Demokratiekonferenz in Minden: Noch mehr Leute auf die Straße bringen

Demokrat*in werden, ist wie erwachsen werden – ein Satz, der bei der fünften Demokratiekonferenz in Minden öfter fällt. Ausgesprochen hat ihn Dr. Roland Kipke. Er ist Philosoph und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bielefeld.

 Demokratiekonferenz im Ständersaal des LWL-Preußenmuseums (Bild: Stadt Minden).

Demokratiekonferenz im Ständersaal des LWL-Preußenmuseums (Bild: Stadt Minden).

Minden. Dem Publikum im Ständersaal des LWL-Preußenmuseums brachte der Referent den tiefsitzenden Demokratiefrust der Deutschen nahe. In seinem Vortrag „Jeder zählt. Was Demokratie ist und was sie sein soll“ stellte er heraus, dass online eine Lawine des Motzens und Redankenrülpser auf Twitter keine Seltenheit sind. Doch wie soll man mit der Kritik und der Unzufriedenheit über die Demokratie überhaupt umgehen? Kipke stellte den knapp 150 Teilnehmenden dafür verschiedene Möglichkeiten vor.

Die erste Variante ist, darüber aufzuklären, was Demokratie ist. Sie zeichnet sich nämlich durch den Kompromiss aus. Nur wer eine Position hat, ist auch in der Lage mit anderen darüber zu diskutieren. Es gibt keine Demokratie ohne feste Verfahren, die auch anerkannt werden müssen. Aber in einer Demokratie läuft nicht immer alles glatt – die Menschen müssen in der Lage sein Spannungen auszuhalten. Politikern wird häufig der Vorwurf gemacht, dass sie nur nach Macht streben und Einfluss ausüben wollen. „Es ist wichtig, dass die Öffentlichkeit ein Auge auf die Politiker*innen wirft, aber sie sollte die richtigen Maßstäbe an sie legen. Denn demokratisches Handeln besteht zu 99 Prozent aus Reden, aus Überzeugen und aus Kompromissen“, unterstreicht Roland Kipke.

Kipke spricht sich für die Änderung der Blickrichtung aus – weg von den Institutionen, hin zu den eigenen Erwartungen. Das heißt, jede und jeder zählt. Es gibt ein Recht auf Toleranz für jede*n, aber das bedeutet auch, dass jede*r die Pflicht hat den anderen diese Freiheit zuzugestehen. Toleranz ist niemandem in die Wiege gelegt, man muss etwas dulden können, auch wenn man es für falsch hält. Wenn sich niemand mehr beteiligt, ist die Demokratie am Ende – bedeutet, dass jede*r Engagement zeigen soll, möglichen Frust in etwas Positives entwickeln und sich für die Demokratie einzusetzen. Hinter all dem Gemecker steht auch viel Bequemlichkeit, das müssen wir abstellen, so Kipke. Wortbeiträge aus dem Publikum zeigten, dass es auf lokaler Ebene unterschiedliche und kontroverse Definitionen von Demokratie gibt. Einige meinen, dass man keinen Einfluss auf die Politik hat und dass sich nichts verändert. Andere wollen jungen und engagierten Menschen zeigen, dass Demokratie nicht selbstverständlich ist. Roland Kipke machte deutlich, dass auch eine konservative Meinung, bzw. Politik ihre Berechtigung hat. Aber wenn die Grundlagen der Demokratie selbst wie Freiheit, Gewaltenteilung, Rechtsstaat oder Pressefreiheit attackiert würden und Vielfalt nicht anerkannt werde, dann komme Toleranz an ihre Grenzen. In dem Fall werde Intoleranz zur demokratischen Tugend, positioniert sich der Referent.

Das ist ein Punkt, den auch Bürgermeister Michael Jäcke in seiner Begrüßung zur Demokratiekonferenz machte. Er selbst war Anfeindungen im Netz ausgesetzt und weiß, was das mit einem machen kann. „Ich war schockiert über die Äußerungen und die Gewalt, die in den Posts zum Ausdruck kam“, sagte er. Die Grenzen des Sagbaren werden immer weiter nach rechts ausgedehnt, sie kommen mehr und mehr in der Mitte der Gesellschaft an. Vor diesem Hintergrund haben wir alle die Aufgabe uns für Pluralismus und Demokratie einzusetzen, denn das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, so Jäcke. Und dass alle etwas dafür tun können, machte auch Karl-Heinz Ochs deutlich. Der in Minden Verantwortliche für die Koordinations- und Fachstelle des Bundesprogramms „Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“ blickte  im Gespräch mit dem Moderator des Abends, Michael Buhre, auf das vergangene Jahr zurück.

 In 2019 gab es Projekte und Ideen, die sich für ein buntes und vielfältiges Minden stark gemacht haben. Gut angekommen sind der „Tag der offenen Gesellschaft“, die „Omas gegen Rechts“ und die Banneraktion „Minden hat keinen Platz für Rassismus“. Selbstkritisch merkte Ochs an, dass die Arbeit mit Verbänden und Vereinen noch ausbaufähig sei. Als Dauerbrenner des Lokalen Aktionsplanes stellte er die Korbiniansapfelbäume und die jährliche Fahrt nach Theresienstadt vor. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass Schüler*innen unterschiedlicher Schulen in Kontakt kommen und nicht nur Geschichte kennenlernen, sondern auch neue Menschen treffen. Kerstin Lehmann, Lehrerin am Weser-Kolleg, war zum ersten Mal bei der Fahrt mit dabei und sie zog ein sehr positives Fazit. „Weil hier unterschiedliche soziale Gruppen zusammenkommen, werden auch Vorurteile abgebaut. Daraus ist in unserem Fall ein neues Projekt mit dem Ratsgymnasium entstanden“, hebt sie hervor.

Wer an einer Idee oder einem Projekt für 2020 arbeitet und Unterstützung dafür braucht, kann sich bei Karl-Heinz Ochs melden. Man findet ihn in seinem Büro an der Alten Kirchstraße 1a, 32423 Minden, Tel.: 0571/972076 89 oder per E-Mail an: lap-minden@ewe.net. Seine Sprechzeiten sind in der Regel dienstags und donnerstags von 10 Uhr bis 16 Uhr oder nach Verabredung. „Ihr könnt mir alle weiterhin die Bude einrennen“, forderte er das Publikum auf. Der Lokale Aktionsplan Minden (LAP) wurde 2011 ins Leben gerufen, um lokale Bündnisse gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus zu stärken. Seit dem 1. Januar 2015 steht das Motto „Demokratie leben!“ in Minden für die aktive Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an einer Partnerschaft für Demokratie. In einmal jährlich stattfindenden Demokratiekonferenzen hat jeder im Rahmen des Bundesprogramms die Gelegenheit über Chancen und Herausforderungen sowie über die künftige Arbeit des Lokalen Aktionsplanes mitzudiskutieren. Die Ergebnisse werden jährlich in das bestehende Handlungskonzept eingearbeitet und vom Rat der Stadt legitimiert.

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