Autocalypse now – Autonomes fahren verändert alles

Bielefeld/Zürich. Schon in wenigen Jahren wird der individuelle Autoverkehr, wie wir ihn kennen, der Vergangenheit angehören. Diese Perspektive untermauerte der Züricher Mobilitätsforscher Dr.-Ing. Thomas Sauter-Servaes zusammen mit Expertinnen und Experten der Region Ostwestfalen-Lippe (OWL) beim 14. ing.meet.ing. Vor dem aktuellen Hintergrund der VDI- und VDE- Initiative „Stadt:Denken – Stadt der Zukunft“ hatten die beiden Ingenieurvereine VDI OWL und VDE OWL zur Diskussion geladen.

Das Interesse an „Autocalypse now“ war groß: Rund 350 Menschen diskutierten auf Einladung von VDI und VDE OWL im kleinen Saal der Stadthalle über Verkehrsmodelle der Zukunft.

Das Interesse an „Autocalypse now“ war groß: Rund 350 Menschen diskutierten auf Einladung von VDI und VDE OWL im kleinen Saal der Stadthalle über Verkehrsmodelle der Zukunft.

Die Art der Autonutzung in Industrienationen sei höchst ineffizient und habe sich dennoch seit Jahrzehnten kaum verändert, kritisierte Dr.-Ing. Sauter-Servaes von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Zürich vor 350 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Technik und Gesellschaft der Region OWL in der Bielefelder Stadthalle. Nur 25 Prozent des getankten Benzins oder Diesels würden tatsächlich in Energie zur Fortbewegung umgewandelt. Fahrzeuge würden durch eine hohe Anzahl an Einzelfahrten und lange Standzeiten nur wenig ausgelastet. „Allein ein Berliner Innenstadtbewohner nutzt sein Privatfahrzeug täglich durchschnittlich 36 Minuten“, so Sauter-Servaes, „statt Fahrzeug müsse es eigentlich Stehzeug heißen.“ Damit gehe eine enorme Blockade hochwertiger innerstädtischer Flächen für parkende Autos einher.

„Die Mobilität von heute ist ineffizient“

Auch mit innerstädtischer Schadstoffbelastung und Lärmemissionen sei Mobilität verbunden. Zudem sei das Risiko unverhältnismäßig hoch: 70 bis 90 Prozent der Verkehrsunfälle seien auf menschliches Versagen zurückzuführen, nur zehn Prozent seien technisch bedingt. Autonomes Fahren werde die Zahl der Verkehrstoten – jährlich weltweit 1,25 Millionen – stark reduzieren. Ein Verkehrssystem, das sich mit dem Äquivalent von täglich zehn Totalverlusten eines Airbus A 380 mit all seinen Passagieren arrangiere, sei eigentlich nicht zulassungsfähig.

Sauter-Servaeas stellte kollaborative Modelle vor, bei denen privater und öffentlicher Verkehr miteinander verschmelzen. Andere Verkehrskonzepte und neue Beförderungsformen über autonom fahrende, Batterie betriebene Mietfahrzeuge und Sammeltaxis werden individuelle Einzelfahrten von A nach B überflüssig machen, so seine Prognose. „Elektromobile werden den Verkehr von morgen beherrschen“, sagte der Mobilitätsforscher.

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Über „Autocalypse now?“ sprach Dr.-Ing. Thomas Sauter-Servaes, Mobilitätsforscher der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Zürich, in der Stadthalle Bielefeld Foto: ZHAW Hochschule für Angewandte Wissenschaften Zürich

Digitalisierung, Elektrifizierung, Robotisierung

Die zunehmende Elektromobilität bedeute neue Herausforderungen. So sei die immer höhere Batteriekapazität ein Irrweg hinsichtlich Rohstoffeinsatz und Fahrzeuggewicht. Vielmehr liege in der intelligenten Infrastruktur der Schlüssel moderner Mobilität. Die für das autonome Fahren genutzte Digitalisierung werde auch neue Formen des personenbezogenen Datensammelns und -nutzens durch Großkonzerne wie Amazon und Google mit sich bringen. Am Ende werde Mobilität sogar billiger, daher seien die Rebound-Effekte (Anstieg des Energieverbrauchs aufgrund einer Effizienzsteigerung) rechtzeitig zu bedenken, so Dr. Sauter-Servaes.

Moderiert wurde das ing-meet.ing von Tanja Krüger, Vorstandsmitglied des VDI OWL und selbst Gründerin und Geschäftsführerin des Unternehmens Resolto Informatik GmbH, das die Nutzung künstlicher Intelligenz zur Effizienzsteigerung von technischen Systemen realisiert: „Wie befördern die heutigen Effizienzdefizite neue innovative Geschäftsmodelle, die mit Hilfe von Digitalisierung, Elektrifizierung und Robotisierung eine revolutionäre Transformation des Verkehrssektors ansteuern können?“

Die Automobile der Zukunft würden durch die erheblich verdichtete Nutzung stärker beansprucht, so Marco Kollmeier, Geschäftsbereichsleiter Elektromobilität bei Benteler Automobiltechnik GmbH. Ein Fahrzeug, das über Crowd Sharing (die Nutzung durch viele Menschen) täglich zehn Stunden genutzt werde, unterliege einer Dauerbelastung wie beispielsweise heute die LKW-Flotten. Nach Ansicht von Dr.-Ing. Stefan Schwehr, Vorstand Technik beim Automobilzulieferer Paragon AG, wird die Herausforderung in Europa zunächst in der Übergangsphase der Koexistenz von privaten und geteilten Fahrzeugnutzungen, von konventionellem, teilautonomem und dauerhaft autonomem Verkehr, von Fahrzeugen mit und ohne Lenkrad liegen. Hier seien die Systementwickler gefordert.

Die Zukunft des Güter- und Autoverkehrs simuliert diese Illustration der Daimler und Benz Stiftung.

Die Zukunft des Güter- und Autoverkehrs simuliert diese Illustration der Daimler und Benz Stiftung.

Kooperative Mobilitätsentwicklung für Stadt und Land

850 Bürgermeister hatten dem VDI in seiner bundesweiten Studie „Stadt:Denken: Bausteine für die Zukunft der Stadt“ ihre Herausforderung für neuartige Mobilitätskonzepte als Top-Thema formuliert und ganz oben auf die eigene kommunale Agenda gesetzt. Auch in der Region OWL seien Ingenieurinnen und Ingenieure an der Weiterentwicklung beteiligt, so VDI OWL-Vorstandsmitglied Klaus Meyer mit Blick auf die „REGIONALE UrbanLand Ostwestfalen-Lippe“, wo die kooperative Mobilitätsentwicklung urbaner und ländlich strukturierter Räume die Zukunftsherausforderung ist. Auch Dr.-Sauter-Servaes vertraute am Ende der Verantwortung und Kompetenz der Ingenieurinnen und Ingenieure: „Wir müssen nicht abwarten, sondern können gestalten!“