt auf einer Säule verbrachten – entfernt von der Erde, dem Himmel näher. Wie bei den Dogen- und Sibyllenbildern, den heiligen Frauen und den Arbeiten zum Fluchtmotiv geht es mir bei den Säulenheiligen inhaltlich ebenfalls um die Wechselwirkung von Ost und West im Kontext des Zusammenwirkens von Kult, Ritus, Politik. Die extreme Lebensform eines Simeon oder Daniel fasziniert mich darüber hinaus auch einfach. Sie reizt mein Vorstellungsvermögen und erzwingt geradezu eine malerische Umsetzung, weil sie den Stoff für eine Farb- und Lichtgestaltung, für die Konstruktion eines besonderen Bildraumes, für ein Formatexperiment etc. gleich mitliefert. Herr Sprute, auch bei Ihnen finden sich Heilige bzw. eine davon, nämlich Maria. In Ihren Madonnenbildern beziehen Sie sich auf Werke von Giovanni Bellini: inwiefern?
„ Maria mit Bäumen, Maria in der Wiese, diese auffallende Naturnähe in den Titeln der Werke „Madonna der Bäumchen“ (1487) und „Madonna von der Wiese“ (1505), verführten dazu, mich mit diesen Werken malerisch-hinterfragend auseinanderzusetzen. Beide Bilder von Giovanni Bellini kennzeichnen seinen eigenständigen Weg der Gestaltung durch ihre Autonomie in Form und Farbe und durch ihren fiktiv naturbezogenen Charakter. Das macht sie für einen heutigen Maler besonders reizvoll.“ Ein abschließender Satz von Ihnen beiden: was wird Ihnen als Besonders bei dieser Ausstellung hier im WRM in Erinnerung bleiben? Bernhard Sprute: „Die Entdeckerfreude bei der Auseinandersetzung mit den Malereien, Zeichnungen und Grafiken des Weserrenaissance-Museums. Eine Fundgrube menschlichen, pflanzlichen und tierischen Lebens.“ Rosemarie Sprute: „Ich werde diese außergewöhnliche Ausstellungssituation vermutlich besonders mit dem vom Corona-Virus ausgelösten social distancing verbinden und mit der Erkenntnis, wie sehr ein Alleinsein in all den alten Bildfiguren auf je eigene Weise gegenwärtig ist.“