Eine Arche für bedrohte Tiere und Pflanzen

LWLKUHDetmold (lwl). Wenn Arnd Schumacher über seine Arbeit redet, dann merkt man: Hier brennt jemand für das, was er tut. Seit 14 Jahren ist der 42-Jährige im Freilichtmuseum Detmold des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) für das Wohlergehen von rund 100 Nutztieren verantwortlich. Ihre Gemeinsamkeit: Angesichts industrieller Massenproduktion von Fleisch und Milch sind fast alle vom Aussterben bedroht.

Dabei sind alte Haustierrassen zum Teil echte Alleskönner: Das Rote Höhenvieh etwa produziert viel Milch, ist so stark, dass es sogar vor einen Karren gespannt werden kann und gibt am Ende seines Lebens sogar noch gutes Fleisch. Gleichzeitig braucht es nur wenig Futter. Während die Rasse früher für diese Eigenschaften geschätzt wurde, hat man für die eierlegende Wollmilchsau unter den Rindern heute kaum noch Verwendung. „Fast alle bäuerlichen Betriebe haben sich heutzutage spezialisiert“, erklärt Schumacher. Entweder viel Fleisch oder viel Milch – der Mittelweg rechnet sich nicht. Im LWL-Freilichtmuseum Detmold verhindert man, dass diese Rassen endgültig verschwinden. Schumacher: „Wenn die Tiere hier keinen Platz finden, wo sonst?“

Erhalt durch Aufessen

Ein Gnadenhof für seltene Rassen ist das Museum jedoch nicht: Zum Erhalt der historischen Rassen gehört auch der Verkauf der Tiere. Die vom Aussterben bedrohten Bunten Bentheimer Schweine zum Beispiel, eine Rasse aus der heute niedersächsischen Grafschaft Bentheim und dem Emsland, leben etwa ein Jahr auf dem Museumsareal. „Danach müssen wir sie verkaufen“, sagt Schumacher. „Rasseerhalt durch Aufessen, das ist auf den ersten Blick paradox. Aber wir könnten nicht weiterzüchten, wenn wir alle Tiere behalten würden.“ Schließlich wurden Schweine schon immer als Nutztiere gehalten. Ihr Wert lag stets im Produzieren von Fleisch.

Während die Nachzucht der Rinder und Schweine den geschützten Museumsbereich früher oder später verlässt, haben beispielsweise die Lakenfelder Hühner im LWL-Freilichtmuseum eine unbegrenzte Aufenthaltserlaubnis. Auch sie stehen auf der roten Liste der gefährdeten Haustierrassen – für heutige Verhältnisse legen sie zu wenige Eier. Schumacher: „Letztlich ist es bei historischen Nutztieren immer das gleiche: Der Ertrag passt nicht.“

Nicht nur bei Nutztieren geht es in der Lebensmittelindustrie heutzutage hauptsächlich um ein Maximum an Produktivität. Auch Nutzpflanzen werden vornehmlich auf Größe und Ertrag gezüchtet. So etwas wie eine Arche für bedrohte Arten ist deshalb auch der Vermehrungsgarten des Museums. Das Reich von Margret Blümel beginnt etwas außerhalb der Besucherwege. Im Rahmen des Modellprojekts „Vielfalt ländlicher Gärten“ kümmert sie sich seit über drei Jahren um Pflege und Vermehrung von heute nahezu unbekannten Kulturpflanzensorten. „Für den kommerziellen Gebrauch sind diese Pflanzen nicht mehr wichtig“, erklärt die Saatguttechnikerin. Der Ertrag der alten Sorten ist meist zu gering. Dabei sind sie in der Regel viel robuster gegenüber Umwelteinflüssen wie Regen, praller Sonne oder Schädlingen. Geraten diese Pflanzen in Vergessenheit, gehen auch wichtige Genreserven für die Ernährung und medizinische Versorgung unwiederbringlich verloren.

Pflanzensuche auf Luftbildern

Um überhaupt an Samen zu kommen, suchten Blümel und ihre Kollegen unter anderem auf Luftbildaufnahmen nach historisch gewachsenen Gärten. Deren Besitzer waren meist gerne bereit, einige Setzlinge ans LWL-Freilichtmuseum Detmold abzugeben – häufig zusammen mit wertvollen Informationen über Zucht und Pflege.

Jede der rund 140 Arten und Sorten hat dabei ihre eigene Geschichte. Die Russische Schalotte etwa kam während des Ersten Weltkriegs im Gepäck eines Kriegsheimkehrers nach Westfalen. Wenige Meter weiter recken Lippische Palmen ihre Triebe gen Himmel – eine Grünkohlsorte, die früher wegen ihrer Anspruchslosigkeit, ihrer Vielseitigkeit und ihres milden Geschmacks geschätzt wurde und im Lipper Bergland weit verbreitet war. „Viele Pflanzen wurden über Generationen hinweg weitergegeben“, erklärt Blümel. „Häufig gelangten sie durch Heirat von Hof zu Hof.“ Den historischen Hintergrund jeder eingehenden Sorte notiert die 52-Jährige genauso wie tägliche Beobachtungen sowie Daten zu Aussaat und Ernte. Alles wird akribisch festgehalten. „Schließlich wollen wir so viel Wissen wie möglich sammeln, damit die Pflanzen auch außerhalb des Vermehrungsgartens gedeihen können.“ Denn die gesammelten Sorten sollen nicht nur im LWL-Freilichtmuseum wachsen. Das Saat- und Pflanzgut geben die Saatguttechnikerin und ihre Kollegen an Interessierte weiter. Dafür ist in den vergangenen Jahren ein Netzwerk aus rund 300 Mitgliedern entstanden – „eine Resonanz, mit der wir in dieser Größenordnung gar nicht gerechnet haben.“

 

BU: Opfer der industriellen Fleisch- und Milchproduktion: das Rote Höhenvieh. Im LWL-Freilichtmuseum Detmold wird die vom Aussterben bedrohte Rasse gehalten.

Foto: LWL