Grenzerfahrungen in Hiddenhausen

Hiddenhausen. Die Museumsschule Hiddenhausen hatte als außerschulischer Lernort am vergangenen Freitag die Schüler des Leistungskurses Geschichte der Olof-Palme-Gesamtschule aus Hiddenhausen zu Gast. Sie setzen sich in einer nachempfundenen Unterrichtsstunde aus der Zeit des Ersten Weltkrieges, mit historischen und heutigen Grenzen in Europa auseinander. Das Tagebuch des damaligen Schulmeisters bot hierfür viele Anknüpfungspunkte, da es das Weltbild der damaligen Zeit widerspiegelt und so zeigt, wie die Menschen über Europa dachten.

Schüler in der Europastunde der Museumsschule Hiddenhausen. Foto: Museumsverein Hiddenhausen

Schüler in der Europastunde der Museumsschule Hiddenhausen. Foto: Museumsverein Hiddenhausen

Das Denkmal Museumsschule Hiddenhausen ist im Rahmen des „Projektes Europa in Westfalen“, das der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) initiiert hat, ein Beispielort, an dem sich Schulklassen und Erwachsenengruppen über europäische Geschichte austauschen können.

Die Schule war um 1914 die Informations- und Organisationszentrale für die patriotische Unterstützung der in den Krieg gezogenen Soldaten, für Kriegssammlungen bei der zunehmenden wirtschaftlichen Notlage und für Kontakte mit englischen, russischen und französischen Kriegsgefangen in Schweicheln. Weil Johannes Schnücke richtig schreiben und lesen konnte, kamen die Leute zu ihm. „Schreiben sie bitte einen Brief an meinen Sohn. Er ist Soldat und in Frankreich an der Front.“ Die besorgte Mutter sagte dann auf, was der Lehrer schreiben sollte. Kam der Antwortbrief, musste jemand ihn vorlesen. Wer wurde gefragt? Natürlich der Lehrer. Feierliche Ansprachen musste der Lehrer halten und den Kaiser hochleben lassen. Er war schließlich ein kaisertreuer preußischer Beamter. Kriegsgefangene kamen ins Dorf, Franzosen, Engländer, Russen. Wer konnte sich mit ihnen verständigen? Am ehesten der Lehrer, der ihnen sagte, wo und was sie zu arbeiten hatten. So wurde die Schule zu dem Ort, an dem das kleine Dorf mit der weiten Welt zusammentraf. Und mit all dem Unglück des Krieges.

„Europa ist kein abstrakter Begriff, allein in den europäischen und weltweiten Elternhäusern der heutigen Schülerinnen in Schweicheln und Hiddenhausen werden unterschiedliche Kulturen und Traditionen gelebt“, sagte Bürgermeister Ulrich Rolfsmeyer. „Das europäische Kulturerbejahr bietet die einmalige Chance, dass sich die Menschen ihrer gemeinsamen Geschichte und der Errungenschaft eines humanistischen Europas bewusst werden“, gab er den Oberstufenschülern in der Diskussion mit auf den Weg. „Mit unserem Projekt möchten wir die Menschen in Westfalen-Lippe zu einem neuen Blick auf die Gebäude in ihrer Umwelt einladen. Unsere gewachsenen Kulturlandschaften spiegeln nicht nur die Geschichte der Region, sie erzählen auch Europas Geschichte“, sagte LWL-Kulturdezernentin Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger zum Auftakt des Projektes. „Mit unserem Projekt unterstützen wir außerschulische Bildungsorte dabei, die europäische Geschichten in ihrem Baubestand herauszuarbeiten. Kinder und Jugendliche für die Werte unseres kulturellen Erbes zu sensibilisieren, ist für mich eine wichtige Kulturaufgabe. Sie erlangen so wichtige Kompetenzen, um später Verantwortung übernehmen zu können.“

Dr. Barbara Seifen von der praktischen Denkmalpflege beim LWL ist gemeinsam mit Dr. Oliver Karnau verantwortlich für die Konzeption und die Koordinierung des Projektes: „Unser Ziel ist es, mit den angestoßenen Projekten Wege aufzuzeigen, wie Menschen sich generationsübergreifend der Geschichte Westfalens und Europas emotional nähern können. Damit legen wir einen Grundstein und wecken hoffentlich das Interesse weiterer Bildungspartner.“

Europa im Denkmal: Museumsschule Hiddenhausen
Ein Fachwerkhaus mit nur einem Geschoss, einer Toreinfahrt und zwei schmalen Eingangstüren: Das Gebäude macht so gar nichts her, es hat keinen Schmuck, keine aufwändigen Inschriften. Angeben wollte der Bauherr wohl nicht. Die Überraschung kommt im Innenraum. Ein Kaiser-Portrait an der Wand, hölzerne Sitzbänke in zwei Reihen, ein Lehrerpult, eine Tafel und ein Ofen dazu – eine Schule. Dabei ist sie so klein, kleiner geht es kaum. Es gibt nur den einen Klassenraum. Nebenan befindet sich eine Küche, eine Wohnstube, ein Schlafzimmer und eine Kammer für die Kinder. In dieser Mini-Wohnung war der Lehrer mit seiner Familie zuhause.
Bis 1904 gingen die Kinder aus dem Dorf Schweicheln nahe Herford hierhin zum Unterricht. Errichtet hatte man das Haus 1847. Als in der Nachbarschaft eine neue Schule mit zwei Klassenzimmern gebaut wurde, blieb die Lehrerfamilie zunächst hier wohnen. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren hier Flüchtlinge untergebracht, später Asylbewerber. Heute steht es unter Denkmalschutz. Besucher können einen Eindruck vom Schulleben des 19. Jahrhunderts bekommen.

Das Angebot der Museumsschule Hiddenhausen
Schulklassen und Erwachsenengruppen können das Angebot der Museumsschule nutzen. Es gibt geführte Rundgänge sowie Unterrichtstunden im Stil des 19. Jahrhunderts. Die Museumsschule versteht sich nicht als museale Sammlung, sondern soll Kopf, Herz und Hand der Besucher ansprechen, indem sie sie aktiv einbindet. Weiteres didaktisches und methodisches Material hilft Lehrern und Schülerinnen, die Unterrichtsinhalte zu vertiefen. Mit „Europa in Westfalen“ ist ein neues Angebot hinzugekommen. Das Tagebuch des Schulmeisters wurde vervielfältigt und ist die Grundlage der Europastunde. So will die Museumsschule auf anschauliche Weise Einstiege in die historische Zeitleiste gewähren und Erkenntnisse durch den Vergleich mit der heutigen Situation vermitteln.

Das LWL-Projekt: Europa in Westfalen
Das Projekt der LWL-Denkmalpflege lädt Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene aus unterschiedlichen Kultur- und Bildungskreisen dazu ein, die Spuren europäischer Geschichte in ihrem Umfeld und Westfalen zu entdecken. Außerschulische Lernorte, Schulen sowie Universitäten in Westfalen, die eine Denkmalbedeutung und einen Europabezug haben, sind die zentralen Bausteine des Projektes. Das Projekt verdeutlicht an diesen Bildungsorten und ihren Vermittlungsprojekten die europäischen Einflüsse auf Westfalen und seine Baukultur. „Europa in Westfalen“ möchte als Teil des Europäischen Kulturerbejahres dazu beitragen, dass die teilnehmenden Institutionen, denkmal-pädagogische Fragestellungen in ihrer Kulturarbeit verankern, um junge Menschen für das Gefüge „Heimat – Europa – Kulturelles Erbe“ zu sensibilisieren.
http://www. europa-in-westfalen.de

„Sharing Heritage“: Das Europäische Kulturerbejahr
Das Europäische Kulturerbejahr „Sharing Heritage“ soll breitere Kreise der Gesellschaft, vor allem Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, aktiv an das kulturelle Erbe heranführen. Sie sollen sich mit dem Erbe identifizieren und bereit sein, es zu bewahren.
http://www.sharingheritage.de/

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