Fachstelle Glücksspielsucht führend in Deutschland

Bielefeld-Bethel. Exzessiver Computer- und vor allem Internet-Gebrauch treibt viele Eltern in die Verzweiflung. Bis zu 16 Stunden am Tag verbringen manche Kinder und Jugendliche mit digitalen Medien, vernachlässigen Schule, Hobbys und Freunde. Hilfe bekommen sie bei der Ambulanten Suchthilfe Bethel. Dort gibt es die Fachstelle Glücksspielsucht, die eines der renommiertesten Therapieangebote für Online-Süchtige etabliert hat. Hier werden bundesweit die meisten ambulanten Patienten behandelt.

Klienten mit Online-Sucht sind fast ausschließlich männlich, überwiegend zwischen 20 und 29 Jahre alt und meist noch in der Ausbildung. (Foto: Christian Weische)

Klienten mit Online-Sucht sind fast ausschließlich männlich, überwiegend zwischen 20 und 29 Jahre alt und meist noch in der Ausbildung. (Foto: Christian Weische)

„Ich war nur noch in der Fantasiewelt unterwegs“, fasst Thomas L. die vergangenen zehn Jahre seines Lebens zusammen. Rund 70 Stunden in der Woche verbrachte der 32-Jährige am PC und zockte Online-Spiele, wie „World of Warcraft“. Er habe bis mittags geschlafen, sich nur noch von Fast-Food ernährt und die Vorlesungen in der Uni sausen lassen. Die Online-Spiele seien eine Flucht aus dem Alltag gewesen, erklärt der gebürtige Sachse, der für sein Studium nach Bielefeld gekommen war. In der virtuellen Welt habe er den Erfolg gehabt, der ihm im normalen Leben gefehlt habe. Ein typisches Verhalten für Betroffene, bestätigt Frank Gauls, Leiter der Ambulanten Suchthilfe Bethel, die bundesweit zu den größten Einrichtungen in diesem Bereich gehört. „Häufig begegnen uns Menschen, die Ablehnung erfahren haben oder verletzt wurden. Zum Beispiel durch Mobbing“, sagt der Gesprächspsychotherapeut. Die Betroffenen seien in den Spielen auf der Suche nach Anerkennung und dem Gefühl der Zugehörigkeit. Rund um die Uhr und überall, nicht nur zuhause am Rechner, auch unterwegs auf dem Smartphone, steht ihnen diese schöne Parallelwelt, in der sie erfolgreich sein können, zur Verfügung. Entsprechend steige die Zahl der Betroffenen, und die Nachfrage nach Hilfe werde von Jahr zu Jahr größer.

Den Hang zum Spielen hat Thomas L. schon früh entwickelt. Als Kind der 90er ist er mit dem Gameboy in der Hand groß geworden. Danach wurden Computer-Spiele zu seiner Passion. Dass aus Vergnügen Ernst geworden ist, hat ihm seine Freundin klargemacht, die er in dieser intensiven Zeit im Internet kennen lernte. Er war nur noch passiv, antriebslos, erschöpft. „Zunächst habe ich meine Depression behandeln lassen, aber das hat nicht richtig angeschlagen“, sagt Thomas L. Parallel habe er vor rund zweieinhalb Jahren die Experten der Suchthilfe Bethel aufgesucht.
Rund 280 Hilfesuchende wandten sich im vergangenen Jahr persönlich an die Fachstelle Glücksspielsucht in Bethel. Davon 52 User mit problematischem PC-Internet-Gebrauch. „Außerdem kamen viele Angehörige zu uns. Besonders ratsuchende Eltern von Jungen, die aufgrund der vielen Stunden an PC und Handy Schule oder Ausbildung ernsthaft gefährden“, sagt Frank Gauls. Nach dem Erstkontakt steht den Betroffenen und Angehörigen die Info- und Motivationsgruppe offen. Sie dient als Entscheidungshilfe und Vorbereitung für ambulante und stationäre Therapien. Die ambulante Therapie dauert in etwa zwischen 6 und 18 Monaten und setzt sich aus Einzel-, Gruppen-, Paar- und Familiengesprächen zusammen, je nach Bedarf. „Eine frühzeitige Einbeziehung der Angehörigen hilft, die familiäre Situation zu stabilisieren. Mit Bekanntwerden des Spielverhaltens herrscht innerhalb der Familie oder Partnerschaft oftmals eine große Verzweiflung“, betont der Experte. Um Beratungsanfragen schnell bedienen zu können, bietet die Fachstelle montags eine offene Sprechstunde an.
Bei einem problematischen oder krankhaften PC-Internet-Gebrauch gehe es darum, die Kontrolle wiederzuerlangen, erklärt Frank Gauls. Dafür nutze man ein Ampelmodell, das in der Therapie erarbeitet werde. Computerspiele würden in der Regel als roter Bereich und damit als Tabu angesehen. „Das muss aber bei jedem Patienten individuell festgelegt werden. Es können auch Ziele festgelegt werden, wie kein Spielen nach 22 Uhr, um morgens wieder früh aufstehen zu können“, so der Experte. Gelb seien Sachen, die Gefährdungspotential für die Betroffenen bieten, wie bei YouTube anderen Gamern beim Spielen zuzugucken. Online-Banking oder E-Mail-Konten seien Grün, weil man sie für den Alltag brauche. Thomas L. hält sich an alle aufgestellten Regeln. Er spielt jetzt noch 21 Stunden pro Woche und versucht parallel dazu die analoge Welt wiederaufzubauen. Sein größtes Ziel ist jetzt, einen Job zu finden, nachdem er sein Masterstudium aufgrund der Sucht abbrechen musste.

Heilpraktiker Stiv Dudkin