Themenspecial „Künstliche Intelligenz“

Paderborn. Im vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten „Wissenschaftsjahr“ dreht sich 2019 alles um das Thema Künstliche Intelligenz (KI).   Schon   heute   bestimmen   Anwendungen,   die   auf   Digitalisierung   und Maschinellem Lernen basieren, weite Bereiche unseres Lebens: Von virtuellen Assistenzsystemen über Industrieroboter bis hin zu humanoiden Pflegekräften – die intelligenten Maschinen nehmen uns viel Arbeit ab. Wie diese Systeme funktionieren   und   welche   gesellschaftlichen   Implikationen   es   dabei   gibt, erörtern   Paderborner   Wissenschaftler   im   Rahmen   eines   Themenspecials. Dabei   liegt   der   Fokus   auf   ihrer   Forschung,   mit   der   sie   die   Entwicklung mitgestalten.

Prof. Dr. Oliver Müller forscht und lehrt seit Herbst 2018 an der Universität Paderborn.

Foto (Verena Kirchhoff): Prof. Dr. Oliver Müller forscht und lehrt seit Herbst
2018 an der Universität Paderborn.

Kredite, Mietwohnungen und gute Burger – Wirtschaftsinformatiker Prof. Dr. Oliver Müller über Einsatzgebiete Künstlicher Intelligenz 
Vor zwei Jahrhunderten hat die Industrialisierung die Gesellschaft grundlegend verändert.   Heute   findet   im   Zuge   der   Digitalisierung   eine   ähnlich   große Umbruchphase   statt.   Hauptsächliche   Katalysatoren:   Systeme,   die   auf   Basis Künstlicher   Intelligenz   (KI)   arbeiten.   Von   Kreditbeurteilungen   über   die Preisbestimmung von Wohnungen bis hin zur Bewertung eines Burgers anhand von Fotos – Wie Unternehmen und Endverbraucher davon profitieren können und welche Konsequenzen damit verbunden sind, erklärt Prof. Dr. Oliver Müller, Wirtschaftsinformatiker an der Universität Paderborn.

Maschinen lernen ähnlich wie Menschen
„Maschinelles Lernen“, so der Fachausdruck, ist die Methode, auf die eine KI zurückgreift, um  auf Basis von  Daten  Entscheidungen  zu  treffen. Im Idealfall soll   sie   logische   Zusammenhänge   herstellen   können.   Oliver   Müller:   „Ich vergleiche   Maschinelles   Lernen   gerne   mit   der   Art   und   Weise,   wie   wir Menschen,  vor  allem  im  Kindesalter, lernen, nämlich anhand von Beispielen. Angenommen   es   geht   darum,   die   Unterschiede   zwischen   einem   Hund   und einer   Katze   zu   erkennen.   So   zeigt   man   sowohl   dem   Kind   als   auch   dem Algorithmus möglichst viele Beispiele beider Tiere. Das Pärchen von Problem und  Antwort,   also   das   Bild   eines  Tieres   und   die   korrekte   Bezeichnung,   wird vorgegeben, in der Hoffnung, dass der Algorithmus bzw. das Kind dazu in der Lage  ist,  irgendwann  Unterschiede  zu   finden,   ohne  die Antwort  vorgeben  zu müssen.“ Wie schnell ein solcher Lernprozess aber zum Erfolg führt, hängt laut Müller   davon   ab,   wie   groß   die   Unterschiede   zwischen   den   vorgegebenen Beispielen seien und wie gut die Datengrundlage ist.

In der wirtschaftlichen Praxis findet diese Methode z. B. bei Kreditbeurteilungen Anwendung:   „Ich   zeige   dem  Algorithmus   hier   viele   Kreditanträge   einer   Bank und ob der Kunde in der Lage war, die Zinsen und Tilgungen zu zahlen“, erzählt Müller und betont: „Das heißt, dass ich den Kunden und den Kredit anhand von Daten beschreiben muss. Der Computer braucht Beispiele, in denen das mit den Rückzahlungen gut geklappt hat und welche, bei denen die Hypothek nicht zurückgezahlt   wurde.“   Im   Idealfall   würde   dieses   sogenannte   „Kreditscoring“ bereits   nach   ein   paar   hundert   Beispielen   funktionieren.   Liegen   die   Daten allerdings in unstrukturierter Form vor, das heißt als Text- oder Bilddaten, die sich   nicht   so   gut   in   Zahlen   ausdrücken   lassen,   kann   es   sein,   dass   der Computer   ein   paar   hunderttausend   Beispiele   sehen   muss.   „Im   Finanz-   und Versicherungsbereich wird das schon seit 20 oder 30 Jahren praktiziert. Eine Versicherung   macht   ja   nichts   anderes,   als   ein   Risiko   zu   beurteilen.   Damals wurde das vielleicht noch anders bezeichnet, „Data Mining“ oder einfach nur Statistik.   Heute   heißt   es   „Maschinelles   Lernen“   oder   Künstliche   Intelligenz“, bemerkt   der   Wirtschaftsinformatiker.   Die  Algorithmen,   die   hierfür   verwendet werden,   seien   allerdings   teilweise   immer   noch   dieselben   wie   vor   paar Jahrzehnten.   Komplexere   Daten,   wie   sie   durch   die   Digitalisierung   und insbesondere Social Media entstanden sind, würden heute neuere Algorithmen gebrauchen.

Urlaubsplanung mithilfe Künstlicher Intelligenz
„Ich   sehe   den   Wirtschaftsinformatiker   hier   als   Übersetzer   zwischen   der Betriebswirtschaftslehre   und   der   Informatik“,   erklärt   Müller.   „Wenn   es beispielsweise um Vorhersagen für ein Kredit- oder Versicherungsrisiko geht, dann   brauche   ich   großes   betriebswirtschaftliches   Verständnis,   um   die Problemstellung   zu   verstehen.   Anschließend   muss   ich   das   Problem   so formulieren,   dass   es   durch   Maschinelles   Lernen   gelöst   werden   kann.“ Schwierig wird es insbesondere dann, wenn der Computer hauptsächlich mit Bilddaten arbeiten muss.

An der Universität Paderborn untersucht Müller zusammen mit seinem  Team Online-Marktplätze wie z. B. Airbnb oder eBay, die stark auf Bilder angewiesen sind: „In diesem Zusammenhang stellen wir uns die Frage, welchen Einfluss Bilder   auf   unsere   Zahlungsbereitschaft   nehmen.   Kann   ein  Algorithmus   allein anhand   eines   Bildes   beurteilen,   wie   gut   oder   schlecht   ein   Produkt   ist?“   Wer aktuell   seine   eigene   Wohnung   bei   Airbnb   anbieten   möchte,   muss   diese zunächst   beschreiben,   anschließend   schlägt   das   Online-Unternehmen   einen Preis vor. „Hauptsächliche Kriterien hierfür sind momentan die Location und die Größe, also recht simple Bezugsdaten. Für Airbnb, aber natürlich auch für den Kunden, wäre es gut, wenn das System anhand von Fotos einschätzen könnte, ob  es   sich   um   einen   fairen   Preis   handelt.   Das   wäre   eine   Vision,   an   der   wir derzeit   arbeiten“,   so   Müller.   Erste   Erfolge   bei   der   Bildanalyse   können   die Wissenschaftler bereits auf einem anderen Gebiet vorweisen: „Wir können den Computer etwa darum bitten, einen guten von einem schlechten Burger allein anhand von Fotos zu unterscheiden. Viele Restaurantbewertungen enthalten ja mittlerweile Bilder. Die Erfolge, die wir da sehen, sind, dass der Computer sehr schnell   erkennen   kann,   wenn   es   in   die   Richtung   Fast   Food   geht   und dementsprechend schlechte Qualität ausfindig macht.“

Maschinen verstehen lernen
Bei   all   dem   Fortschritt   müsse   laut   Müller   allerdings   eines   immer   mitgedacht werden,   nämlich   die   Transparenz:   „Je   nach  Anwendungsgebiet   können   die Konsequenzen verheerend sein. Wenn eine Bank ihrem Kunden einen Kredit verweigert,   dann   muss   sie   ihre   Entscheidung   erklären   können.   Welcher Bankberater   aber   weiß,   warum   ein   Computer   so   entschieden   hat?   Ein  Arzt muss   in   der   Lage   sein,   eine   Diagnose   zu   erläutern,   die   unter   Verwendung Künstlicher Intelligenz erstellt wurde. Das Problem dabei ist, dass die wirklich guten Algorithmen nicht so leicht verständlich sind. Selbst die Entwickler wissen manchmal nicht genau, was der Algorithmus macht, weil dieser selbstständig lernt.“   Genau   dieses   Zusammenspiel   sei   aber   entscheidend,   damit   die Gesellschaft in Zukunft von Künstlicher Intelligenz profitieren könne: „Denn am Ende   müssen   Menschen   die   Verantwortung   für   die   Entscheidungen   von intelligenten Maschinen auf sich nehmen.“

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