Auf bewegender Spurensuche in Büren

Evelyn und Dave Hill informieren sich über die Geschichte ihrer jüdischen Vorfahren

Büren. Hans-Josef Dören kümmert sich als Stadtarchivar der Stadt Büren nicht nur um den umfangreichen Archivalien- und Aktenbestand aus über 800 Jahren Stadtgeschichte, er setzt sich auch dafür ein, dass Vergangenes nicht in Vergessenheit gerät. Darunter befinden sich auch verschiedene Quellen zur Geschichte der jüdischen Gemeinde, die hier mit einigen Unterbrechungen seit dem Mittelalter beheimatet war. Erst im letzten Jahr hat er zusammen mit dem Bürener Heimatverein ein Buch mit dem Titel »Juden in Büren vom 13. bis zum 20. Jahrhundert – Ein Nachruf« herausgegeben. „Immer wieder erreichen uns Anfragen von Familienforschern“, weiß der Stadtarchivar. So wie die von Evelyn und Dave Hill aus England, die kürzlich extra mit ihrem Wohnmobil auf den Spuren der Familie Rosenthal nach Madfeld und Büren gereist sind.

Evelyn und Dave Hill auf Spurensuche zur Familiengeschichte in Büren: Hier besuchten sie gemeinsam mit Stadtarchivar Hans-Josef Dören (r.) und Marianne Witt-Stuhr (Leiterin Stadtmarketing) das Denkmal an der ehemaligen Synagoge.

Evelyn und Dave Hill auf Spurensuche zur Familiengeschichte in Büren: Hier besuchten sie gemeinsam mit Stadtarchivar Hans-Josef Dören (r.) und Marianne Witt-Stuhr (Leiterin Stadtmarketing) das Denkmal an der ehemaligen Synagoge.

„Wir freuen uns, dass wir hier vor Ort wichtige Hinweise zu unserer bewegten Familiengeschichte bekommen konnten“, berichtet Evelyn Hill, deren Familie im 18. Jahrhundert noch in Madfeld beheimatet war. Heinemann Rosenthal (1781-1838) und seine Frau Rebecca (1785-1842) hatten sechs Kinder, ihr Sohn Meier übte in der jüdischen Gemeinde auch das Amt eines Cantors und Lehrer aus. „Am 27. Oktober 1846 zog Meier dann von Madfeld nach Weiberg um“, weiß Hans-Josef Dören. Die Original-Bescheinigung des Amtmanns des Amtes Thülen (zu dem Madfeld gehörte) befindet sich heute noch im Bürener Stadtarchiv.

Kurze Zeit später heiratete Meier Rosenthal am 24. Mai 1847 Rica Friedenberg, eine Weibergerin. Im Haus Nr. 30 bekam das junge Paar vier Kinder: Heinemann (1847-1931), Josef (1850-1896), Rica (1854-1858) und Mathilde (1867). Der älteste Sohn Heinemann war Soldat im Deutsch-Französischen Krieg und nahm an den Feldzügen 1870/1871 teil. Kurz nach dem Krieg heiratete er 1872 Emilia Sachs aus Langenstraße. Die Familie lebte in Weiberg vorwiegend vom Kleinhandel und übte außerdem das Metzgerhandwerk aus. Auch Heinemanns Bruder Joseph war „Handelsmann“ und Metzger – er zog mit seiner Frau Tina nach Soest. Alle zehn Kinder des Weiberger Familienzweigs wurden im Haus Nr. 30 geboren: Rosalie (1873-1942), Lina (1874-1874), Beata (1875-1943), Siegmund (1878-1942), Joseph (1880-1921), Salomon (1883-1912), Lui (1885-1967), Lina (1887-1949), Albert (1890-1974) und Arthur (1893-1942).

In der Zeit des Nationalsozialismus erlitt Familie Rosenthal ein unglaubliches Schicksal. Fünf Kinder kamen auf ihrer Flucht vor den Nationalsozialisten bzw. in Konzentrations- und Vernichtungslagern um. Hierzu berichtet die Bürener Stadtchronik nüchtern: „Soweit die Juden in den letzten Jahren nicht von Büren verzogen waren oder sich ins Ausland begeben hatten, wurden sie aus Stadt und Amt Büren auf höhere Anordnung am 30. März 1942 nach Paderborn gebracht.“ Siegmund Rosenthal, der in Büren die Rektoratsschule besucht hatte, wurde infolge der Novemberpogrome 1938 inhaftiert und gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Arthur im November 1938 in das KZ Buchenwald verschleppt. Die nationalsozialistische Ausgrenzungspolitik setzte durch, dass Siegmund am 21. Februar 1939 sein Gewerbe aufgeben musste.

Das Foto von 1907 zeigt (v.l.) den Großvater von Evelyn Hill, Karl Vandyke (Katzenstein), seinen Bruder Siegfried (Fritz), sowie die Cousins Justus Nussbaum und Felix Nussbaum.

Das Foto von 1907 zeigt (v.l.) den Großvater von Evelyn Hill, Karl Vandyke (Katzenstein), seinen Bruder Siegfried (Fritz), sowie die Cousins Justus Nussbaum und Felix Nussbaum.

Am 31. März 1942 wurden beide Brüder über Bielefeld ins Warschauer Ghetto deportiert. Seitdem fehlte von ihnen jede Spur. Auch die Rosenthal-Schwestern wurden 1942 deportiert: Beata starb am 28. Januar 1943 im Ghetto Theresienstadt, Lina kam vermutlich ebenfalls im Warschauer Ghetto um, sie wurde am 34. März 1942 mit ihren Brüdern dorthin deportiert. Rosalie (verheiratet mit Jacob Weinberg in Rabber/Osnabrück) konnte mit ihrem Sohn Alfred und dessen Frau Sabine zwar zunächst vor den Nazis fliehen, starb aber am 9. November 1942 im Exil in Shanghai an Brustkrebs. Aus der Passagierliste geht hervor, dass Rosalie, Alfred und Sabine am 13. Juni 1939 mit der Gneisenau über Bremen ausreisten und in den Kabinen 83-85 untergebracht waren. Sie wurde in Shanghai bestattet, ein Gedenkstein auf dem Grab ihres Mannes Jacob Weinberg auf dem jüdischen Friedhof in Buer erinnert noch heute an sie. Damit ist dokumentiert, dass Rosalie wie weitere 20.000 deutsche Juden nach 1938 aus Deutschland floh und ins ferne China reiste. Denn in Shanghai konnten jüdische Flüchtlinge zu diesem Zeitpunkt noch ohne Visum und Pass einreisen. „Leider überlebten von den Kindern der Weiberger Rosenthal-Familie nur die Brüder Albert (1890-1974) und Lui (1885-1967) die Zeit des Nationalsozialismus“, berichtet Hans-Josef Dören. Beide setzten sich nach dem Krieg dafür ein, dass der jüdische Friedhof in Büren wieder ein würdiges Umfeld erhielt. Dr. Albert Rosenthal aus Kempen suchte 1948 noch vergeblich das Grab seiner Mutter auf dem Friedhof. Sein Bruder Lui Rosenthal bat die Stadtverwaltung im Jahr 1964 um Schutz für die Gräber der jüdischen Gemeinde und die Instandhaltung des Friedhofes.

Evelyn Hills weit verzweigte Familie hat über das Bürener Land hinaus Spuren hinterlassen: Und diese reichen bis heute zu einer beeindruckenden Gemäldesammlung im Felix-Nussbaum-Haus in Osnabrück. „Mein Großvater mütterlicherseits Karl Vandyke (Katzenstein) und sein Bruder Fritz, waren Cousins von Justus und Felix Nussbaum“, weiß Evelyn Hill. Seit 1929 setzte sich Felix Nussbaum als Maler im Stil der Neuen Sachlichkeit in Familienporträts, Selbstbildnissen, Städteansichten und Landschaftseindrücken intensiv mit den Werken Vincent van Goghs und Henri Rousseaus auseinander. Spätere Werke zeigen eindrucksvoll auch die künstlerische Isolation im Exil und seine persönliche Situation in Bezug auf Verfolgung und drohender Deportation.

1935 floh der jüdische Künstler vor dem Nationalsozialismus nach Belgien und tauchte in Brüssel unter. Dort wurde er nach einer Denunziation mit einem der letzten Transporte nach Auschwitz deportiert, wo er und seine Ehefrau Felka Platek am 2. August 1944 eintrafen. Er starb noch vor der Befreiung des Lagers (27. Januar 1945). Sein umfangreiches künstlerisches Werk mit über 160 Gemälden wird heute im Felix-Nussbaum-Haus in Osnabrück bewahrt und erforscht. Darunter befinden sich vor allem seine Spätwerke, in denen er als Emigrant in Brüssel die Shoah der Juden in Europa thematisiert. Als er im Brüsseler Exil um sein Leben fürchtete, übergab Felix Nussbaum einen Großteil seiner Bilder seinem Freund, einem belgischen Arzt. Er soll gesagt haben: „Wenn ich untergehe, laßt [sic] meine Bilder nicht untergehen, stellt sie aus.“

Fotos: © Stadt Büren und Evelyn Hill